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Zecken - Umwelt - Pathogene: ein komplexes System

In Europa sind Zecken die wichtigsten Überträger von Krankheiten auf Mensch und Tier. Neben Frühsommer-Meningoenzephalitis-Viren übertragen die in Baden-Württemberg endemischen Zeckenarten auch humanpathogene Bakterien wie Borrelia burgdorferi sensu lato und Rickettsien. Trotz vieler Ansätze ist das komplexe ökologische System der Zecke noch weitgehend unverstanden. Welchen Einfluss haben Vegetation, Wirtspopulation und das Klima auf das Zeckenvorkommen? Welche Pathogene werden zu welcher Zeit und von welchen Zecken übertragen? Diesen Fragen widmet sich Dr. Patrick Sebastian vom Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg. Er ist einer der Projektpartner, die genau diese Dynamiken innerhalb eines vom Umweltministerium Baden-Württemberg geförderten Projekts untersucht haben.

Dr. Patrick Sebastian vom Referat 93 für Allgemeine Hygiene und Infektionsschutz des LGA Baden-Württemberg untersucht Zecken auf Pathogene. © privat

Seit zwei Jahren fördert das Umweltministerium das interdisziplinäre BWPLUS-Verbundprojekt "ZUP - Z(ecken) U(mwelt) P(athogene) Baden-Württemberg". Es wird von Dr. Trevor Petney vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) koordiniert. Projektpartner sind das Landesgesundheitsamt (LGA) Baden-Württemberg, das Zoologische Institut (Abteilung Ökologie und Parasitologie) und das Institut für Geographie und Geoökologie am KIT, die Universität Hohenheim (Institut für Zoologie) und die tick-radar GmbH aus Berlin.

Dr. Patrick Sebastian vom LGA Baden-Württemberg untersucht in seinem Teilprojekt das komplexe Interaktionssystem von Zecken mit ihrer Umwelt, ihren Wirten und den von ihnen übertragenen Pathogenen. Hierfür untersucht er die im Feldversuch gesammelten Zecken im Labor des LGA auf die von ihnen übertragenen Krankheitserreger.

Der Versuchsaufbau - welche Parameter sind wichtig?

Lena Kratzer, Mitarbeiterin des Zoologischen Instituts am KIT, beim Flaggen im Wald © Lena Kratzer

Zur Datenerhebung wurden in ganz Baden-Württemberg 25 typische Waldgebiete mit Klimastationen bestückt. „An diesen Stationen werden unter anderem Temperatur und Luftfeuchtigkeit aufgezeichnet. Regelmäßig werden hier Zecken gesammelt, um diese anschließend auf mögliche Pathogene zu untersuchen“, erklärt Sebastian den Versuchsansatz und erläutert: „Beim Flaggen wird die Vegetation mit einem großen weißen Baumwolltuch abgestrichen, wobei sich aktive Zecken in diesem verfangen und abgesammelt werden können.“ Zusätzlich wurden Kleinsäuger wie Mäuse gefangen und auf Zecken untersucht. Mäuse als Wirt und ihre Populationsgröße spielen im ökologischen System der Zecke eine wichtige Rolle.

Zecken schon ab 6 Grad Celsius aktiv auf Wirtssuche

Ixodes ricinus in Lauerstellung. © www.zecken.de

Zecken durchlaufen einen Entwicklungszyklus mit drei Stadien - von der Larve über die Nymphe zum adulten Männchen oder Weibchen. Das Projekt zeigt, dass alle Stadien schon ab 6 °C aktiv auf Wirtssuche sind. „Erst nach mindestens zwei bis drei Nächten bei -20 °C sterben Zecken in der Laubschicht. Diese Temperatureinbrüche sind diesen Winter jedoch ausgefallen, sodass schon im Januar aktive Zecken an manchen Klimastationen geflaggt wurden“, berichtet Sebastian.

Am KIT und beim LGA wurde zunächst anhand morphologischer Kriterien die Zeckenart bestimmt. Die Forscher fanden hauptsächlich die Schildzeckenart Ixodes ricinus, auch als gemeiner Holzbock bekannt. Die Nymphen von I. ricinus sind am häufigsten von April bis Juli zu finden und die adulten Tiere am häufigsten im Zeitraum August bis Oktober. Ixodes accuminatus und I. trianguliceps wurden ebenfalls gefunden. Beide suchen nicht wie I. ricinus aktiv ihren Wirt, sondern leben eng assoziiert mit ihren Wirten in deren Mäusenestern. Daher kommen sie nur sehr selten in Kontakt mit Menschen. Und die als Auwaldzecke bekannte Schildzeckenart Dermacentor reticulatus konnte vermehrt im Hardtwald bei Karlsruhe geflaggt werden.

Pathogenbestimmung mittels PCR im Landesgesundheitsamt

Borreliose-Bakterium (links) und FSME-Virus (rechts). © www.zecken.de

Im Labor des LGA wurden die nach Stadien sortierten Tiere auf einen eventuellen Befall untersucht. Dafür wurde aus den Zecken Nukleinsäure  isoliert. „Einerseits wurde DNA für den Test auf vorhandene Bakterien-DNA (Borrelia burgdorferi sensu lato und Rickettsia spp.) extrahiert. Und es wurde RNA für den Nachweis der FSME-Viren isoliert“, erklärt Sebastian. Diese RNA wurde mittels Reverser Transkriptase (RT) in DNA umgeschrieben. Der eigentliche Erregernachweis erfolgte anschließend für alle Erreger mittels PCR (Polymerase-Kettenreaktion).

