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Zielgerichtete Therapieansätze revolutionieren Therapie von schwarzem Hautkrebs

Jahrzehntelang gab es in der Behandlung des metastasierten schwarzen Hautkrebs (malignes Melanom) kaum Fortschritte. Die klassischen Chemotherapien sind meist wirkungslos, und der Großteil der Patienten stirbt nach wie vor binnen weniger Monate nach der Diagnose. Mit der Entwicklung von sogenannten Kinasehemmern, die direkt in die molekularen Signalwege der Krebszelle eingreifen, ist jetzt aber ein entscheidender Durchbruch gelungen. An der klinischen Erforschung dieser neuartigen Therapien sind auch Wissenschaftler der Universitäts-Hautklinik Tübingen beteiligt.

Prof. Claus Garbe

In Deutschland erkranken jedes Jahr rund 15.000 Menschen an schwarzem Hautkrebs. In seinen frühen Stadien lässt sich das maligne Melanom hervorragend behandeln, und die meisten Patienten gelten nach der operativen Entfernung des Tumors als geheilt. Haben die Krebszellen jedoch bereits in die lokalen Lymphknoten oder andere Organe gestreut, beträgt die Lebenserwartung im Schnitt weniger als ein Jahr. „Die Chemotherapie, wie sie seit 1975 Standard ist, zeigt leider nur bei einem sehr kleinen Teil dieser Patienten Wirkung“, berichtet Prof. Dr. med. Claus Garbe, der an der Universitäts-Hautklinik Tübingen das Zentrum für Dermatoonkologie (ZDO) leitet.

Mit der Entwicklung neuer zielgerichteter Wirkstoffe, die molekulare Signalwege im Tumor selektiv hemmen, ist in der Behandlung des schwarzen Hautkrebses jetzt eine neue Zeitrechnung angebrochen. „Wie bei anderen Tumoren auch ist beim malignen Melanom die Anhäufung von genetischen Veränderungen im Erbgut ursächlich dafür, dass die Zellen - in diesem Fall die Pigmentzellen der Haut - entarten und zu Krebszellen werden“, so Garbe. Beim malignen Melanom ist besonders häufig der sogenannte MAPK-Signalweg betroffen, der über die nacheinander geschalteten Proteinkinasen RAS, RAF, MEK und ERK das Zellwachstum und das Überleben der Zellen reguliert.

Gezielte Blockade

„Bei etwa 50 Prozent der Melanompatienten lässt sich im Tumor in einer Isoform der RAF-Kinase, dem sogenannten BRAF, eine Mutation nachweisen“, berichtet der Dermatologe. Am häufigsten ist die V600-Mutation, die im zugehörigen Protein zu einem Aminosäureaustausch führt. Das mutierte BRAF-Protein besitzt dabei eine bis zu 800-fach erhöhte Kinaseaktivität, wodurch es zu einer Überaktivierung des MAPK-Signalwegs kommt - mit der Konsequenz, dass die betroffenen Zellen von Wachstumsfaktoren unabhängig werden und sich unkontrolliert vermehren können. „Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einer 'driver mutation', also einer treibenden Mutation“, so Garbe.

Mit dem neuartigen Wirkstoff Vemurafenib lässt sich der MAPK-Signalweg in BRAF-mutierten Tumoren jetzt gezielt blockieren. In einer 2011 durchgeführten klinischen Studie, an der auch Garbe beteiligt war, zeigte der Kinasehemmer eine derart überzeugende Wirkung, dass die Studie vorzeitig abgebrochen wurde. „Eine Zwischenanalyse ergab, dass die mit herkömmlichen Methoden behandelten Patienten wesentlich früher starben und unter stärkeren Nebenwirkungen litten“, berichtet Garbe, „daraufhin wurde das neue Medikament sofort für alle Patienten verfügbar gemacht.“ Seit Februar 2012 ist Vemurafenib europaweit für die Monotherapie zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit einem nicht operablen oder metastasierten Melanom und einer BRAF-V600-Mutation zugelassen.

