Verstehen, was im Teig passiert
Ob Tiefkühl-Pizza, Fertigteig, Vollkornbrot oder Pfannkuchen – Teigprodukte sollen heutzutage nicht nur schmecken, sondern auch zunehmend gesünder, länger haltbar und qualitativ besser sein. Für die Entwicklung neuer Rezepturen und Erzeugnisse ist die Messung vieler Reaktionen wie die durch mikrobielle Gärungsaktivität bedingte Gasbildung ein wesentlicher Bestandteil. In Zusammenarbeit mit dem Forschungszentrum von Nestlé hat Dr. Helmut Trautmann mit seinem Unternehmen abiotec AG einen handlichen Gasmengen-Monitor für Teigproben entwickelt, der für die Entwicklung und Qualitätssicherung von Nahrungsmitteln einen wichtigen Beitrag leistet. Neben der Anwendung in der Lebensmitteltechnologie ist das hochsensitive Messgerät zudem für Fragestellungen im Bereich Pharma und Umwelttechnik unter anderem im Bereich der Biogasproduktion einsetzbar, wie Dr. Helmut Trautmann im Interview mit BIOPRO berichtet.
Stolz auf seine Entwicklung: Dr. Helmut Trautmann mit seinem Gasvolumen-Monitor, der neben dem Lebensmittelbereich auch in der Pharmazeutik und bei der Biogas-Produktion eingesetzt werden kann
© Privat
Herr Dr. Trautmann, Sie haben den Gasvolumen-Monitor auf Initiative des Konzerns Nestlé entwickelt. Was sind die Fragestellungen der Lebensmitteltechnologen und wie können diese mithilfe Ihres Apparates gelöst werden?
Für die Entwicklung von Pizza-Fertigteigzubereitungen, wie wir sie in den Kühlregalen der Supermärkte finden, führt Nestlé spezifische Entwicklungstätigkeiten durch. Diese betreffen sowohl die Teigrezeptur als auch die eingesetzten Hefestämme. Anders als bei konventionellen Hefeteigen – mit kurzer Gärzeit in der Wärme – entfalten die eingesetzten Hefen unter gekühlten Bedingungen ihre Gasbildungsaktivität sehr langsam und über eine Dauer von mehreren Wochen hinweg. Gegenüber Bedingungen in der Wärme haben wir es hier mit um Zehnerpotenzen reduzierten Aktivitäten zu tun. Diese bestimmen im Wesentlichen die Haltbarkeitsspanne des Produktes. Zur sicheren Bewertung diverser Formulierungen benötigten die Entwickler eine sehr sensitive und langzeitstabile Gasvolumenmesstechnik. Marktübliche Fermentographen erfüllen diese anspruchsvollen Anforderungen bei Weitem nicht. Mit dem von uns entwickelten Gasvolumen-Monitor können die gestellten Aufgaben vollumfänglich gelöst werden. Das System erlaubt nun eine bis zu 1000fach empfindlichere Messung als dies zuvor bei herkömmlichen Geräten möglich war.
In welchen Anwendungsfeldern kommt das Gerät in der Nahrungsindustrie noch zum Einsatz?
Unter der Fülle der Möglichkeiten, die ein sensitives Gasmengen-Monitoring interessant erscheinen lässt, möchte ich hier nur zwei Anwendungen nennen: einmal aus dem Bereich Backhefe und zum anderen aus dem Bereich der Milchverarbeitung. In der alltäglichen Qualitätssicherung der großen Backhefe-Produzenten stellt die Triebkraftmessung ein essentielles Qualitätskriterium der jeweils zum Verkauf anstehenden Chargen dar. Neben den haushaltsüblichen Presshefewürfeln werden zudem gerade für Grossverbraucher anwendungsfreundliche Flüssigzubereitungen in Tankwagen angeboten. Hier berechnet sich der Verkaufspreis nicht nach Gewicht sondern nach der effektiven Triebkraft. Durch die exakte und zeitlich hochauflösende Erfassung der Gasbildung sowie deren abgeleiteten Grössen lässt sich die derzeitige Qualitätssicherung sowie spätere Nachkontrollen von jeweils ein bis zwei Stunden auf etwa eine halbe Stunde senken. Damit kann der Durchsatz im QS-Labor deutlich erhöht werden. Gleichzeitig ermöglichen die neuen zusätzlich gewonnenen Kenngrössen den Zugang zu erweiterten Qualitätsattributen und verbessern auch die Sicherheit bei der Beurteilung von Hefechargen. Bei dieser Thematik sind wir primär im Dialog mit der Versuchsanstalt der Hefeindustrie e.V. in Berlin.
