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Ulmer Biobank ist für Krebsforscher unverzichtbar

Sechs Minuten dauert es im Optimalfall, bis die Gewebeprobe erfasst und aufgearbeitet ist und in den Kryotank wandert. Eingelagert in flüssigem Stickstoff bei minus 196 Grad Celsius wartet das Biomaterial auf die Forscher des Comprehensive Cancer Center der Ulmer Uniklinik (CCCU). Die Biobank wird von der Deutschen Krebshilfe gefördert und befindet sich im Aufbau.

Für Hartmut Döhner, Sprecher des CCCU und Ärztlicher Direktor der Klinik für Innere Medizin III, haben sich Biobanken in der Onkologie zu einem „unverzichtbaren Bestandteil der Grundlagen- und klinischen Forschung“ entwickelt. Diese Erkenntnis hat sich nach Einschätzung des international renommierten Hämatologen erst in den letzten Jahren durchgesetzt. „Noch vor zehn, 15 Jahren“, so der Ulmer Krebsspezialist, „herrschte die Meinung vor, dass Analysen an Tiermodellen oder Zelllinien gemacht werden können. Aber diese so gewonnenen Ergebnisse ließen sich nicht 1:1 in die Klinik übertragen, dazu braucht es stattdessen klinische Proben wie Tumorbiopsien, Blut und Knochenmark beispielsweise.“

Gewebe für biologische und genetische Analysen

"Einzahlung" in die Biobank des CCCU: Eine Gewebeprobe wird eingelagert. © Universitätsklinikum Ulm

Das Ulmer CCCU, eines von elf onkologischen Spitzenzentren in Deutschland, hat vor drei Jahren ein Biobankkonzept verabschiedet. Es versucht, von allen Patienten, die sich einer Krebsoperation unterziehen müssen, das Einverständnis einzuholen, einen Teil des entnommenen Gewebes, das nicht für die diagnostische Bewertung benötigt wird, einzufrieren. Diese Bioproben sollten für Forschungszwecke unbefristet und nicht zweckgebunden verwendet werden. Die Einverständniserklärung sieht laut Döhner vor, dass „ wir dieses Gewebe für alle biologischen, genetischen Analysen verwenden können." Dies schließt auch die Möglichkeit ein, Kooperationen mit der biopharmazeutischen Industrie einzugehen, um Experimente an diesem Gewebe durchzuführen.

Das Biobankenkonzept wird derzeit in allen beteiligten Kliniken Schritt für Schritt eingeführt. „Ein aufwändiger Prozess", so Döhner. Etabliert wurde es in der Inneren Medizin und der Urologie, folgen sollen die gynäkologischen und chirurgischen Abteilungen. Exakte Zahlen zur Zustimmungsquote liegen noch nicht vor. Aber nach Döhners Erfahrung ist die Zustimmungsrate der befragten Patienten sehr hoch. Das gelte für klinische Studien wie auch jetzt bei der Einwilligung für die Biobank. „Wenn man dem Patienten offen erklärt, worum es geht, gebe es nur wenige Patienten, die ablehnen", sagt Döhner.

Die Ulmer Biobank wird vom Institut für Pathologie betreut, wo auch die standardisierte Qualitätskontrolle erfolgt, und besteht derzeit aus vier Personen, dem Leiter des Pathologischen Instituts und der Biobank Peter Möller, der Projektleiterin und Medizininformatikerin Gabriela Rheinfelder, der Biologin Ulrike Kostezka und dem Mediziner Robert Rottscholl.

Ein Tank für 25.000 Proben

Das Team der CCCU-Biobank, v.l.: Gabriela Rheinfelder, Prof. Peter Möller, Dr. Ulrike Kostezka, Dr. Robert Rottschall. © Universitätsklinikum Ulm

Was braucht es für eine Biobank? Eine besondere Software zur Verwaltung der Daten, spendenwillige Patienten, eine klinische Prozesskette, die in der Lage ist, das Gewebe frisch zu verarbeiten und einen Kryoraum. Dort, in einem Flüssigstickstofftank, wird das Gewebe bei minus 196 Grad Celsius in der Dampfphase eingelagert, sagt Ulrike Kostezka. Der Tank kann bis zu 25.000 Proben fassen und dürfte drei Jahre ausreichen.

Die CCCU-Biobank verwendet eine kommerzielle, auf Ulmer Erfordernisse angepasste Software. Sie arbeitet mit möglichst wenig personenbezogenen Daten, damit der Datenschutz nicht zu kurz kommt: Geburtsdatum, Geschlecht und eine anonymisierte Patienten-ID, aber keine Namen, so Gabriela Rheinfelder.

Biobanken sammeln alle möglichen Arten von menschlichen Substanzen; die des CCCU sammelt Tumorgewebe. Neben krankem, also bösartigem, wird günstigenfalls auch gesundes Gewebe von derselben Probe eingelagert. Noch aber sind keine weiteren Gewebeproben desselben Patienten eingelagert, wie sie bei einer weiteren Operation (nach Rezidiv, Resistenz oder Metastasierung) anfallen würden, die einen für die Forscher aussagekräftigen medizinischen Verlauf abbilden würden.