Gewinn an Lebenszeit und -qualität

Der MAPK-Signalweg spielt beim malignen Melanom eine zentrale Rolle. © modifiziert nach Dietel et al., Pathologe 2012
Die mit diesem Kinasehemmer behandelten Personen profitieren vor allem von einer Verlängerung der progressionsfreien Überlebenszeit – also jener Zeitspanne, in der die Erkrankung nicht weiter voranschreitet. „Im Vergleich zu den zwei Monaten, die die Chemotherapie ermöglicht, gewinnen wir mit Vemurafenib fünf Monate hinzu“, so der Mediziner. Parallel verlängert sich das mittlere Gesamtüberleben von sechs bis neun Monaten auf mehr als 18 Monate. „Es scheint, als könnten wir mit maßgeschneiderten Therapien die Wirkung einer an der Krebsentstehung beteiligten Mutation tatsächlich aufhalten“, erklärt Garbe. Und auch wenn dieser Effekt noch nicht von Dauer ist - für die Krebstherapie eröffnet sich damit eine vollkommen neue Perspektive. „Die Behandlung der Patienten wird sich in Zukunft immer stärker an der molekularen Signatur des Tumors orientieren“, ist sich der Wissenschaftler sicher, „das geht durchaus bereits in Richtung ‚personalisierte Medizin‘.“ Doch nicht nur die Überlebenszeit wird mit Vemurafenib verlängert, auch die Lebensqualität der Betroffenen steigt dramatisch. Selbst Patienten mit weit fortgeschrittener Erkrankung und reduziertem Allgemeinbefinden sprechen innerhalb kürzester Zeit auf die Therapie mit einer deutlichen Besserung ihrer tumorbedingten Beschwerden an. Die Melanome und Metastasen schrumpfen, selbst starke Schmerzen verschwinden. „Vemurafenib übertrifft in dieser Hinsicht alles, was wir beim malignen Melanom bisher an Therapien gesehen haben“, zeigt sich Garbe begeistert. Inzwischen befindet sich mit dem Kinasehemmer Dabrafenib ein zweiter BRAF-Inhibitor in der klinischen Erprobungsphase, der ebenfalls vielversprechende Ergebnisse liefert.

Weitere Kinasen im Visier

Allerdings ist mit diesen BRAF-Inhibitoren alleine bislang noch keine Heilung möglich. Zwar verzeichnen die Substanzen eine im Vergleich zur Chemotherapie erstaunliche Ansprechrate von über 50 Prozent, doch früher oder später kommt es unter der Therapie zum Auftreten eines Rezidivs, das heißt, der Tumor wächst wieder und streut erneut. „Offensichtlich gelingt es den Tumorzellen nach einer gewissen Zeit, durch das Auftreten von Mutationen in anderen Kinasen die Blockade des MAPK-Signalwegs zu umgehen“, vermutet Garbe.

Große Hoffnungen setzen die Wissenschaftler deshalb in die Entwicklung weiterer Kinasehemmer mit neuen Angriffszielen. So greift beispielsweise der Wirkstoff Trametinib ebenfalls in den MAPK-Signalweg ein. Allerdings blockiert er nicht das mutierte BRAF, sondern die nachgeschaltete MEK-Kinase. In einer kürzlich im New England Journal of Medicine veröffentlichten Arbeit zeigten Garbe und Kollegen, dass auch Trametinib das Tumorwachstum vorübergehend stoppen kann. „Die Wirksamkeit und Wirkdauer dieses sogenannten MEK-Inhibitors ist mit der der BRAF-Inhibitoren durchaus vergleichbar“, so der Dermatologe.

Quantensprung in der Therapie

Da beide Kinasehemmer in die gleiche Signalkette eingreifen, war der Versuch einer Kombinationstherapie naheliegend. Eine im Oktober 2012 ebenfalls im New England Journal of Medicine veröffentlichte Studie hat jetzt gezeigt, dass die gleichzeitige Gabe eines BRAF- und eines MEK-Inhibitors das mediane progressionsfreie Überleben der Patienten auf 11 bis 12 Monate verlängert. „Im Vergleich zur Chemotherapie ist das ein wahrer Quantensprung“, so Garbe.

Mindestens genauso spektakulär wie die Beobachtung, dass die Kombination der beiden Wirkstoffe die Resistenzentwicklung hinauszögert, ist auch die Tatsache, dass bestimmte Nebenwirkungen nicht mehr oder zumindest sehr viel seltener auftreten. „Unter der Monotherapie mit einem BRAF-Inhibitor entwickelt rund ein Viertel der Patienten innerhalb weniger Wochen vom Plattenepithel der Haut ausgehende Tumoren“, berichtet Garbe. Zwar lassen sich diese in der Regel problemlos entfernen - unangenehm und psychisch belastend sind sie für den Patienten trotzdem. In der Kombinationstherapie mit dem MEK-Inhibitor treten diese Zweittumoren hingegen kaum noch auf. Für Garbe und sein Team sind das sehr ermutigende Aussichten für die zukünftige Therapie des malignen Melanoms: „Das beobachten wir im Prinzip das erste Mal, dass die Kombination zweier hochwirksamer Krebsmedikamente weniger Nebenwirkungen verursacht als jede Substanz für sich alleine.“

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