Enzymersatz auf der Basis rekombinanter DNS-Technologie
Weltweit sind weniger als 10.000 Menschen von der Stoffwechselstörung Morbus Gaucher betroffen. Seit bereits 1994 bietet das Unternehmen Genzyme mit Cerezyme® ein Präparat zur Behandlung des seltenen vererbten Enzymmangels. Die Niederlassung der Firma in Konstanz vermarktet und vertreibt die Enzymersatztherapie, deren Wirkstoff in Kulturen aus Ovarialzellen des chinesischen Hamsters erzeugt wird, für den euroasiatischen Raum.
Morbus Gaucher, im Jahre 1882 vom französischen Arzt Philippe Charles Ernest Gaucher erstmals beschrieben, ist eine genetisch vererbte Fettspeicherkrankheit, die durch einen Defekt des lysosomalen Enzyms Glukozerebrosidase hervorgerufen wird. Glukozerebrosidase ist zuständig für die Aufspaltung von Fettbestandteilen, den Glukozerebrosiden, in Glukose und Zeramide. Glukozerebroside entstehen beim Abbau der Membranen von verbrauchten weißen und roten Blutkörperchen und werden beim gesunden Menschen durch die Makrophagen verstoffwechselt, indem in den Lysosomen dieser Fresszellen der Abbauprozess der Glukozerebroside durch das Enzym Glukozerebrosidase abläuft. Da bei Gaucher-Betroffenen dieses Enzym fehlt, kumulieren große Mengen des nicht abgebauten Substrates und die Makrophagen schwellen zu so genannten „Gaucher-Speicherzellen“ an. Diese mit Lipid angereicherten Zellen lagern sich dann in allen Organen und Geweben des menschlichen Körpers ab, in denen Makrophagen vorkommen. Die größten Anreicherungen werden in Milz, Leber, Lunge, Knochenmark und den Lymphknoten gefunden und lösen vielerlei pathologische Symptome aus“, sagt Dr. Michael Preiss, Medical Director von Genzyme CEE GmbH in Konstanz.
Gaucher-Zellen reichern sich häufig in Milz und Leber an. (Foto: Genzyme corporation)
Leichte bis sehr schwere Symptome
Dazu gehören eine bis zu 60-fache Vergrößerung der Milz, eine 10-fache Vergrößerung der Leber mit ausgeprägten abdominalen Beschwerden, eine Beeinträchtigung der Atmung sowie schmerzhafte Knochensymptome bis hin zum Knocheninfarkt. Insbesondere kommt es zu einer Verdrängung des Knochenmarks durch die Gaucher-Zellen und zum Abbau der Knochensubstanz mit resultierenden Deformationen und Spontanfrakturen. Infarkte und Knotenbildungen in den Organen führen im fortgeschrittenen Stadium zur Schrumpfung und zum Funktionsverlust des jeweiligen Organs. Darüber hinaus leiden Gaucher-Patienten an einer erhöhten Infektanfälligkeit, Anämie, Blutgerinnungsstörungen und erhöhtem Risiko für kanzerogene Erkrankungen. Je nach Schweregrad kann die Krankheit tödliche Folgen haben. Unbehandelt versterben die Patienten im Mittel nach 53 Jahren an den Organmanifestationen oder an bösartigen Tumoren. In den Krankheitsformen mit ZNS-Beteiligung ist die Lebenserwartung dramatisch geringer.
Morbus Gaucher kommt weltweit mit einer Häufigkeit von 1:100.000 vor. Die Stoffwechselstörung wird autosomal rezessiv vererbt, das heißt, dass ein Individuum zwei mutierte Kopien des Glukozerebrosidase-Gens (eines von jedem Elternteil) geerbt haben muss, um die Krankheit zu entwickeln. Eine Person mit nur einem defekten Gen und einem normalen Gen für Glukozerebrosidase ist ein Träger der Gaucher-Erkrankung ohne selbst erkrankt zu sein. Das eine normale Gen stellt die Produktion genügender Mengen an Enzym sicher. Träger haben ein 50:50 Risiko, das „Gaucher-Gen“ an ihre Nachkommen zu vererben. Morbus-Gaucher wird von Experten je nach Zeitpunkt des Eintritts, den jeweiligen Symptomen und der Mitbeeinträchtigung des zentralen Nervensystems klassifiziert. Man spricht von der nicht-neuronopathischen (Typ1), der neuronopathischen (Typ 2) sowie der eher seltenen chronisch-neuronopathischen Variante (Typ 3), bei der die Betroffenen durch einen fortschreitenden geistigen Abbau, ZNS-Komplikationen und Krampfanfälle gezeichnet sind.
