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Wissenschaftler mit Unternehmergeist

Ein eigenes Unternehmen zu gründen – dieser Gedanke beschäftigt die beiden Biologen Dr. Brigitte Angres und Dr. Helmut Wurst bereits seit mehreren Jahren. Als Vorbild dient ihnen die kalifornische Biotech-Firma Clontech, bei der sie selbst einige Jahre in der Produktentwicklung tätig waren. Unter dem Dach des NMI in Reutlingen fanden die beiden Naturwissenschaftler jetzt ein gutes Umfeld, um endlich auch ihre eigene Geschäftsidee zur Marktreife zu bringen.

Die Arbeit mit Zellkulturen ist aus der biologischen und medizinischen Grundlagenforschung nicht mehr wegzudenken. Auch in der Pharmaindustrie gewinnen die in vitro kultivierten Zellen - vor allem bei der Testung neuer Wirkstoffe - zunehmend an Bedeutung. Doch die bisher eingesetzten Systeme haben eine entscheidende Schwachstelle.

Dr. Helmut Wurst und Dr. Brigitte Angres

Momentan werden die Zellen nämlich in flachen Schalen kultiviert, wo sie einen dünnen Zellrasen ausbilden. „In dieser zweidimensionalen Kultur verhalten sich die Zellen aber oft nicht mehr so, wie sie es im lebenden Organismus normalerweise tun", berichtet Dr. rer. nat. Brigitte Angres, die am Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Institut (NMI) an der Universität Tübingen die Abteilung Zelluläre Testsysteme leitet.

Einen Ausweg aus dieser Problematik liefert jetzt die Methode der dreidimensionalen Zellkultivierung, die die räumliche Struktur eines Organs sehr viel exakter wiedergeben kann. Doch das Angebot an geeigneten Trägermaterialien, auf denen die Zellen wachsen können, ist noch sehr begrenzt. Zusammen mit ihrem Kollegen, Dr. rer. nat. Helmut Wurst, ist Angres jetzt aber ein entscheidender Durchbruch gelungen. Ihr Produkt, eine innovative synthetische Matrix (Hydrogel), die sich mit Hilfe verschiedener Biofaktoren individuell modifizieren lässt, ist bei Zellbiologen bereits sehr gefragt. „Wir denken aber, dass sich auch in der Medizintechnik und in der Pharmaindustrie entsprechende Märkte eröffnen werden", so die beiden Wissenschaftler.

Kundenwünsche stehen im Mittelpunkt

Angres und Wurst, die seit ihrer gemeinsamen Postdoc-Zeit an der amerikanischen Stanford University nicht nur beruflich ein Team bilden, sind vom wirtschaftlichen Potenzial ihres Produktes fest überzeugt. Jetzt wollen die beiden Wissenschaftler die Gunst der Stunde nutzen und einen lang gehegten Plan in die Tat umsetzen – nämlich ein Unternehmen zu gründen. „Ich wollte mich schon immer selbstständig machen“, bekennt Wurst freimütig. Richtig Blut geleckt hatten die beiden Biologen aber vor allem während ihrer Zeit als Forschungsgruppenleiter bei der kalifornischen Biotech-Firma Clontech. „Dort haben wir gelernt, wie man aus einer Idee ein Produkt macht“, so Wurst.

Kultivierung von Nierenepithelzellen in einem synthetischen Hydrogel. Die Modifikation des Gels mit einem Adhäsionspeptid © Angres, Wurst / NMI

Fünf Jahre arbeiteten die beiden bei Clontech und seinem visionären Gründer Kenneth Fong – ausreichend Zeit also, um sich von ihm die wichtigsten Regeln einer erfolgreichen Unternehmensgründung anzueignen. „Er hat es hervorragend verstanden, seine Visionen zu vermitteln“, so Wurst, „und vor allem hat er gezeigt, wie man Mitarbeiter führt und motiviert.“ Eine der wichtigsten Lektionen, die Wurst und Angres gelernt haben, ist aber, dass die Bedürfnisse der Kunden stets im Mittelpunkt der Arbeit zu stehen haben. Übertragen auf das eigene Produkt bedeutet das, dass die Handhabung und Nutzung der neu entwickelten Matrix nicht allzu komplex werden darf. „Man sollte nicht unbedingt ein Chemiestudium benötigen, um damit arbeiten zu können“, umschreibt Wurst die Problematik mit einem Schmunzeln. Gleichzeitig müssen die Ergebnisse aber absolut reproduzierbar sein und die Kosten dafür überschaubar bleiben. Hohe Anforderungen, die schon bei der Produktentwicklung bis ins letzte Detail berücksichtigt werden müssen.