Welche Zeckenarten übertragen welche Krankheiten?

Wandern gehen. Eine schwedische Studie hat ergeben, dass Nymphen von I. ricinus Menschen mit heller Kleidung bevorzugen. © www.zecken.de

„An manchen Standorten wie dem Auwald des oberrheinischen Tieflands wurden in bis zu 40 Prozent der untersuchten Zecken Bakterien der Gattung Rickettsia, ein von Ixodes ricinus übertragenes humanpathogenes Bakterium, gefunden“, so Sebastian. Dieses hohe Pathogenvorkommen war für die Forscher überraschend, da noch nicht viel über die verschiedenen in Baden-Württemberg vorkommenden Rickettsien-Arten und ihre humanmedizinische Bedeutung bekannt ist. Ebenfalls wurde auf Borrelia burgdorferi sensu lato getestet. Diese Artengruppe ist aus mindestens fünf separaten Genospezies zusammengesetzt, die alle Erreger der Infektionskrankheit Lyme-Borreliose sind. Borrelia burgdorferi s.l. wurde standortabhängig in 3 bis über 40 Prozent der untersuchten Zecken nachgewiesen. In anderen Schildzecken wie Ixodes trianguliceps und I. accuminatus wurden hingegen keine der erwähnten Pathogene gefunden.

Aber in Zecken der Gattung Dermacentor konnten in früheren Untersuchungen Rickettsia raoultii und Rickettsia slovaca identifiziert werden, die als humanpathogen gelten. „Eine Rickettsiose kann mit den gleichen allgemeinen Symptomen einhergehen wie eine akute Lyme-Borreliose“, erklärt Sebastian. Daher bleiben eventuell viele durch Rickettsia spp. verursachte Erkrankungen unerkannt.

Laut LGA liegt die Durchseuchung der Zecken mit FSME-Viren zwischen 0,5 und 4 % und der Südwesten Baden-Württembergs gilt auch weiterhin als besonders betroffen. Außerhalb des Projektes werden immer wieder Gebiete mit einer starken Verbreitung der FSME-Viren (sogenannte Endemiegebiete) lokalisiert. "Es wurden zum Beispiel FSME-übertragende Zecken in einem circa fußballfeldgroßen Standort bei Stuttgart-Botnang gefunden. Und vermutlich sind weitere FSME-Hotspots, neben den bekannten, nur noch nicht entdeckt", meint Sebastian.

Wie verbreiten sich die Erreger von Zecke zu Zecke und wie von Zecke zu Mensch?

Rötelmaus mit Zeckenbefall am Ohr. © Nina-Vanessa Littwin; Zoologisches Institut, KIT.

Sebastian erläuterte zwei vermutete Wege zur Verbreitung der Pathogene innerhalb einer Zecken-Population: „Beim Co-Feeding saugen zwei Zecken in direkter Nachbarschaft auf einer Maus. Hierbei kann sich eine nicht infizierte Zecke an einer FSME-positiven Zecke infizieren, ohne dass die Maus infiziert sein muss. Beim anderen Weg ist die Maus selbst mit einem Erreger infiziert. Bei Bakterien ist hier die Übertragungswahrscheinlichkeit auf eine saugende Zecke hoch, im Gegensatz zu FSME-Viren, die nur einen kurzen Zeitraum in der Maus zirkulieren und sich wahrscheinlich über Co-Feedings verbreiten." So gab es 2013 wenige Mäuse, aber viele Zecken, und daher viermal mehr Zecken auf den einzelnen Wirten als im Jahr zuvor. Durch Co-Feeding könne sich nun das FSME-Virus schneller von Zecke zu Zecke verbreitet haben als 2012. Dies könne auch ein Erklärungsansatz für die 2013 gehäuften FSME-Fälle sein, erläutert Sebastian.

Zecken entfernen. © www.zecken.de

Ebenfalls Unterschiede gibt es zwischen den Übertragungswegen der verschiedenen Pathogene auf den Menschen. Das FSME-Virus wird relativ schnell bei einem Stich übertragen. Borrelien dagegen brauchen ca. 24 Stunden für die Transmission, da sie im Zeckenmitteldarm sitzen und zuerst in die Speicheldrüsen wandern müssen. Rickettsien sitzen ebenfalls im Darm der Zecke, aber hier ist noch nichts über die Übertragungszeit bekannt. Die effektivste Borreliose-Prävention sei immer noch, den Körper nach einem Waldspaziergang genau abzusuchen und bei einem Zeckenstich die Zecke direkt nach der Entdeckung mit einer spitzen Pinzette senkrecht aus der Haut zu ziehen, rät Sebastian.

Präventiv kann man einen Blick auf „zeckenwetter.com“ der tick-radar GmbH werfen. In diese Informationsseite fließen auch aktuelle Daten der Projektmessstationen ein, um Wanderer und Spaziergänger über das Zeckenvorkommen und das Risiko einer Infektion mit bestimmten Pathogenen zu informieren.

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/zecken-umwelt-pathogene-ein-komplexes-system