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Wissenschaftler erforschen wie Ribosomen entstehen

Ribosomen sind hochkomplexe zelluläre Nanomaschinen für die Proteinbiosynthese. Ihre Struktur ist heute mit hoher Auflösung bekannt. Der Zusammenbau der Ribosomen aus unreifen Prä-Ribosomen erfolgt wie an einem Montage-Förderband bereits im Zellkern unter Beteiligung zahlreicher Biogenese-Faktoren, die als Werkzeuge dienen. Heidelberger Forscher haben wesentlich zum jetzigen Verständnis von Struktur und Funktion des prä-ribosomalen Montage- und Transportprozesses und der daran beteiligten Biogenese-Faktoren beigetragen.

Eine typische Leberzelle von zwei Milliardstel Gramm (2 ng) Gewicht enthält etwa 10.000 verschiedene Proteine in sehr unterschiedlichen Häufigkeiten: Von seltenen Proteinen sind vielleicht nur ein paar tausend Moleküle, von Aktin, dem Strukturprotein der Mikrofilamente, dagegen ein bis mehrere Milliarden Kopien pro Zelle vorhanden. Diese Proteine werden fortlaufend abgebaut und müssen durch neue ersetzt werden. Die Proteinproduktion erfolgt durch den Translationsprozess, die Übersetzung des genetischen Codes in Aminosäuresequenzen, mithilfe einer komplexen Nanomaschinerie, bestehend aus Ribosomen, messenger RNA (mRNA), Transfer-RNAs (tRNAs) und einer Reihe von Proteinfaktoren.

Höchst effektive Nanomaschinen

Dreidimensionales Modell eines Ribosoms © DESY

Im Zentrum des Prozesses stehen die Ribosomen. Das sind Aggregate aus langen ribosomalen RNA-Ketten (rRNAs) und zahlreichen ribosomalen Proteinen (r-Proteine). Sie synthetisieren Proteine, indem sie eine Aminosäure nach der anderen, die von tRNAs herangeschafft werden, zu einer wachsenden Peptidkette polymerisieren und dabei an der mRNA, die den genetischen Code trägt, entlangfahren. An einer mRNA-Kette sind simultan viele Ribosomen tätig; sie arbeiten mit einer kaum glaublichen Effizienz: Jedes knüpft pro Sekunde etwa 15 Peptidbindungen zusammen. In einer Leberzelle können zehn Millionen oder mehr aktive Ribosomen enthalten sein.

Vor allem dank der Arbeiten des Amerikaners Thomas A. Steitz, des Inders Venkatraman Ramakrishnan und der Israelin Ada Yonath, die 2009 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurden, ist die dreidimensionale Struktur des Ribosoms heute bis in atomare Einzelheiten hinein bekannt (siehe Nobel Lecture von Ada Yonath; deutsche Fassung: Angewandte Chemie 122, 4439-4453, 2010). Durch die Röntgenstrukturanalysen, die Yonath unter anderem als Leiterin einer Max-Planck-Forschungsstelle am DESY in Hamburg in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Molekularbiologischen Laboratorium (EMBL) durchgeführt hatte, sind die Struktur-Funktions-Beziehungen mit den Bindungsstellen im Ribosom und den einzelnen Reaktionsschritten der Proteinbiosynthese heute besser verstanden als bei anderen komplexen Zellkomponenten. So können auch Fehlfunktionen der Ribosomen, die schwerwiegende Stoffwechselstörungen und Krankheiten wie Krebs zur Folge haben, jetzt auf molekularer und atomarer Ebene untersucht werden.

Ribosomen-Entstehung

Prof. Dr. Ed C. Hurt © BZH Universität Heidelberg

Eine intensiv erforschte, die Nanobiotechnologen besonders interessierende Fragestellung betrifft die Entstehung dieser hoch effizienten und komplexen zellulären Nanomaschinen selbst: Wie werden die Einzelkomponenten gebildet und zu funktionellen Ribosomen zusammengesetzt, und wie werden sie an ihren Funktionsort in der Zelle transportiert? Das ist das Hauptarbeitsgebiet von Professor Dr. Eduard C. Hurt am Biochemie-Zentrum der Universität Heidelberg (BZH).

Alle Ribosomen bestehen aus zwei Teilen, der großen und der kleinen Untereinheit. Die zytoplasmatischen  Ribosomen eukaryontischer Zellen sind größer und komplexer als prokaryontische Ribosomen (zu denen auch die Ribosomen der Mitochondrien und Chloroplasten in den Eukaryontenzellen gehören). Die beiden Untereinheiten eukaryontischer Ribosomen, um die es im Folgenden geht, sind aus zwei langen und zwei kurzen rRNA-Ketten, die zusammen etwa zwei Drittel der Masse des Ribosoms ausmachen, sowie über 70 unterschiedlichen r-Proteinen zusammengesetzt.

Elektronenmikroskopisches Bild der rRNA-Transkription im Nucleolus einer Hefezelle. Erklärung im Text. © Prof. Dr. M. Trendelenburg

Die Gene, von denen die rRNA-Ketten direkt transkribiert werden, sind in einer oder mehreren speziellen Regionen der Chromosomen im Zellkern lokalisiert, dem Nucleolus (Mehrzahl: Nucleoli). In Zellen mit einer hohen Proteinsyntheserate liegen die Gene für die rRNAs in oft vielen hintereinandergeschalteten Kopien vor. Diese Amplifikation der rDNA erlaubt es, die Synthese der rRNA-Ketten im Elektronenmikroskop mit einer speziellen Spreitungstechnik sichtbar zu machen. Man erkennt dann die RNA-synthetisierenden Enzymkomplexe (DNA-abhängige RNA-Polymerasen) perlenschnurartig im Abstand von etwa 40 nm am zentralen rDNA-Faden aufgereiht. Und wie Zweige von einem Baum wachsen seitlich die RNA-Fäden nach außen, wobei die vorderste Polymerase bereits das Gen in seiner ganzen Länge abgefahren hat, während das letzte Enzym gerade erst mit der Synthese begonnen hat.