Förderperiode dürfte länger sein

Zu Beginn des neuen Jahrtausends hat es Angres und Wurst wieder nach Deutschland zurückgezogen. Unter dem Dach des NMI in Reutlingen fanden die beiden Wissenschaftler schließlich gute Voraussetzungen, um die Geschäftsidee, die bereits seit geraumer Zeit in ihren Köpfen herumspukte, in ein marktfähiges Produkt zu verwandeln. „Ich habe am NMI mit dem festen Vorsatz angefangen, hier die Grundlagen für ein eigenes Unternehmen zu schaffen“, erinnert sich Wurst rückblickend. Das NMI bietet dafür nicht nur die technologische Basis, sondern offeriert den potenziellen Gründern in der wichtigen Seed- und Start-Up-Phase auch die fachliche und organisatorische Unterstützung.

Zur Vorbereitung der Firmengründung besorgten sich Angres und Wurst unterdessen eine Förderung durch das EXIST-Forschungstransfer Programm. Dieses Programm des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie finanziert den beiden über einen Zeitraum von insgesamt 18 Monaten die Gehälter von drei Mitarbeitern sowie die Kosten für diverse Materialien und Gerätschaften. „Diese Förderperiode dürfte ruhig etwas länger sein“, befindet Wurst aufgrund der bisher gemachten eigenen Erfahrungen. Auch wenn eine einmalige Verlängerung des EXIST-Stipendiums möglich ist, so wissen Angres und Wurst doch, dass sie sich noch auf die Suche nach einem weiteren Kapitalgeber machen müssen. „Wir wollen langfristig wachsen“, so Angres. Ideal wäre deshalb das Engagement eines Business-Angels, der in der Branche nicht nur über die entsprechenden Kontakte verfügt, sondern auch langfristig in das neue Unternehmen investieren möchte.

Standort im Raum Tübingen/Reutlingen

Der nächste Schritt für Angres und Wurst ist aber, das fast fertige Produkt jetzt erst einmal in die Produktion zu bringen. Zudem müssen das Marketing und geeignete Vertriebskanäle auf den Weg gebracht und erschlossen werden. Glücklicherweise können die beiden Biologen auch diesbezüglich wieder auf ihre bei Clontech gemachten Erfahrungen zurückgreifen. „Wir waren dort auch als Wissenschaftler intensiv in entsprechende Aktivitäten eingebunden“, so Wurst, „dabei konnten wir wertvolle Erfahrungen sammeln, die uns jetzt als Unternehmer wieder zugute kommen.“

Auch in der Standortfrage haben sich Angres und Wurst schon Gedanken gemacht. „Uns gefällt das wirtschaftliche Umfeld in der Region sehr gut“, sagen beide unisono. Gerade die Nähe zur Medizintechnik-Branche könnte sich bei der Erschließung neuer Märkte noch als sehr hilfreich erweisen. Trotzdem trauern Angres und Wurst manchmal der Just-do-it-Mentalität im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ein wenig hinterher. „In Deutschland hat man es bei der Unternehmensgründung oft mit zu vielen Bedenkenträgern zu tun“, findet Wurst. Die zahlreichen Regularien und Formalitäten, die es zu beachten gilt, seien zum Teil sehr zeitaufwändig und zögerten den Beginn der Produktion immer wieder um einige Monate hinaus. „Diese Dinge sind zwar wichtig“, wissen Angres und Wurst, „man muss allerdings aufpassen, dass man von der Marktdynamik und den Produkten der Konkurrenz nicht irgendwann eingeholt wird, weil man selbst zu lange gebraucht hat.“ Damit das nicht geschieht, soll für das Unternehmen von Angres und Wurst jetzt schon bald der endgültige Startschuss fallen.

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