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Fünf Jahrzehnte Forschung zur Krebsbekämpfung

Das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg wird fünfzig Jahre alt. Es hat durch Grundlagenforschung das heutige Verständnis der Entstehung und des Wachstums von Krebs maßgeblich geprägt und dazu beigetragen, dass die Vorbeugung, Diagnostik und Behandlung von Krebspatienten nachhaltig verbessert werden konnten.

Prof. Dr. Karl Heinrich Bauer, 1964 © DKFZ

Als der renommierte Heidelberger Chirurg Karl Heinrich Bauer Ende der 1950er Jahre die Errichtung eines nationalen deutschen „Instituts zur Geschwulstbekämpfung und Geschwulstverhütung“ forderte, verwies er darauf, dass Krebs als Todesursache in Deutschland seit Beginn des 20. Jahrhunderts ständig angestiegen sei und inzwischen jeder fünfte Deutsche an einer Krebskrankheit stürbe. Heute, nachdem das auf Bauers Initiative hin 1964 gegründete Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) auf sein fünfzigjähriges Bestehen im Kampf gegen den Krebs zurückblickt, ist Krebs nach den Herz-Kreislauf-Krankheiten noch immer die Todesursache Nummer zwei in den westlichen Industriestaaten. Rund ein Viertel aller Sterbefälle in Deutschland sind auf bösartige Tumoren zurückzuführen, und die Anzahl der neu auftretenden Krebskrankheiten steigt immer noch an. Eine triste Bilanz, wie es scheint - und doch verbergen sich hinter diesen düsteren Zahlen erfolgreiche Entwicklungen, die den Betroffenen Grund zu Hoffnung und Zuversicht für ihr Leben mit der Krankheit und den Wissenschaftlern Anreiz und Ermutigung zur weiteren Forschung für ein Leben ohne Krebs geben können.

Jeder zweite Krebs ist heilbar

Prof. Dr. Dr. h.c. Otmar D. Wiestler, Vorstandsvorsitzender und Wissenschaftlicher Vorstand des Deutschen Krebsforschungszentrums. © Tobias Schwerdt

Im April 2014, anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des DKFZ, erklärte Professor Otmar D. Wiestler, Vorstandsvorsitzender und Wissenschaftlicher Vorstand seit 2004, dass heute etwa jeder zweite Krebs geheilt werden kann. Ein enormer Fortschritt gegenüber den Zeiten von K. H. Bauer, als mit den wichtigsten zur Verfügung stehenden Behandlungsmethoden - „Stahl und Strahl“ (Chirurgie und Radiologie) - selten eine vollständige Heilung erzielt werden konnte und die Chemotherapie noch in den Anfängen steckte. Wiestlers Aussage bedeutet aber auch - darauf verwies er mit Nachdruck - dass heute immer noch jeder zweite Betroffene seinem Krebsleiden erliegt. Gerade bei einigen häufigen Tumorerkrankungen gibt es nur langsame Fortschritte. Fraglich ist, ob man Krebs je völlig besiegen kann, aber zuversichtlich darf man sein, dass es gelingen kann, Krebs auch bei Nichtheilbarkeit zu einer dauerhaft behandelbaren Krankheit zu machen, mit der die Patienten ein relativ normales und schmerzfreies Leben führen können.

Das DKFZ-Hauptgebäude nach seiner Renovierung, 2012. © Tobias Schwerdt

Entscheidend für die verbesserten Behandlungsmethoden sind moderne Biopharmazeutika, die nicht wie klassische Chemotherapeutika neben den Krebszellen auch gesunde, in Teilung befindliche Körperzellen zerstören, sondern spezifisch an Zielstrukturen angreifen, welche ursächlich an der Krebsentstehung beteiligt sind. Beispielhaft sei dafür ein auf den Forschungen des Immunologen Peter Krammer und seiner Mitarbeiter am DKFZ basierender Wirkstoff (APG101) genannt, der von dem Biotech-Unternehmen Apogenix (einer DKFZ-Ausgründung) zum Medikament gegen das Glioblastom, einen hochaggressiven Hirntumor, entwickelt wird. Krammer und Kollegen hatten entdeckt, dass die Apoptose, der programmierte Zelltod, durch Aktivierung des „Todesrezeptors“ CD95 in Gang gesetzt wird. Gängige Chemotherapeutika wirken auf Krebszellen oft in der Weise, dass sie deren DNA schädigen und über den CD95-Rezeptor Apoptose auslösen. Allerdings werden Krebszellen oft resistent gegen die Medikamente, indem sie die Fähigkeit zur Apoptose verlieren; bei ihnen kann es im Gegenteil sogar zu einer Förderung des bösartigen Wachstums durch CD95-Aktivierung kommen. APG101 greift an solchen Apoptose-resistenten Zellen an.

