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Lebensrettender Blick auf den Blutfluss

Dem erfahrenen Medizinphysiker bleibt nichts verborgen. Er braucht weder einen Operationstisch, noch ein Skalpell, um - wie Dr. Michael Markl - in den Mensch hineinzuschauen und ein genaues Bild seines Herz-Kreislaufsystem zu erhalten. Ohne Spitzentechnik kommt Markl dabei allerdings nicht aus. Er benötigt für die umfassende Darstellung des Gefäßsystems die Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT).

Markl führt den kardio-vaskulären-Schwerpunkt im Bereich Medizin Physik an der Radiologischen Universitätsklinik Freiburg. Unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Jürgen Hennig werden in der Freiburger Medizin Physik MRT-Techniken für neue Anwendungen in der Medizin entwickelt. Die Abbildung des Gehirns und die Erforschung seiner Funktionen mit Hilfe der funktionellen Magnet-Resonanz-Tomographie (fMRT) gehören ebenso zu den Spezialitäten der 60 Wissenschaftler starken Abteilung, wie die Weiterentwicklung von Ganzkörper-Aufnahmen (Wholebody-Imaging) oder die Optimierung der „Molekularen Bildgebung“ an Tieren. Außerdem befasst sich die Freiburger Medizin Physik mit der Lösung theoretischer Probleme rund um die MRT und der Entwicklung neuer Softwarepakete zur Auswertung der komplexen Datensätze.

Aufnahmen mit großem Wert für die Diagnostik

Einzigartige Bilder zeigen den Blutfluss durch die Hauptschlagader in dreidimensionaler Darstellung © AG Dr. M. Markl
Oftmals entstehen erst aus der Technik, die wir verändert und weiterentwickelt haben, neue Anwendungsmöglichkeiten“, erklärt Markl. Viel Grundlagenforschung steckt beispielsweise in der 4D-MRT bzw. 7D-MRT, die es den Freiburger Wissenschaftlern erlaubt, den Blutfluss in der Hauptschlagader (Aorta) dreidimensional darzustellen. „Solche Bilder hat so keiner vorher gesehen“, sagt Markl. Wenn er seinen Computer startet, sieht der Arzt nicht mehr nur einzelne Schichten im Gefäß. Erstmals kann er tatsächlich betrachten, wie das Blut durch die Aorta fließt und er kann Auffälligkeiten, wie beispielsweise Verwirbelungen, sofort erkennen. Diese Aufnahmen haben einen großen Wert für die Diagnostik: Denn die Ärzte können nun verfolgen, wie sich Änderungen des Blutflusses auf das gesamte Gefäßsystem auswirken und welche Erkrankungen sich daraus entwickeln. Angewendet wird dieses MRT-Verfahren beispielsweise bei Patienten, deren Hauptschlagader eine angeborene Aussackung, ein so genanntes Aneurysma, aufweist. „Wir wissen, dass es von den Strömungsverhältnissen in der Aorta abhängt, ob ein Aneurysma wächst und damit gefährlich wird oder nicht“, erklärt Markl. Je größer die Aussackung wird, umso mehr steigt die Gefahr, dass das Hauptschlagader aufreißt und der Patient verblutet. Deshalb empfehlen die Herzchirurgen ihren Patienten eine Operation, bei der das Aneurysma entfernt wird, wenn es eine bestimmte Größe überschritten hat.

