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Nach Übergangsjahr 2010 will Boehringer Ingelheim wieder wachsen

Ende einer Serie: Für den erfolgsverwöhnten Pharmakonzern Boehringer Ingelheim verliefen die Geschäfte 2010 allenfalls „zufriedenstellend“. Jahrelang war Deutschlands zweitgrößter Arzneimittelhersteller überdurchschnittlich gewachsen. Im Jubiläumsjahr seines 125jährigen Bestehens endete diese Erfolgssträhne, erwartungsgemäß.

Denn ausgelaufene Patente von drei umsatzträchtigen Präparaten auf dem für Boehringer Ingelheim wichtigsten Absatzmarkt USA kosteten nach Worten ihres Sprechers Andreas Barner Umsätze in Höhe von 1,4 Mrd. Euro. Die auf der Jahrespressekonferenz vorgestellten Zahlen zeigten den erwarteten Einbruch: Der Umsatz stagnierte bei 12,6 Mrd. Euro (minus ein Prozent), der Gewinn nach Steuern halbierte sich auf 888 Mio. Euro.

Nachhaltige Erfolge statt kurzfristige Ergebniskosmetik

Rekordinvest in eigene Forschung und Entwicklung © Boehringer Ingelheim

 2011 will das Unternehmen wieder wachsen (im „mittleren einstelligen Prozentbereich"). Mit einer „gut gefüllten Substanz-Pipeline" und einer Rekordinvestition von 2,4 Mrd. Euro (20 Prozent der Umsatzerlöse, 230 Mio. Euro mehr als 2009) in die eigene Forschung und Entwicklung setzt das nicht börsennotierte Familienunternehmen auf „nachhaltige Erfolge statt kurzfristiger Ergebnisoptimierung". Auch den größten Teil der 519 Mio. Euro Investitionen in Sachanlagen hat Boehringer Ingelheim vor allem für Gebäude und technische Anlagen an seinen Forschungs- und Entwicklungsstandorten und für die Produktion getätigt, 78 Mio. Euro davon gingen nach Biberach.

Trotz verlorener Exklusivitätsrechte, kostendämpfender Gesundheitsreformen in USA und Europa hielt die weltweite Nummer 15 auf dem Pharmamarkt beinahe das Vorjahresumsatzniveau. Den Absatz stabilisierten das Portfolio verschreibungspflichtiger Medikamente (plus 5,5 Prozent), neue Produkte wie der Gerinnungshemmer Pradaxa und das Geschäft mit der Tiergesundheit, dessen Umsätze um 51 Prozent zulegten.

Deutschland trägt zehn Prozent zum Umsatz bei

Im Jahresdurchschnitt 2010 beschäftigte Boehringer Ingelheim mehr als 42.000 Mitarbeiter weltweit, (zwei Prozent mehr als 2009); davon arbeiteten rund 11.500 in Deutschland, rund 4.800 in Biberach, dem größten Forschungscampus und der größten biopharmazeutischen Produktionsstätte des Unternehmensverbundes. Deutschland trug 2010 zehn Prozent zum Gesamtumsatz bei.
Andreas Barner, Sprecher der Unternehmensleitung und verantwortlich für Forschung & Entwicklung und Medizin nannte 2010 ein „Jahr des Übergangs“, in dem das Unternehmen „den Grundstein für neues Wachstum gelegt“ habe.

Wird Gerinnungshemmer neuer Blockbuster?

Große Hoffnungen ruhen auf dem Gerinnungshemmer Pradaxa, der Ende 2010 in USA und Kanada in der neuen Indikation Schlaganfallprävention bei Patienten mit Vorhofflimmern zugelassen wurde. Anfang 2011 folgten Neuseeland, Japan und Korea, in Europa erwartet das Unternehmen weitere Zulassungen. Das Präparat ist seit 2008 in 75 Ländern zur Vorbeugung venöser Thromboembolien nach Hüft- und Kniegelenkersatz-OPs zugelassen.
Den Löwenanteil (93 Prozent oder 11,7 Mrd. Euro) des Umsatzes macht das Unternehmen weiterhin mit Humanpharmaka, 9,7 Mrd. Euro davon mit verschreibungspflichtigen Medikamenten. Auf rezeptfreie Medikamente, die 2010 4,5 Prozent Umsatzwachstum vor allem in China, Brasilien und Russland verzeichneten, entfielen 1,3 Mrd. Euro.