Viele der modernen Biopharmazeutika beruhen auf Antikörpern, die spezifisch an Strukturen der Krebszellen angreifen. Antikörper sind aber nicht nur für die Behandlung, sondern auch für die Diagnostik von Krebs von großer Bedeutung, wie erstmals der Zellbiologe Werner Franke am DKFZ aufzeigte. Er und Mitarbeiter wiesen seit den späten 1970er Jahren nach, dass sogenannte Intermediärfilamente des Zellskeletts in Zelltyp-spezifischen Varianten vorkommen, deren Spezifität auch in den von diesen Zelltypen abstammenden Krebszellen weitgehend erhalten bleibt. Mit Antikörpern gegen diese Varianten ist eine zelltypische Diagnose von Krebsmetastasen möglich, die vor allem bei Krebserkrankungen mit unbekannten Ursprungstumoren entscheidend sein kann.

Grundlagenforschung, Diagnostik, Therapie und Prävention von Krebs

Bei seiner Gründung war dem DKFZ ein doppelter Auftrag erteilt worden: Erstens, die biologischen Grundlagen des Krebses und die Ursachen der Krebsentstehung aufzuspüren, und zweitens diese Ergebnisse in verbesserte Vorbeugung, Diagnostik und Behandlung von Krebskrankheiten umzusetzen. An diesen Zielsetzungen hat sich bis heute nichts geändert.

Bei der Ursachenforschung standen krebserregende Chemikalien anfangs im Vordergrund. So wiesen DKFZ-Forscher um Rudolf Preussmann nach, wie die Bevölkerung durch Nahrung, Umwelt und Beruf mit Nitrosaminen konfrontiert war. Diese Untersuchungen hatten zur Folge, dass die Belastung von Verbrauchern und Arbeitnehmern durch diese hochgradig kanzerogenen Substanzen gesetzlich auf ein Minimum reduziert werden konnte. Eine Vorreiterrolle spielte das Zentrum von Anfang an auch im Kampf gegen den größten Krebsverursacher überhaupt: den Zigarettenrauch. DKFZ-Experten haben jahrzehntelang die wissenschaftlichen Fakten über die Gesundheitsrisiken des Rauchens zusammengetragen und gaben nach zähen Auseinandersetzungen mit der Tabakindustrie-Lobby den Anstoß für das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das 2008 den Schutz vor Passivrauch als „überragend wichtiges Gemeinschaftsziel“ definierte.

Einen Durchbruch in der Krebsprävention, der Vorbeugung und Vermeidung von Krebserkrankungen, erzielte Harald zur Hausen, der von 1983 bis 2003 das DKFZ als Vorstandsvorsitzender und Wissenschaftlicher Vorstand leitete. In jahrzehntelanger beharrlicher Forschung erbrachte H. zur Hausen den Nachweis, dass humane Papillomviren die Entstehung von Gebärmutterhalskrebs, eine der häufigsten Krebserkrankungen bei Frauen, verursachen. Mit seinen Entdeckungen schuf er die Grundlagen für die Entwicklung der ersten Impfstoffe gegen Krebs. Durch sie werden junge Frauen vor der Infektion mit den durch sexuellen Kontakt übertragenen krebsauslösenden Viren geschützt. Bis heute wurden weltweit über 200 Millionen Impfungen vorgenommen. Harald zur Hausen erhielt 2008 den Nobelpreis für Medizin.

Krebs, eine Krankheit der Gene

Aufnahme eines Patienten mit einem bösartigen Hirntumor. © DKFZ/Michael Bock

Früh hatte zur Hausen auch erkannt, dass die Gen- und Genomforschung und in ihrer Folge die Proteomforschung von entscheidender Bedeutung für das Verständnis der Krebserkrankungen sind. DKFZ-Forscher waren am Humangenomprojekt zur Sequenzierung des menschlichen Erbguts beteiligt, die Bioinformatik-Abteilung am DKFZ wurde zu dem von Roland Eils geleiteten Forschungsschwerpunkt Funktionelle und Strukturelle Genomforschung erweitert und eine eigene „Core Facility Genom und Proteom“ mit einer der größten Sequenziereinheiten Europas wurde errichtet. Heute kann dort ein menschliches Genom in wenigen Tagen vollständig entziffert werden – bis zu 240 Genome im Monat.