Montage der Prä-Ribosomen im Zellkern

Bereits im Nucleolus beginnt der Zusammenbau der Ribosomen aus den Einzelkomponenten. Außer den vier rRNA-Ketten und etwa 70 r-Proteinen sind am Prozess der Ribosomen-Entstehung noch etwa 200 prä-ribosomale Biogenese-Faktoren beteiligt, die von Prof. Ed Hurt als „Werkzeuge“ bezeichnet werden. Es handelt sich um evolutionär konservative Proteinfaktoren, die sich zeitlich und räumlich koordiniert an die unreifen sogenannten Prä-Ribosomen im Zellkern anlagern und sie wie an einem Förderband in der Montagehalle bearbeiten, bis die reifen Ribosomen-Untereinheiten durch die Membran des Zellkerns ins Zytoplasma transportiert werden. Sie werden dabei durch den Porenkomplex der Kernhülle geschleust, der ebenfalls eine komplexe Nanomaschine aus etwa 30 unterschiedlichen Bausteinen mit insgesamt mehreren hundert Teilen darstellt, die von der Arbeitsgruppe Ed Hurt detailliert erforscht wird (siehe In-vitro-Modellierung des Kernporenkomplexes von thermophilem Pilz).

Die am Prä-Ribosom (blau) gebundene Rea1 ATPase besteht aus einem Motorkopf und einem beweglichen Hebelarm (rosa). Der Motorkopf überträgt bei der Spaltung von ATP eine vektorielle Kraft auf den Hebelarm, der gegen das Prä-Ribosom ausschlägt und dort sitzende Biogenese-Faktoren (grün und gelb gezeichnet) ablöst. © Universität Heidelberg

Für ihre Untersuchungen verwenden die Heidelberger Forscher als Modellorganismus den hitzeliebenden Pilz Chaetomium thermophilum, dessen Genom aus 28 Millionen Basenpaaren von Hurts Arbeitsgruppe in Zusammenarbeit mit der von Peer Bork am Europäischen Molekularbiologischen Laboratorium (EMBL) entschlüsselt worden ist. Ed Hurt hatte selbst als Forschungsgruppenleiter am EMBL gearbeitet, bevor er 1995 zum C4-Professor an die Universität Heidelberg berufen wurde, ist für seine Arbeiten vielfach ausgezeichnet worden, darunter 2001 mit dem Leibniz-Preis, der höchstdotierten von der deutschen Wissenschaft vergebenen Auszeichnung, und 2007 mit dem Feldberg-Preis für den Deutsch-Britischen Wissenschaftsaustausch. Sein aktuelles, bis 2016 laufendes Forschungsprojekt zur Ribosomen-Entstehung wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen eines Reinhard-Koselleck-Projektes mit ca. 1,5 Millionen Euro gefördert. Das Wissen um die Struktur und Funktion der einzelnen Montagewerkzeuge und der äußerst komplizierte Montage-Maschinerie bei Chaetomium kann auch für die Medizin von Bedeutung sein, wie Hurt erklärte. Die Rate der Proteinbiosynthese und die Wachstumsfähigkeit einer Zelle werden durch die Ribosomen bestimmt, und Fehler in ihrem Aufbau und ihrer Entstehung können zu Krankheiten wie Krebs führen. Biogenese-Faktoren sind daher attraktive Zielmoleküle für die Krebstherapie (siehe "Heidelberger Biochemiker wird mit Reinhart-Koselleck-Projekt gefördert").

Ein mechano-chemisches Werkzeug

Damit das aus der reifen großen und kleinen Untereinheit zusammengesetzte Ribosom an der mRNA im Zytoplasma seine Arbeit aufnehmen kann, müssen die Biogenese-Faktoren wieder abgelöst werden. Zusammen mit Dr. Bettina Böttcher (ehemals EMBL, jetzt University of Edinburgh, Schottland) haben Ed Hurt und seine Mitarbeiter die Funktionsweise eines bemerkenswerten Montagewerkzeuges zur mechano-chemischen Ablösung anderer Biogenese-Faktoren vom Prä-Ribosom aufgeklärt. Es handelt sich um ein als Rea1 ATPase bezeichnetes Motorprotein, das chemische Energie aus der Spaltung von ATP in mechanische Arbeit umsetzt. Es besteht aus einem Motorkopf und einem langen beweglichen Hebelarm, die beide an zwei verschiedenen Stellen des Prä-Ribosoms andocken. Durch die ATP-Spaltung im Motorkopf wird wie bei einer Spiralfeder eine Spannung aufgebaut, deren Freisetzung den Hebelarm gegen das Prä-Ribosom vorschnellen lässt und dort sitzende Biogenese-Faktoren ablöst.

Die Aufklärung des Rea1 ATPase-Mechanismus bedeutet einen weiteren Schritt im molekularen Verständnis der Biogenese und Funktion der Ribosomen - jener wunderbaren zellulären Nanomaschinen par excellence, deren Komplexität bei weitem alles übersteigt, was menschliche Nanotechnologen an Bauplänen gegenwärtig entwerfen können.

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