Zwischenkonserviertes Gewebe gelangt in Pathologie

Aus frischem Gewebe stanzt der Pathologe ein kreisförmiges Stück zur Einlagerung. © Universitätsklinikum Ulm

Wird ein Patient (derzeit also aus den Abteilungen Innere Medizin und Urologie) operiert, bereitet der operationstechnische Helfer das Gewebe vor und transportiert es ins nahe Institut für Pathologie. Liegt die Zustimmungserklärung vor, darf es für die Forschungs-Biobank verwendet werden. Das Biomaterial kommt „zwischenkonserviert" an, je nach Gewebetyp liegt es in Natriumchlorid-Lösung, auf Trockeneis, in vier Grad kühler Nährlösung, normalem Eis oder in Flüssigstickstoff. Im sogenannten Zuschnitt-Raum der Pathologie wird das Gewebe vorbereitet, das heißt zerschnitten, einer Gewebehistologie unterzogen, diagnostiziert und klassifiziert. Diese qualitätssichernden Schritte erledigen immer verschiedene Pathologen. 

Dem Gewebe liegt ein Begleitschreiben bei; es enthält die Fall-Nummer, die das Gewebe eindeutig dem Patienten zuordnet, und nennt das Organ, welchem das Gewebe entnommen wurde. Am Zuschnitts-Tisch wird die Probe für das Pathologie-Informationssystem erfasst: Jahreszahl und sechsstellige Zahlen-und Buchstabenkürzel. Der Code wird vom System vergeben und ermöglicht die eindeutige Identifizierung der Probe, die von der Biobank übernommen wird. Dem Code wird auch eine Diagnose hinterlegt, sobald diese vorliegt, was bei Prostatagewebe etwa schwieriger ist und länger dauern kann.

Software bestimmt den Ort der Einlagerung

Unterbrochenes Leben: eine Probe wird in flüssigem Stickstoff gefroren. © Universitätsklinikum Ulm

Die CCCU-Gewebebank verwendet spezielle 1,8-ml-Röhrchen, die alle bereits mit einem Label versehen sind, mit einem zweidimensionalen Barcode (QR-Code) und einer Nummer darunter. Der Pathologe füllt die zuvor ausgestanzten Proben in die kleinen Röhrchen; bis zu vier Stanzkegel finden dort Platz. Den Lagerungsort schlägt die Software vor. Die Einlagerung der vom Pathologen in Flüssigstickstoff getauchten Probe nimmt Ulrike Kostezka vor. Die Software der Biobank macht die Proben im Stickstofftank ausfindig, wenn etwa Forscher für eine Studie die Anzahl der Proben zu einem bestimmten Tumor ermitteln wollen.

Die Biobank des CCCU weist den Mitarbeitern verschiedene Rollen zu. Das beginnt beim zuschneidenden Arzt und der einlagernden Technikerin. Die Datenbank ermöglicht bestimmten Personen wie Forschern auch den nur sichtenden Zugriff. Die administrativen Rechte liegen im Fall der CCCU-Biobank bei Gabriela Rheinfelder: Sie kann Arbeitsabläufe definieren oder neuen Ärzten ein Login verschaffen. Nur sie hat Zugang zu Gewebeproben und den assoziierten Patientendaten, und könnte diese im Bedarfsfall nach Genehmigung durch den Biobankrat reidentifizieren.

Je frischer, desto besser

Frisches Gewebe wird mit Pinzette in das Biobank-Röhrchen gegeben. © Universitätsklinikum Ulm

Grundsätzlich sollte Gewebe so frisch wie möglich verarbeitet und eingelagert werden. Schweden hat seinen Biobanken dafür einheitliche Richtlinien vorgegeben; hierzulande fehlen diese, was aber über die Qualität der Proben nichts aussagt.  Der bevorstehende Umzug der Uni-Chirurgie auf den Oberen Eselsberg in unmittelbare Nähe der Biobank wird jedenfalls die Transportzeit der Proben deutlich verkürzen; das werde dem Gewebe und der Qualität zuträglich sein, freuen sich die Mitarbeiter der Biobank.

Noch befindet sich die CCCU-Biobank in der Aufbauphase, noch lassen sich manche Details und Abläufe verbessern. Mit einer Vorankündigung für die Pathologen beispielsweise, denn die meisten Operationen seien ja geplant. Auch die Patienten will Rheinfelder noch besser und anschaulicher informieren. Der Webauftritt weist zwar ausdrücklich und ausführlich darauf hin, dass jeder Patient seine Einverständniserklärung jederzeit widerrufen kann. Ein zusätzliches Widerspruchsformular zum einfachen Herunterladen und Ausfüllen hält Rheinfelder dennoch für psychologisch hilfreich. Für den Patienten sei es wichtig zu wissen, „da komme ich sofort wieder heraus." 

Wichtig: gut gepflegte und beschriebene Daten

Zunächst will das Ulmer Uniklinikum mit dieser Biobank die Forschung besser kanalisieren und die Erfahrungen des Probebetriebs sammeln und verwerten. Da eine Biobank nur so gut ist wie ihre darin archivierten Informationen, ist es für die Biobank-Mitarbeiter unerlässlich, dass die Kollegen die diagnostischen Daten gut einpflegen, typisieren und klassifizieren, am besten nach OECD oder WHO-Codierung, so Rheinfelders Wunsch.

Für die Zukunft werden die Verantwortlichen ein konkretes Geschäftsmodell erarbeiten, denn die Förderung durch die Deutsche Krebshilfe ist begrenzt. Einstweilen wird sich die Biobank des CCCU weiter füllen und Gremien wie die Gewebebanken-AG der Deutschen Krebshilfe werden sich vielleicht auf eine Art Standardisierung einigen. Dann ließen sich Biobanken vernetzen, zum möglichen Nutzen der Forscher und Patienten.

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