Da sich selbst innerhalb des gleichen Krebstyps die Mutationen und damit auch die molekularen Eigenschaften und Therapiemöglichkeiten von Patient zu Patient stark unterscheiden können, ist für eine personalisierte Krebsmedizin, die diesen Unterschieden Rechnung trägt, die Kenntnis des Tumorerbguts die wichtigste Informationsquelle. Der Neuropathologe Otmar Wiestler gab als DKFZ-Vorstandsvorsitzender das Ziel vor, bis 2016 von jedem Krebspatienten am DKFZ das Erbgut zu sequenzieren. Für manche Tumoren ist die personalisierte Krebstherapie bereits heute Realität. Bei der chronisch lymphatischen Leukämie beispielsweise hat der Molekulargenetiker Peter Lichter genetische Marker identifiziert, mit denen die Behandlung an das individuelle Risiko angepasst werden kann. Gemeinsam haben die Teams von Peter Lichter und dem Neuroonkologen und Arzt Stefan Pfister bereits das Genom und die epigenetischen Veränderungen bei über 300 Hirntumoren bei Kindern analysiert. Mit der Entdeckung genetischer Marker, die anzeigen, ob der Tumor auf bestimmte Medikamente anspricht, haben sie die Grundlagen für eine gezielte Behandlung der betroffenen Kinder gelegt. Die Neuroonkologie ist heute ein weltweit anerkanntes Schwerpunktgebiet des DKFZ.

Mit Klinischen Kooperationseinheiten hat das DKFZ die Forschung ans Krankenbett getragen. Im Bild: Professor Harald zur Hausen (links) und Professor Rainer Haas, Molekulare Hämatologie/Onkologie, 1996 © DKFZ / Josef Wiegand

Ein weiterer hochaktueller Schwerpunkt ist die Erforschung von Tumorstammzellen, die - geschützt in einer Stammzellnische - gegenüber den meisten Krebstherapien resistent sind. Sie sind für das Nachwachsen des Tumors und seine Metastasierung nach scheinbar erfolgreicher Behandlung verantwortlich. Andreas Trumpp und seinem Team ist es erstmals gelungen, solche Metastasen-induzierenden Zellen im Blut von Brustkrebspatientinnen nachzuweisen. Die Kenntnis der molekularen Eigenschaften von Tumorstammzellen und ihren Nischenzellen schafft die Möglichkeit, neue Strategien zur Bekämpfung therapieresistenter Krebsformen zu entwickeln. Um die Ergebnisse der Stammzellforschung für die Patienten nutzbar zu machen, gründeten das DKFZ und die Dietmar Hopp Stiftung 2008 das Heidelberger Institut für Stammzelltechnologie und Experimentelle Medizin, das ebenfalls von Andreas Trumpp geleitet wird.

Von der Forschung zum Krankenbett

Schon K. H. Bauer hatte es bei der Gründung des DKFZ als einen Geburtsfehler bezeichnet, dass das Zentrum ohne klinische Anbindung konzipiert worden war. Um die Forschungsergebnisse für das Patientenwohl besser nutzbar zu machen, wurden Klinische Kooperationseinheiten in Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Heidelberg/Mannheim eingerichtet. Mit der Gründung des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) durch DKFZ, Universitätsklinikum und Deutsche Krebshilfe hat das DKFZ nach Wiestlers Worten schließlich „einen angewandten Arm hinzugewonnen und eine stabile Brücke zur klinischen Krebsmedizin gebaut“. In den zehn Jahren seines Bestehens hat sich das NCT zu einem Zentrum höchster wissenschaftlicher Exzellenz entwickelt, an dem jedes Jahr über 10.000 neue Krebspatienten untersucht und behandelt werden.

Die beispielhafte Zusammenarbeit von Klinik und Forschung im NCT wird jetzt im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK) auf ganz Deutschland übertragen. Darin bauen das DKFZ als Kernzentrum und die in der Krebsmedizin stärksten deutschen Universitätskliniken gemeinsam Translationszentren. Sie haben neue Forschungsprogramme auf den Weg gebracht, mit dem Ziel, die Ergebnisse der Grundlagenforschung schnell in neue Ansätze zur Prävention, Diagnostik und Behandlung von Krebskrankheiten zu übertragen. Das DKTK ist eine gemeinsame Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, der beteiligten Bundesländer, der Deutschen Krebshilfe und des DKFZ. Wie Otmar D. Wiestler als Sprecher des DKTK erklärte, ist man zuversichtlich, hiermit die Behandlungsmöglichkeiten von Krebspatienten nachhaltig zu verbessern. Fünf Jahrzehnte, nachdem das DKFZ mit seinen Forschungen begonnen hat, kann man feststellen, dass bei allen Krebsarten die Überlebensraten ansteigen - bei manchen freilich immer noch quälend langsam. Aber „die Zeichen stehen gut, dass die neuen onkologischen Konzepte vielen Krebspatienten Lebensjahre schenken und ihre Lebensqualität verbessern werden.“

EJ - 26.05.2014
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH

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