Valentin Wittmann: "Neu ist der Modulgedanke"
Prof. Dr. Valentin Wittmann ist Professor im Fachbereich Chemie an der Universität Konstanz. Als Studiendekan beantwortet er organisatorische sowie inhaltliche Fragen zum Chemie- und Life-Science-Studium und hilft bei auftretenden Problemen. Er ist Ansprechpartner für Studierende, aber auch für interessierte Schülerinnen und Schüler. Für BIOLAGO sprach Martina Keller-Ullrich mit Prof. Wittmann über die Umstellung vom Diplom- auf den Bachelor- und Master-Studiengang.
Konstanz gilt als Reform-Universität. War man hier auch schnell bereit, sich auf Bachelor/Master umzustellen oder gab es dagegen auch Widerstände?
In der Tat war Konstanz sehr schnell mit der Umsetzung. So wurde der Studiengang Life Science, als er vor fünf Jahren ins Leben gerufen wurde, sofort als Bachelor-/Master-Studiengang angeboten. Bei Chemie war das etwas anders, denn diesen Studiengang gibt es bereits seit Gründung der Universität.
Die Umstellung war allerdings unproblematisch aufgrund einer Konstanzer Besonderheit. Die Diplomnote hat sich hier schon immer teilweise aus studienbegleitenden Klausurnoten zusammengesetzt. 1999 haben wir das so genannte „Würzburger Modell“ eingeführt, das starke Ähnlichkeiten mit dem Bachelor-/Master-Studiengang hat. Auch dabei gab es ein „Basisstudium“, das sechs Semester gedauert hat und eine im Durchschnitt vier Semester lange „Vertiefungsphase“, die dem heutigen Master ähnelt.
Vor drei Jahren hat die Chemie dann auf den Bachelor umgestellt, so dass die ersten Absolventen im Sommer ihr Studium beenden.
Was hat sich für die Studierenden geändert?
Prof. Valentin Wittmann ist Studiendekan für die Fächer Chemie und Life Science. (Foto: Keller-Ullrich )
Neu ist etwa der „Modulgedanke“. Dabei sollen verschiedene Lehrformen zu einem Modul zusammengefasst werden, also eine Vorlesung, eine Übung und ein Praktikum. Das war in der Konstanzer Chemie zwar auch schon früher so, aber nun heißt es offiziell Modul und man muss entscheiden, was man sinnvoll zusammenpackt. Die einzelnen Module sollten möglichst institutsübergreifend angelegt sein, also etwa die Physikalische und die Organische Chemie lehren gemeinsam Analytische Chemie. Das ist ausgesprochen sinnvoll und in Konstanz überhaupt kein Problem, weil es keine Institutsgrenzen gibt.
Eine gute Idee sind auch die „Schlüsselqualifikationen“, die frei zu wählen sind. Das kann etwa eine Sprache, Philosophie oder BWL sein. Obwohl die Praxis noch einige Wünsche offen lässt, ist der Ansatz gut, denn damit können die Studierenden ihren Horizont etwas erweitern.
Wie sind Ihre Erfahrungen damit, dass die Leistungen über die gesamte Studienzeit erbracht werden und nicht am Ende eine große Prüfung steht?
Das klingt zunächst ganz plausibel, aber ich sehe die Gefahr, dass am Ende das fächerübergreifende Wissen fehlt. Es sind Tendenzen zu beobachten, dass Studierende ein spezielles Gebiet lernen und es nach der Prüfung gleich wieder vergessen. Ich fürchte, dass sie die Zusammenhänge dann weniger erkennen, als wenn sie zum Abschluss des Studiums ihr ganzes Wissen parat haben müssen.
Außerdem gibt es einfach auch Studierende, die ein bisschen Anlaufschwierigkeiten haben und mit ein paar schlechten Noten am Beginn des Studiums können die sich dann ihren gesamten Schnitt verderben.
Ist der Bachelor ein Zugeständnis an die Wirtschaft auf Kosten der Wissenschaft?
Zumindest in der Chemie ist der Bachelor vor allem ein Zugeständnis an die Politik. Das Studium an einer Universität ist generell eher wissenschaftlich ausgerichtet. Ein Bachelor-Absolvent hat ohne eine weitere Ausbildung keine Chance für eine wissenschaftliche Laufbahn, dazu muss er noch den Master machen und anschließend promovieren. Und auch die Industrie kann Bachelor bisher nur wenig einsetzen. Sie konkurrieren mit ihrer dreijährigen Ausbildung mit den Laboranten, die wesentlich mehr praktische Erfahrung mitbringen. Wenn die Industrie einen Bachelor einstellt, dann noch eher einen von einer Fachhochschule, denn auch da ist der Praxisbezug größer.