Auf der Suche nach guten Perspektiven

Doch das Risiko ist oftmals nur vorübergehend gebannt. „Trotz des Eingriffs entstehen später im Leben häufig neue Aussackungen, manchmal an derselben, manchmal an anderen Stellen im Gefäß“, erklärt der Medizin Physiker. In Langzeitbeobachtungen versuchen er und seine Mitarbeiter nun zu klären, wie sich Veränderungen des Blutstroms auf die Prognose der Erkrankten auswirken. „Wir wollen herausfinden, welche Behandlung zu guten Strömungsverhältnissen und damit zu einer guten Perspektive der Operierten führt“, erläutert Markl. Bisher haben die Freiburger Medizin Physiker den Blutstrom von 250 Patienten sowie freiwillige Versuchspersonen betrachtet. Endgültige Schlüsse lassen sich aus diesen Daten aber noch nicht ableiten. Außerdem will die Arbeitsgruppe herausfinden, wer wirklich von Beta-Blockern profitiert, die Aneurysma-Patienten gewöhnlich zur Senkung des Blutdrucks erhalten. Laut Statistik nutzt diese Therapie 80 Prozent der Behandelten. Den restlichen 20 Prozent hilft sie nicht. „Mit Hilfe des MRT wollen wir nun herausfinden, wie sich die Strömungsverhältnisse durch die Behandlung mit Beta-Blockern verändern und wem das tatsächlich Vorteile bringt“, erläutert Markl.

Mit dem MRT hinter die Statistik blicken

Noch eine zweite statistische Größe beschäftigt den Medizin Physiker. Erreicht eine Aussackung der Hauptschlagader eine Größe von 4,5 Zentimetern und wächst weiter, greifen die Chirurgen in der Regel zum Skalpell. Ob der Eingriff dann aber wirklich nötig ist, weiß niemand. Genauso wenig kann ein Arzt sicher sagen, dass Patienten, deren Aneurysma kleiner ist, keinen Gefäßwandriss fürchten müssen. Auch dieses komplexe Problem will Markl mit Hilfe der MRT lösen. Seine Arbeitsgruppe sucht nach eindeutigen Biomarkern, die Auskunft über die Situation im Blutgefäß geben und eine verlässliche Prognose erlauben. „Vorklinische Studien haben gezeigt, dass die Wandschubspannung ein sehr empfindlicher Marker für Veränderungen der Gefäßwand ist“, erklärt Markl. Ein geringer Wert scheint ein deutlicher Indikator für geschädigte Zellen zu sein. Da sich die Wandschubspannung aus der gemessenen Blutgeschwindigkeit errechnen lässt, haben die Gefäßchirurgen bald vielleicht tatsächlich ein verlässliches Kriterium an der Hand, das ihnen Auskunft über den Zustand der Gefäßwand gibt. Sie bräuchten nur eine MRT-Aufnahme, aus der sich die Wandschubspannung ableiten lässt, und schon wüssten sie Bescheid, ob die Aussackung zu reißen droht.

Gemeinsam ans Problem herantasten

„Auch in diesem Fall gilt, wie immer bei unserer Arbeit: Wir entwickeln die Methoden, aber die Datenanalyse geht nur zusammen mit den Klinikern“, betont Markl. Gemeinsam mit den Radiologen und ihren MRT-Geräten wollen sich die Medizinphysiker demnächst auch andere Gefäße als die Aorta anschauen. Das Verfahren soll in Zukunft auch zur Beurteilung der Halsschlagader sowie die Arterien im Kopf und in den Oberschenkeln angewendet werden. „Gemeinsam werden wir uns da herantasten“, verspricht Markl.
Drei Abbildungen nebeneinander. Die Bilder wurde mit MRT-Daten erstellt. Links: Farbencodiertes Dreidimensionales Geschwindigkeitsprofil des Blutflusses im Herzen. Hohe Geschwindigkeiten (0,80 Meter pro Sekunde) sind rot, geringere grün (0,40 Meter pro Sekunde) und blau dargestellt. <br /> Mitte: dreidimensionales Bild der Herz- und Gefäßfunktion. Im unteren Teil ist schematisch ein an zwei Ebenen geöffnetes Herz zu sehen.<br /> Rechts: Zwei rotgefärbte runde geometrische Figuren zeigen die errechnete Faserstruktur des Herzmuskels.
Die MRT hilft bei der Beantwortung einer Vielzahl von kardiovaskulären Fragen. © Michael Markl
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