Hamsterzellen für sichere Enzymproduktion
Geschäftsführerin der Genzyme CEE GmbH: Dr. Ute Stölzle (Foto: Genzyme)
Genzyme, 1981 in Cambridge im US-amerikanischen Bundesstaat Massachusettes gegründet, hat bereits in seinen Anfangsjahren mit der Entwicklung von Mitteln zur Behandlung der genetischen Erkrankung Morbus Gaucher begonnen. „Das erste zur Verfügung stehende Präparat für die Enzymersatztherapie war Ceredase, makrophagenspezifische Glukozerebrosidase plazentaren (Mutterkuchen-) Ursprungs“, sagt Dr. Michael Preiss. Mit Cerezyme® als Nachfolger von Ceredase hat Genzyme eine Enzymsubstitutionstherapie entwickelt, die 1994 von der Amerikanischen Zulassungsbehörde FDA und 1997 von der Europäischen Kommission zur Vermarktung freigegeben wurde. „Während Ceredase noch aus menschlichen Zellen gewonnen wurde, wird Cerezyme® „biotechnologisch oder rekombinant in Ovarialzellen des chinesischen Hamsters (CHO-Zellen) hergestellt, die humane Glukozerebrosidase produzieren“, erzählt Dr. Michael Preiss. Das Verfahren ist bestens erforscht und heute Standard in der Herstellung von Impfstoffen, Antikörpern und Hormonen auf biotechnologischem Weg. Weitere Enzymersatztherapien für lysosomale Speichererkrankungen wie Morbus Fabry, Mukopolysaccharidose Typ I und Morbus Pompe werden auf der Basis von CHO-Zelllinien produziert. Ein großer Vorteil der CHO-Zellen ist das geringere Risiko für eine Vermischung durch humane Viren im Gegensatz zur Enzymproduktion in menschlichen Zelllinien.
Beim Herstellungsprozess wird zunächst das humane Glukozerebrosidase-Gen isoliert, danach in eine Transport-DNA (Plasmid) integriert und in die CHO-Wirtszelle eingeführt. Diese bietet optimale Voraussetzungen für die Produktion des gewünschten Proteins. Unter kontrollierten Bedingungen sezernieren die CHO-Zellen die Glukozerebrosidase in das Kulturmedium. Im anschließenden mehrstufigen Reinigungsverfahren wird das humane Gen aus dem Kulturmedium isoliert und schrittweise modifiziert. Nach dem Hinzufügen der Trägersubstanzen und einer Gefriertrocknung erfolgt für jede Einheit Cerezyme® eine Endkontrolle in insgesamt 30 Schritten. Cerezyme® wird den Patienten durch intravenöse Gabe verabreicht und erreicht über den Blutkreislauf die Zielzellen. Die Behandlung sorgt bei Patienten bereits nach einigen Wochen für deutliche Symptomverbesserungen. Die krankhaften Veränderungen des Blutbildes (Anämie, Leukopenie) sowie Vergrößerung von Leber und Milz bessern sich dramatisch. Im weiteren Verlauf kommt es auch zu einer Reduzierung der Knochenbeschwerden. Die Enzymersatztherapie erfolgt ein Leben lang, die Dosis richtet sich nach Körpergewicht und Therapieerfolg.
Weiterentwicklung für mehr Therapieoptionen
Wie Dr. Michael Preiss erzählt, hat Genzyme ein umfangreiches „small molecule” (kleines Molekül) Forschungs-und Entwicklungsprogramm auf den Gebieten lysosomaler Speicherkrankheiten etabliert. Insbesondere für Morbus Gaucher arbeitet Genzyme intensiv an einer oralen Medikation (Kapsel). In Konstanz werden seit 1995 unter anderem „vier therapeutische Produkte für die Behandlung von genetisch bedingten Krankheiten in 20 Länder Osteuropas (Balkanstaaten, Russland, Ukraine und weitere) vertrieben“, berichtet Dr. Ute Stölzle, Geschäftsführerin von Genzyme CEE Konstanz. Die Kosten für eine Jahresbehandlung mit diesen Enzymersatztherapien seien aufgrund hoher Forschungs- und Entwicklungskosten und der niedrigen Patientenzahlen sehr hoch und liegen „abhängig von Körpergewicht und Dosierung des Medikamentes zwischen 50.000 und 300.000 Euro“. Genzyme unterhält mehrere humanitäre Unterstützungsprogramme für Patienten, die aus ökonomischen oder landesspezifischen Gründen keine für sie adäquate lebensnotwendige Therapie erhalten können. An diese Patienten wird das jeweilige Medikament kostenfrei abgegeben. Insgesamt 40 Prozent aller behandelten Personen in der Eurasia-Region erhalten die Genzyme-Produkte wie Cerezyme® auf diesem Wege.
Wie die Geschäftsführerin des Konstanzer Standorts berichtet, gäbe es für Genzyme von der kommerziellen Seite keine Begünstigungen, so dass sich das Unternehmen wie jedes andere auch am Markt behaupten müsse. „Anreize für forschende Firmen auf dem Gebiet seltener Krankheiten sind durch die Orphan-Drug-Legislation jedoch gegeben“, sagt die Geschäftsführerin des Konstanzer Standorts. Unterstützt werden forschende Biotech-Unternehmen bei der klinischen Erprobung neuer Medikamente beispielsweise durch Institutionen wie das „Office of Orphan Products Development“ (OOPD) der FDA.
mst – 18.08.08
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Dr. Michael Preiss
Medical Director Eurasia
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D-78467 Konstanz
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