Wie wichtig ist die internationale Vergleichbarkeit der Abschlüsse?
Die Mobilität wird größer, wenn nach drei Jahren ein erster Abschluss erreicht ist, der international anerkannt ist. Ein Bachelor-Absolvent kann seinen Master im Ausland machen oder auch in Deutschland an eine andere Universität wechseln. Während des Diploms war ein Wechsel nicht so einfach möglich.
Was die internationale Vergleichbarkeit angeht, muss man vorsichtig sein. Die Abschlüsse heißen zwar gleich, aber die Inhalte unterscheiden sich. Das deutsche Diplom hatte im Ausland ein sehr hohes Ansehen. Jetzt machen wir dasselbe, was alle machen und ich sehe darin die Gefahr des Qualitätsverlusts.
Wo könnte die Qualität leiden?
Die Universität Konstanz hat die Umstellung auf Bachelor und Master früh umgesetzt. (Foto: Universität Konstanz, Jochen Staudacher)
Da alle Bachelor-Studiengänge, ganz gleich um welches Fach es sich handelt, genau 180 so genannte „Credits“ umfassen und ein Credit für 30 Arbeitsstunden steht, sind wir gezwungen bei der praktischen Ausbildung eher abzuspecken. Diese Gleichmacherei halte ich nicht für sinnvoll. Wir legen viel Wert auf die praktische Ausbildung, also die Arbeit im Labor. Das ist in Deutschland wesentlich stärker ausgeprägt als in vielen anderen europäischen Ländern. Vor kurzem habe ich von besorgten Studierenden sogar einen Brief bekommen, dass es ausländischen Studierenden, die in höheren Semestern zu uns kommen, an Praxiserfahrung fehlt. Und mangelnde Erfahrung kann zu einem echten Risiko werden, denn schließlich gehen die Studierenden auch mit gefährlichen Stoffen um.
Dabei war doch eines der Argumente für die Umstellung gerade die größere Praxisnähe der Bachelor?
In einigen Fächern mag dies ja stimmen, für die Chemie trifft es jedenfalls nicht zu. Wer Life Science studiert, braucht ein achtwöchiges externes Berufspraktikum. Aber das ist gar nicht so einfach für die Studierenden, da einen passenden Platz zu bekommen, denn ein Praktikant, der nur acht Wochen da ist, macht meist mehr Arbeit als er nutzt. Um es den Studierenden etwas leichter zu machen, erkennen wir auch ein Praktikum in einem Forschungsinstitut an.
Der Master-Abschluss entspricht ja in etwa dem ehemaligen Diplom. Hat der Master einen Vorteil, den das Diplom nicht hatte?
Zum einen haben wir mehr räumliche Bewegung, das habe ich bereits gesagt. Zum anderen ist aber auch mehr fachliche Bewegung möglich, mit ganz neuen Kombinationen. Da es neben den konsekutiven auch nicht konsekutive Studiengänge gibt, können Studierende nach einem Chemie-Bachelor nicht nur einen Master in Chemie machen. Sie können auch einen ganz anderen Weg einschlagen, beispielsweise, wenn sie ein ökologisches Reisebüro eröffnen wollen. Dann studieren sie eine Naturwissenschaft und anschließend beispielsweise Tourismus oder Betriebswirtschaft. Solche Kombinationen sind völlig neu.
In den USA können Studierende auch ohne Master-Abschluss promovieren. Sind deutsche Studierende da im Nachteil?
Das ist tatsächlich so, dass in den USA viele Studierende direkt nach einem Bachelor-Abschluss mit der Promotion beginnen und daneben noch weiter verschiedene Kurse besuchen. Ein ähnliches Modell haben wir vor kurzem in Konstanz eingeführt: den „Fast Track“. Studierende mit einem sehr guten Bachelor-Abschluss können sofort mit der Promotion beginnen. Dieses Projekt läuft in Zusammenhang mit der Graduierten-Schule „Chemische Biologie“, die Konstanz im Rahmen der Exzellenzinitiative eingerichtet hat. Die Studierenden besuchen zu Beginn ihrer Promotion noch für ein Jahr Kurse des Master-Studiums, sparen sich aber die Master-Arbeit und sind damit rund neun Monate schneller.