Zwei Blockbuster werden noch größer

Prof. Andreas Barner vertraut auf gut gefüllte Pipeline. © Boehringer Ingelheim

Nach wie vor wichtigster Absatzmarkt bleibt die Region Amerika.  2010 wurden dort 5,7 Mrd. Euro (2009: 6,3 Mrd. Euro) oder 46 Prozent des Gesamtumsatzes erzeugt. Den durch Patentverluste  bedingten Umsatzrückgang fingen teilweise die ‚Umsatzkönige', das Atemwegspräparat Spiriva (2,86 Mrd. Euro, plus 19,1 Prozent), der Bluthochdrucksenker Micardis (1,55 Mrd. Euro, plus 11,6 Prozent) sowie das zur Behandlung von chronisch-obstruktiven Atemwegserkrankungen und Asthma bronchiale zugelassene Präparat Combivent (727 Mio. Euro, plus 11,2 Prozent) auf. Die beiden erstgenannten Medikamente machen nach Barners Worten 47 Prozent des Umsatzes der verschreibungspflichtigen Arzneimittel aus.

In Europa und der Region Asien, Australien, Afrika (AAA) steigerte Boehringer Ingelheim seine Erlöse. Immer wichtiger wird für den deutschen Pharmariesen die AAA-Region. Dort legten die Umsätze um 11,6 Prozent auf 2,8 Mrd. Euro zu, was 22 Prozent des Gesamtumsatzes ausmacht.

921 Mio. Euro erlöste Boehringer im Geschäftsfeld Tiergesundheit. Hier kletterten die Umsätze um 51 Prozent, was zum einen auf einen erfolgreichen Schweineimpfstoff, zum anderen auf den Erwerb der Tiergesundheitssparte von Pfizer/Fort Dodge zurückgeht.  Entsprechend stieg der Anteil dieser Sparte am Gesamtumsatz um zwei auf sieben Prozent.

Biopharmazie Auftragsgeschäft: das Fremont-Versprechen

Erneut gesunken sind 2010 die Umsätze aus dem biopharmazeutischen Auftragsgeschäft. Sie fielen um fast ein Viertel auf 422 Mio. Euro (2009: 553 Mio. Euro), was daran lag, dass „nicht alle Produkte unserer Kunden vergleichbar erfolgreich“ waren. Mit dem Ende März vollzogenen Erwerb der Amgen-Entwicklungs- und Produktionsstätte im kalifornischen Fremont, will Barner zufolge Boehringer Ingelheim seine weltweit führende Rolle in der Entwicklung und Herstellung von Biopharmazeutika weiter stärken.

Jetzt auch im Herzen der Biotech-Area vertreten

Näher an den Kunden: eine voll integrierte biopharmazeutische Entwicklungs- und Produktionsstätte im kalifornischen Fremont wurde im März von Amgen übernommen. © Boehringer Ingelheim

„Durch die strategische Entscheidung, mit einer modernen Anlage für die Entwicklung und Auftragsproduktion im Biotechnologie-Zentrum in der San Francisco Bay-Region vertreten zu sein, kann Boehringer Ingelheim seine bisherigen und künftigen Kunden noch besser bedienen. Zusätzlich wird das technische Know-how am Standort Fremont dazu beitragen, unsere weltweit führende Position in der Prozessentwicklung und Produktion von Biopharmazeutika weiter auszubauen".

Als ein vollintegrierter Produktionsstandort wird Fremont die vorhandenen Ressourcen und modernste Technik des biopharmazeutischen Netzwerks von Boehringer Ingelheim in Biberach/Deutschland und Wien/Österreich ergänzen.

