Die Nationale Kohortenstudie
Die größte je in Deutschland durchgeführte Studie, die sogenannte Nationale Kohorte, soll Antworten auf eine Vielzahl epidemiologischer Fragen liefern sowie Risikofaktoren für die großen Volkskrankheiten identifizieren und neue Wege zur Prävention aufzeigen. Dieses Vorhaben wird, seit Anfang 2009, durch Gesundheitszentren der Helmholtz-Gemeinschaft im Verbund mit universitären Partnern und außeruniversitären Forschungseinrichtungen, geplant.
Eine epidemiologische Studie in einer Größenordnung, wie es sie bisher in Deutschland noch nicht gegeben hat, wird Aufschluss über die Ursachen und Risikofaktoren häufiger Erkrankungen bringen, darunter Diabetes sowie Herz-Kreislauf-, Krebs- und Demenzerkrankungen. Dazu werden 200.000 Bundesbürger über einen Zeitraum von fünfundzwanzig Jahren begleitet werden. Die Teilnehmer werden als repräsentative Stichprobe aus der Allgemeinbevölkerung in die Kohortenstudie eingeladen und werden im Verlauf der Studie regelmäßig medizinisch untersucht sowie nach ihren Lebensgewohnheiten und sozioökonomischen Daten befragt.
Screening von Patientenproben
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Die biomedizinischen Forschungseinrichtungen der Helmholtz-Gemeinschaft haben die ursprüngliche Initiative für den Aufbau der Nationalen Kohorte ergriffen. Das Vorhaben wurde in enger Zusammenarbeit mit den Universitäten und anderen nationalen Forschungseinrichtungen entwickelt. Das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg (DKFZ) und das Helmholtz-Zentrum in München (HMGU) agieren als Koordinatoren in der Planungsphase.
Der Begriff Kohorte kommt ursprünglich aus dem Römischen Reich und wurde dort für eine militärische Einheit, insbesondere für eine Untereinheit der römischen Legion verwendet. Und auch bei der Nationalen Kohorte handelt es sich um eine Einheit: Zum Rekrutierungsstart geben die Teilnehmer ihr Einverständnis zur Teilnahme an der Langzeitstudie und werden über fünfundzwanzig Jahre hinweg regelmäßig untersucht. Dies umfasst Fragebögen, um psychosoziale Faktoren (z. B. akuter oder chronischer Stress, Angst, soziale Isolation) und den jeweiligen Lebensstil (z. B. sportliche Aktivitäten, Ernährung, Rauchen) sowie die medizinische Vorgeschichte, etwaige Einnahmen von Arzneimitteln und dergleichen zu erheben. Des Weiteren werden allen Probanden Blut- und Urinproben entnommen und für spätere Forschungszwecke in einer zentralen Biobank gelagert.
Im Verlauf der langen Studiendauer wird erwartungsgemäß ein Teil der Probanden erkranken. Diese Erkrankungen können dann rückwirkend mit bis dato bereits gesammelten Daten oder auch mit einer Vielzahl von Blut- und Urin-basierten Biomarkern in Verbindung gebracht werden. Die Nationale Kohorte wird Antworten auf eine große Zahl epidemiologischer Fragen liefern sowie Risikofaktoren für die großen Volkserkrankungen identifizieren und neue Wege zur Prävention aufzeigen. Damit knüpft sie an die bisher in wesentlich kleinerem Maßstab laufenden Bevölkerungsstudien wie beispielsweise die Kora-Studie in Augsburg oder die Urmutter solcher Studien, die 1948 gestartete Framingham Heart Study in den USA, an.
Die Gesamtkosten des Projektes betragen schätzungsweise 150 bis 200 Millionen Euro. Die Studie hat 2009 mit einer zirka dreijährigen Planungs- und Pilotphase begonnen. Die Aufnahme von Probanden in die Kohorte wird im Jahr 2012 starten.
Neben der Nationalen Kohorte gibt es gegenwärtig noch weitere Aktivitäten mit dieser Zielrichtung: So sollen im Rahmen des europäischen Großprojektes BBMRI („Biobanking and Biomolecular Resources Research Infrastructure") mehr als hundert Biobanken in Europa zusammengeführt werden. Somit wird die erforderliche statistische Basis geschaffen, um am Ende tatsächlich auch Marker für bestimmte Krankheiten zu identifizieren. Auch das Exzellenzprogramm LIFE der Universität Leipzig, das gerade vom europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) mit 38 Millionen Euro unterstützt wurde, widmet sich diesem Ziel. 10.000 gesunde Leipziger sowie mehr als 17.000 Patienten sollen auf verschiedene Krankheitsmarker hin untersucht werden, wobei auch Genom-, Transkriptom- und Metabolom-Analysen zum Einsatz kommen und mit Informationen über Lebensstil und Umweltfaktoren in Bezug gebracht werden.
Auch in anderen Ländern starten derzeit große Kohorten-Projekte, so beispielsweise in Großbritannien, Skandinavien, den Niederlanden und in der Volksrepublik China. Der Start der Nationalen Kohorte ist ein gutes Signal für die Forschung in Deutschland, denn nur hohe Fallzahlen einzelner Biobanken und das Bündeln unterschiedlichster Expertisen werden die Wissenslücke zwischen der Kenntnis des menschlichen Genoms einerseits und dem Entstehen komplexer Krankheiten andererseits schließen können.
Modernste biotechnologische Methoden sind bei diesen umfassenden Ansätzen für die Erreichung des gemeinsamen Ziels der Kohorten- und Biobanken-Aktivitäten unerlässlich. Dieses ist es letztlich, krankheitsassoziierte Biomarker zu identifizieren, um die Entstehung komplexer Erkrankungen besser zu verstehen und daraus frühzeitige Diagnosemöglichkeiten oder gar präventive Optionen entwickeln zu können.