Jan Tuckermann treibt vergleichende Hormon-Forschung
Als Kind hatte er Terrarien und Aquarien angelegt, sammelte begeistert Insekten. Auch deshalb hatte Jan Tuckermann für seine berufliche Zukunft schon früh klare Vorstellungen: Biologe wollte er werden, „ein interessanter Beruf mit viel Zeit an der frischen Luft“. Seinen Berufswunsch hat sich der 43-Jährige erfüllt. Er ist seit einigen Monaten Direktor des Instituts für Allgemeine Zoologie und Endokrinologie der Universität Ulm.
Aber die frische Luft muss sich der Wissenschaftler vorwiegend auf dem Rennrad oder am Fenster seines Büros holen. Denn, so erzählt Tuckermann, „während meines Studiums in Karlsruhe verschob sich mein Interesse in Richtung Molekularbiologie“. Am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg promovierte er summa cum laude. Ehe er den Ruf aus Ulm erhielt, war Tuckermann Nachwuchsgruppenleiter am Leibniz-Institut für Altersforschung (Fritz Lipmann-Institut) in Jena.
Was tragen Hormone zur zellulären Regulierung bei?
Hormonforscher Prof. Jan Tuckermann.
© Uni Ulm
Wie können die Zellen im Körper so unterschiedlich sein mit der gleichen Erbinformation? Wie entstehen die Unterschiede und welche Faktoren und hormonelle Botenstoffe regulieren sie? Diese Fragen trieben Tuckermann im Thüringischen um und tun es immer noch im Schwäbischen. Über die Jahre hinweg bedeutete dies für den Biologen: „Viel Zeit im Labor und wenig an der frischen Luft." In Ulm freut sich Tuckermann, dass er „der vergleichenden Hormonforschung im Tierreich wieder mehr Augenmerk schenken" wird können". Dies sei ein Fachgebiet mit vielen offenen Fragen und rätselhaften Phänomenen wie das Beispiel des Schilddrüsenhormons zeige: „Ein und dasselbe Hormon sorgt bei Kaulquappen dafür, dass sie den Schwanz verlieren und sich zum Frosch entwickeln, während es bei Mäusen und anderen Säugern den Energiestoffwechsel steuert."
Den zuckerbasierten Energiestoffwechsels zu regulieren, das ist auch die organische Grundfunktion des Cortisons. Dieses Glucocorticoid-Hormon aus der Nebennierenrinde ist imstande, in Verbindung mit einem speziellen Rezeptor direkt an die DNA zu binden und bestimmte Gene an- oder abzuschalten, weshalb der Cortison-Einsatz zu therapeutischen Zwecken vielfach auch mit massiven Nebenwirkungen verbunden ist.
Im Fokus: molekulare Prozesse von Entzündungen im Knochen
Erst kürzlich gelang es dem Team um Jan Tuckermann zu klären, welche Genschalterwirkung genau zur Therapie und Nebenwirkung von entzündlichen Knochenkrankheiten beiträgt. Diese Ergebnisse wurden in den letzten zwei Jahren in angesehenen Fachzeitschriften wie Cell Metabolism, PNAS und Nature Reviews Rheumatology vorgestellt. „Ein Ziel von uns ist es nun, die entscheidenden Gene zu identifizieren“, so Tuckermann. Könnten diese Gene direkt beeinflusst werden, ließe sich der Cortison-Einsatz vermeiden. Diese Arbeiten erfordern nicht nur den Einsatz komplexer Technik zum Nachweis der Kausalität, sondern auch den Kauf eines besonderen Mikroskops, um diese Vorgänge genomweit sichtbar zu machen.
Unabhängig davon: „Wir haben bereits Gene gefunden, die für die Knochen wichtig sind.“ Überraschenderweise seien diese bisher dem Gehirn zugeschrieben worden, berichtet der Wissenschaftler und bestätigt in diesem Zusammenhang: „Die Tendenz unserer Arbeit liegt fraglos an der Schnittstelle von Biologie und Medizinforschung.“ Ein Grund dafür: „Die Relevanz für den Menschen ist wichtig, ansonsten gibt es keine Forschungsgelder.“ Um diese muss sich zwar auch Jan Tuckermann bemühen, aber das Generalthema seiner Forschungsarbeiten fügt sich gut in die aktuelle Forschungslandschaft. Das gilt auch für die unmittelbare räumliche Nachbarschaft zum Biomedizinischen Forschungszentrum.
Wie beeinflussen Hormone das Altern?
Das Tuckermann-Institut wird das erste seiner Art sein, das die hormonelle Regulation von entwicklungsbiologischen, physiologischen und Alterungsprozessen ins Zentrum seiner Forschungsanstrengungen setzt. Als gesichert gilt, dass während des Alterns entwicklungsbiologische Prozesse wie Differenzierungsentscheidungen von Zellen und die Stammzellerhaltung gestört sind. Wie aber werden diese Prozesse durch Hormone reguliert? Diese Fragen will Jan Tuckermann mit seinem Team nicht nur in Bezug zur Alterung setzen. Vielmehr hebt er ab auf einen ganzheitlichen Ansatz, der die gesamte Lebensspanne umfasst, von der Embryonalentwicklung bis zur letzten Phase des Lebens.
„Wir interessieren uns für Entzündungsreaktionen, vor allem wenn sie im Knochen stattfinden wie die rheumatoide Arthritis“, erklärt der Wissenschaftler. Womit sich thematisch der Kreis wieder schließt zum Cortison und seinen Nebenwirkungen. Denn sein Einsatz als Rheuma-Hemmer geht bei einer Langzeit-Anwendung einher mit Malaisen unterschiedlichster Art, von Wasser- und Fetteinlagerungen über Diabetes bis hin zum schleichenden Knochenabbau, der Osteoporose. Letztere wird auch intensiv auf dem Ulmer Campus erforscht. „Gerade die Knochenforschung ist hier ja exzellent“, freut sich Jan Tuckermann, wie überhaupt „Ulm für unsere Arbeit ein hoch interessantes Umfeld“ biete.
Ziel: Eine integrative Hormonphysiologie
Seine ambitionierte Forschung soll nach Tuckermanns Vorstellungen so schnell wie möglich Eingang in die Lehre finden: „Wir wollen eine integrative Hormonphysiologie aufbauen, um dabei die neuesten Erkenntnisse zu berücksichtigen.“ Zu diesen sollen auch mehrere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beitragen, die er aus Jena mitgebracht hat oder die noch nach Ulm übersiedeln werden. Unbesetzt ist derzeit noch die zweite Professorenstelle des Instituts, das im Endausbau rund 25 bis 30 Köpfe zählen soll. „Möglichst eine Kollegin oder einen Kollegen mit einem zweiten Haustier“, wünscht sich der Leiter, der selbst mit dem Modelltier Maus zu tun hat. „Dann hätten wir eine größere Bandbreite."