Seit Ende vergangenen Jahres setzt Dimitrios Vasilakopoulos von Nestlé PTC in Singen den von abiotec entwickelten Gasvolumen-Monitor ein
© H. Trautmann
Und wie kann die Milchwirtschaft von Ihrer Entwicklung profitieren?
In den vergangenen Monaten haben wir das System in der Milchverarbeitung an einer Schweizerischen Forschungsanstalt getestet. Wie bekannt, verdankt der Emmentaler Käse sein typisches Aroma und nicht zuletzt seine charakteristischen Löcher einer CO2-liefernden Sekundärgärung durch Propionsäurebakterien. Dieser Prozess vollzieht sich im Reifungskeller bei etwa 5 Grad Celsius über Monate hinweg und sein Verlauf beeinflusst massgeblich die resultierende Produktqualität. Hier gilt es, Fehlgärungen rechtzeitig zu erkennen und möglicherweise entgegenzuwirken. Mit unserem System können wir – wie sich im Vergleich mit einem bisher dort eingesetzten CO2-Messgerät gezeigt hat – die minutiöse Charakteristik dieses Reifungsprozesses gut dokumentieren. Damit wäre eine kostengünstige und einfach multiplizierbare Messanordnung für diese Anwendung gegeben. Aktuell erweitern wir das Spektrum unserer Druckmessgefässe deshalb auch um einen grossen Spezialbehälter zur ungeteilten Aufnahme kleiner Käselaibe.
Welches Messprinzip liegt dieser Entwicklung zugrunde und wie groß können Teigproben für die Analyse maximal sein?
Die Ermittlung gebildeter Gasmengen erfolgt über dicht verschlossene Messeinheiten mittels einer präzisen und langzeitstabilen Absolutdruckmessung. Während des Versuchsablaufs werden minimale Druckänderungen aufgezeichnet, diese dienen als Grundlage zur Berechnung gebildeter Gasvolumina. Bei Überschreiten einer definierbaren Druckschwelle wird über ein Magnetventil ein kurzzeitiger Druckausgleich mit der Umgebung ausgeführt, anschließend wird die integrierende Messung konsistent fortgesetzt. Durch dieses Prinzip sind wir in der Lage, möglichst störungsfrei und zudem unabhängig von Standort und Wettereinflüssen zu messen. Das Basisgerät wurde für kleine Teigmengen im Bereich zwischen zehn und 200 Gramm konzipiert. Auf Wunsch haben wir jedoch bereits auch Behältnisse für deutlich größere Probemengen angefertigt, hier sind wir kaum limitiert.
Gasvolumen-Monitor im Einsatz: Durch eine langzeitstabile Absolutdruckmessung ermittelt das Gerät die gebildeten Gasmengen
© Nestlé
Inwiefern gibt das Gerät Aufschluss über sich zeitlich verändernde Vorgänge im Teig?
Wir bestimmen über unsere Messanordnung nicht nur einige diskrete Messpunkte sondern erhalten eine zeitlich hochauflösende Messkurve. In der spezifischen Charakteristik einer solchen Kurve lassen sich beispielsweise recht gut Biohefen von „normalen“ Hefen unterscheiden. Einen weiteren Aspekt finden wir bei der Anwendung von Backfermenten, mit denen über mehrere Stufen von Vorteigen über Tage hinweg eine sogenannte lange Teigführung realisiert wird. Diese natürlichen Prozesse waren in der vorindustriellen Zeit der Brotzubereitung über den Sauerteig seit Jahrtausenden der Normalfall. Sie führen im Wesentlichen über Mischkulturen von Milchsäurebakterien und Hefen zu einem Brot mit verbesserten Attributen bezüglich Verdaulichkeit, Aroma, Geschmack und Haltbarkeit und erfreuen sich deshalb zunehmender Beliebtheit. Zusätzlich weisen solche Brote ernährungsphysiologisch verbesserte Eigenschaften auf. Die Gasbildungsverläufe aus solchen langen Teigführungen zeigen im Gasvolumen-Monitor recht gut die zunächst moderate und später deutlich ansteigende Gasbildungsaktivität an. Interessant ist auch die Identifikation polyauxischer Prozesse, das heißt, die stufenweise Adaption von Organismen an sich zeitlich ändernde Kulturbedingungen, die wiederum zu stufenweiser Gasbildungsaktivität führt. Über Rastererkennung lassen sich in der Folge hier interessante Muster automatisch detektieren.
