zum Inhalt springen

Zelladhäsion an Blutgefäßwänden und an künstlichen Oberflächen

Der Mannheimer Mediziner Professor Stefan W. Schneider erforscht die Funktionen des vaskulären Endothels und seine Interaktion mit Blut- und Tumorzellen. Dazu wendet er die Methoden der Mikrofluidik an, die Messungen der Zelladhäsion an der Blutgefäßwandung unter physiologischen Strömungsbedingungen erlauben. In einem interdisziplinären Gemeinschaftsprojekt untersucht er auch Eigenschaften von künstlichen hauchdünnen Oberflächen, die mit lebenden Zellen beschichtet werden und für biokompatible Beschichtungen von Implantaten und die Biowerkstoffentwicklung von Bedeutung sind.

Prof. Dr. Stefan W. Schneider © UMM

Mit der Entscheidung, die Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie des Universitätsklinikums Mannheim in enger Kooperation mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg zu einem „Exzellenzzentrum Dermatologie Mannheim des Landes Baden-Württemberg" von internationalem Rang auszubauen, war die Schaffung einer neuen „Sektion für Experimentelle Dermatologie" verbunden. Zum Leiter dieser Sektion wurde 2008 der Physiologe und Dermatologe Professor Dr. Stefan W. Schneider von der Universität Münster berufen; damit verbunden war die Neueinrichtung einer Professur für Zelluläre Differenzierung. Sein Forschungsgebiet umfasst nicht nur die molekularen und zellbiologischen Grundlagen von Hautkrankheiten und hier vor allem von dermato-onkologischen Erkrankungen, sondern auch die Erforschung der Rolle von vaskulären Endothelzellen in der Interaktion mit Blutzellen und bei der Tumorprogression.

Das vaskuläre Endothel ist die innere Auskleidung der Blutgefäße, eine normalerweise einschichtige Lage von Zellen, die als Barriere und als Ort des regulierten Stoffaustausches zwischen Blutstrom und Gewebe dient. Insgesamt umfasst das Endothel als Auskleidung unzähliger Gefäße und Gefäßverzweigungen eine riesige Fläche. Man schätzt sie in einem erwachsenen Menschen auf über 5.000 m2, das entspricht in etwa der Größe eines Fußballfeldes und ist mehrere tausendmal größer als die Fläche der menschlichen Haut. Da das Endothel mikroskopisch dünn ist, entspricht sein Gesamtgewicht nur etwa einem Zehntel des Gewichts der Haut; aber immerhin bringt es das Endothel auf eine der Leber, des größten inneren Organs, vergleichbare Masse.

Fluss- und Adhäsionsmessungen im Mikrometermaßstab

In der Erforschung der Funktionen des vaskulären Endothels hat Prof. Schneider einen hervorragenden Namen. Mit teilweise von ihm zusammen mit Kooperationspartnern entwickelten Methoden der Mikrofluidik war es ihm gelungen, Flüssigkeitsvolumina von wenigen Mikrolitern in einen laminaren (nicht turbulenten) Fluss zu versetzen und die an den Gefäßoberflächen ansetzenden Scherkräfte zu messen. Mit diesen standardisierten Flusskammersystemen konnte er die physikalischen Bedingungen bei der Strömung in kleinen Blutgefäßen mit einem Durchmesser im Bereich zwischen 0,01 und 0,2 Millimetern simulieren und damit die Adhäsion von Tumorzellen, Leukozyten und Thrombozyten (Blutplättchen) an das Endothel unter annähernd physiologischen Bedingungen messen und quantifizieren.

Solche Messungen erlauben neue Einsichten in die Wechselwirkungen zwischen Blutzellen - zum Beispiel Thrombozyten und Leukozyten - und vaskulärem Endothel und tragen zu einem besseren Verständnis von Entzündungsprozessen und Gerinnungsstörungen bei. Auch für die Analyse der Interaktion zwischen Tumorzellen und Endothelzellen im Blutstrom und die frühen Schritte der Tumorprogression und Metastasierung (der Anheftung der Tumorzellen an die Gefäßwand und ihr Durchbruch und die Einwanderung ins umliegende Gewebe) sind die Messungen von Bedeutung.

Pneumatisch getriebenes Mikrofluidik-System „Bioflux“ zur standardisierten Testung kleiner Volumina unter Fluss auf Endothelschichten oder funktionalisierten Oberflächen. © IUL-Instruments; cf. UMM

Charakteristisch für die  Forschungsarbeiten der Sektion Experimentelle Dermatologie ist die Verbindung von zellbiologischer und zelldynamischer Grundlagenforschung mit biophysikalischen und medizintechnischen Entwicklungen. Für die mikrofluidischen Messungen in den maßstabgerechten Flusskammern benutzen Professor Schneider und sein Team kleine luftdruckgetriebene Pumpen zur kontinuierlichen Überströmung der Flüssigkeit. Außerdem kommt in Zusammenarbeit mit dem Biophysikalischen Institut der Universität Augsburg eine berührungsfreie Antriebsvariante in Form von akustischen Oberflächenwellen („surface acoustic waves", SAW) zur Flusserzeugung in kleinsten Volumina zur Anwendung. Mit den verschiedenen Flusskammersystemen lassen sich die für die jeweiligen Fragestellungen vorherrschenden Umgebungsbedingungen simulieren, wie Professor Schneider auf seiner Webseite beschreibt (Sektion Experimentelle Dermatologie, UMM). Es können Endothelzellen in Kultur und funktionalisierte Oberflächen unter Flussbedingungen direkt mikroskopisch beobachtet und molekularbiologisch untersucht werden.