Blick in Pipeline macht Boehringer zuversichtlich

Im Köcher hat der Konzern mehrere Substanzen in fortgeschrittener klinischer Entwicklung. In Phase III für eine weitere Indikation (akute/sekundäre venöse Thromboembolien) befindet sich das jüngst zur Schlaganfallprävention bei Vorhofflimmern zugelassene Dabigatran etexilate (Pradaxa). Mit der Zulassung Mitte 2011 für einige nicht genauer genannte Märkte rechnet das Unternehmen für Linagliptin. Die Substanz gegen Diabetes Typ 2 soll den Blutzuckerspiegel nachhaltig senken und problemlos bei Patienten mit Nierenfunktionsstörungen anwendbar sein. Mit dem Diabetes-Spezialisten Eli Lilly hat Boehringer Ingelheim bekanntlich eine strategische Allianz zur gemeinsamen Entwicklung und Vermarktung von vier Substanzen in später klinischer Entwicklung geschlossen, darunter befindet sich auch Linagliptin.

Starker Fokus auf Typ-2-Diabetes

Im Therapiebereich Typ-2-Diabetes hat Boehringer noch eine weitere Substanz in Phase III. Über zwei Phase-III- und einen Phase-II-Kandidaten verfügt das Unternehmen in der Indikation Onkologie. In die dritte Phase der klinischen Entwicklung tritt ein Protease-Inhibitor für die Indikation Hepatitis C. Hoffnungen setzt das Unternehmen auch auf einen Tyrosin-Kinase-Inhibitor in der Indikation Idiopathische Pulmonäre Fibrose, hier soll die Entwicklung der Prüfsubstanz in die Phase III noch 2011 erfolgen. Nach einem negativen Votum der US-Behörde FDA hat sich das Unternehmen vom Projekt Flibanserin verabschiedet. Die in Phase III befindliche Substanz sollte die Libido von Frauen in den Wechseljahren steigern.

Neue Kooperationen mit Biotechs

Wie aus dem Unternehmensbericht hervorgeht, kooperiert das Unternehmen im FuE-Bereich für Biopharmazeutika mit einigen Biotech-Firmen. Mit 4-Antibody AG (Schweiz) hat Boehringer Ingelheim eine langfristige Zusammenarbeit begonnen mit dem Ziel, vollständig humane Antikörper für eine Reihe von Targets in verschiedenen Krankheitsindikationen zu erforschen und zu entwickeln. Mit Micromet Inc. (USA) hat das Unternehmen eine Partnerschaft begonnen. Gegenstand der Zusammenarbeit ist die Erforschung, Entwicklung und Vermarktung eines neuen BiTE-Antikörpers (bispezifische monokolonale Antikörper) zur Behandlung von multiplem Myelom.

Darüber hinaus schloss das Unternehmen eine globale Allianz mit Macrogenics (USA) zur Erforschung, Entwicklung und Vermarktung antikörperbasierter Therapeutika (die gleichzeitig zwei Antigene angreifen) für Immunologie, Onkologie, Atemwegserkrankungen, kardiometabolische und Infektionskrankheiten. Mit dem Biotechunternehmen f-star Biotechnologische Forschungs- und Entwicklungsges. m. b. H. (Österreich) schloss Boehringer Ingelheim eine Kooperations- und Lizenzvereinbarung über die gemeinsame Erforschung neuer antikörperbasierter Therapieprodukte auf Grundlage der modularen Antikörpertechnologie von f-star.

Im Bereich niedermolekularer Therapeutika ist Boehringer mehrere Partnerschaften eingegangen mit dem Ziel, das Portfolio zu erweitern. Es sind dies Priaxon AG (München), mit dem gemeinsam MDM2-/p53-Inhibitoren zur Krebsbehandlung erforscht und entwickelt werden. In der Indikation Diabetes arbeitet Boehringer Ingelheim mit Neurocrine Biosciences (USA) an der Erforschung und Entwicklung niedermolekularer GPR119-Antagonisten zusammen. Dieser neue Mechanismus stimuliert sowohl die Produktion und Sekretion des körpereigenen Insulins und ergänze die wachsende Diabetes-Pipeline.

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