Welchen Beitrag bietet er betreffend einer längeren Haltbarkeit von Lebensmitteln und der Überwachung Ihrer Qualitätssicherung?
Der Verderb von Lebensmitteln ist oft durch mikrobielle Einflüsse verursacht. Damit verbundene Stoffwechselvorgänge gehen zumeist mit einer Gasbildung einher. In einem fortgeschrittenen Stadium indizieren dann aufgeblähte Verpackungen schon rein optisch jedem Verbraucher, dass die Ware verdorben ist. Die Frühstadien hierzu sind oft durch geringste Effekte gekennzeichnet. Unter Umständen kann auch vor der einsetzenden Gasbildung sogar eine kurze Phase des Gasverbrauchs auftreten. Diesen Effekt konnten wir aktuell am Beispiel von Joghurt mit beginnendem Schimmelpilzbefall feststellen.
Das rein physikalische Online-Messverfahren ermöglicht zudem in Echtzeit Aussagen über die zugrundeliegende Reaktionskinetik. Aufwändige und meist nur punktuell ausgeführte Offline-Labortests können damit zunächst ergänzt oder in einer späteren Phase gar ganz überflüssig werden.
Dank des Gasvolumen-Monitors wird es nun einfacher, neue teighaltige Rezepturen auszuprobieren und die Qualität zu gewährleisten
© Nestlé
Wie unterscheiden sich das Gärverhalten und Stoffwechselleistungen bei Messungen bei kühlen Temperaturen um den Gefrierpunkt und bei heißen 45 Grad?
Wie alle biochemischen Reaktionen unterliegen auch die Gärungsreaktionen einer Temperaturabhängigkeit. Die Reaktionsgeschwindigkeit erhöht sich normalerweise mit steigender Temperatur exponentiell. Für normalen Hefeteig gilt für Temperaturen bis 37 Grad: je wärmer es ist, desto schneller erfolgt die Gasbildung. Darüber hinaus setzt dann schon bald die thermische Schädigung ein, so werden zum Beispiel bei 45 Grad Kurzzeitstresstests zur Simulation einer längeren Lagerungsphase für Hefen durchgeführt.
Der Gasvolumen-Monitor ist aber auch für Aufgabenstellungen aus den Gebieten Pharmazeutik und Umwelt geeignet. Welche können das sein?
Sämtliche biochemischen Reaktionen, die mit einer entsprechenden Gasbildungs- oder auch Gasverbrauchsreaktion einhergehen, können erfasst werden. Das Gerät kann im Bereich Alternative Energien und Umwelt zur Erfassung der Biogasproduktion oder bei der Abwasserthematik im Rahmen des dort typischen Biochemischen Sauerstoffbedarfs über 5 Tage, also der BSB5-Wert-Bestimmung, eingesetzt werden. In der Pharmaindustrie wäre beispielsweise der Einsatz zur Prüfung der Dichtigkeit von Inhalationsarzneiformen wie Dosierinhalatoren denkbar. Des Weiteren kann das Gerät der Erfassung von Veränderungen an oxidationsempfindlichen Substanzen und Zubereitungen dienen. Auch rein physikalische Effekte, die auf Gassorptions- oder Desorptionsphänomenen beruhen, lassen sich messen. Das Konzept ist grundsätzlich völlig offen. Weitere – auch ausgefallene – Anwendungsideen von Partnern aus Wissenschaft und Industrie sind gern willkommen.