In diesen „künstlichen Blutgefäßen" können auch pathophysiologische Strömungsbedingungen wie beispielsweise Stenosen (Verengungen der Gefäße, vor allem bei Arteriosklerose), Bifurkationen (Verzweigungen) oder turbulente Strömungen simuliert werden.

Kommunikation und Interaktion von Tumorzellen und Endothel im Blutstrom

Endothelzellen unter Fluss. A: Vor der Stimulation liegt der vWF (grün) intrazellulär in den WPB verpackt vor. B: Nach Stimulation wird der vWF binnen Sekunden freigesetzt und im Fluss gestreckt (grün - vWF extrazellulär; rot - vWF intrazellulär). C: Es bildet sich eine Netzstruktur der hoch adhäsiven vWF-Fäden. © UMM

Unter physiologischen Bedingungen hält das vaskuläre Endothel den Blutfluss aufrecht, es kann aber unter anderem durch maligne Tumorzellen aktiviert werden und geht dann in einen entzündungs- und gerinnungsfördernden Zustand über. Innerhalb von Sekunden schütten die Endothelzellen durch Exozytose den Inhalt spezieller langgestreckter Vesikel, der Weibel-Palade-Körperchen („Weibel Palade bodies", WPB) in den Blutstrom aus. Darunter befindet sich neben verschiedenen Entzündungsfaktoren wie Interleukin-8 ein großes polymeres Protein namens von-Willebrand-Faktor (vWF), das eine zentrale Rolle bei der Blutgerinnung spielt.

Der aus dem tumoraktivierten Endothel freigesetzte vWF vernetzt sich unter dem Scherfluss des Blutstroms zu bis zu ein Millimeter langen fadenförmigen Strukturen, die an der Endothelzell-Oberfläche haften und Thrombozyten, aber auch Tumorzellen binden können. Erst die Adhäsion am Endothel unter Überwindung der Scherkräfte im Blutstrom macht die Auswanderung der Tumorzellen in das umliegende Gewebe, die sogenannte Extravasation, möglich. Die Mannheimer Wissenschaftler untersuchen das Adhäsions- und Migrationsverhalten der Tumorzellen und ihre Interaktion mit dem vWF unter Flussbedingungen in Abhängigkeit von den physikalischen Bedingungen, die im Mikromilieu der tumoraktivierten Endothelzellen herrschen. Dabei kommen für die direkte Lebendbeobachtung der Zellen („Life-Cell-Imaging") hochauflösende Mikroskopiemethoden wie Reflexions-Interferenz-Kontrastmikroskopie (RICM) und fluoreszenzmikroskopische Verfahren zum Einsatz.

Biokompatible Beschichtungen für medizinische Geräte und Implantate

In einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Verbundprojekt gemeinsam mit Physikern und Medizinern der Universität Augsburg und der beiden Münchener Universitäten führt Professor Schneider eine „Quantitative Evaluation der statischen und dynamischen Zelladhäsion und Zellaktivität an antibakteriellen DLC-Schichten für den biomedizinischen Einsatz“ durch. DLC-Schichten („diamond-like carbon“, diamantenähnlicher Kohlenstoff) sind hauchdünne, hochbelastbare Materialien, die chemisch außerordentlich resistent und physiologisch unbedenklich sind. Sie eignen sich hervorragend als Korrosionsschutz für medizinische Instrumente und Implantate (beispielsweise Stents), da sie keine allergieauslösenden Ionen (wie Nickel) freisetzen und mit allen Sterilisationsverfahren kompatibel sind.

Am Augsburger Institut für Physik werden diese antibakteriellen, biokompatiblen Beschichtungen mit dem Verfahren der Plasmaimmersions-Ionenimplantation hergestellt und anschließend mit unterschiedlichen lebenden Zellen besiedelt. Um die Adhäsion der Zellen in Abhängigkeit von der jeweiligen Implantat-Oberfläche präzise zu messen, wurde ein Biochip entwickelt, auf dem die Zellen einer durch akustische Oberflächenwellen (SAW) erzeugten, exakt definierbaren Flüssigkeitsströmung ausgesetzt werden können. Das Zellwachstum und die antibakterielle Wirksamkeit der modifizierten DLC-Beschichtungen werden biologisch und biomechanisch in der Experimentellen Dermatologie in Mannheim unter Professor Stefan Schneider evaluiert. Über den biomedizinischen Einsatz in diesem Projekt hinaus eignet sich der neuartige Biochip aber auch allgemein für schnelle Screening-Verfahren in der Biowerkstoffentwicklung.

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/zelladhaesion-an-blutgefaesswaenden-und-an-kuenstlichen-oberflaechen