Stuttgarter Forscher entschlüsseln Funktion körpereigener Antibiotika
Forschern am Robert-Bosch-Krankenhaus (RBK) und am Dr. Margarete Fischer-Bosch-Institut für Klinische Pharmakologie (IKP) in Stuttgart ist es gelungen, einen neuen Mechanismus des menschlichen Immunsystems gegen Darmbakterien und krankheitserregende Hefepilze zu identifizieren. International renommiertes Wissenschaftsmagazin „Nature“ stellt Untersuchungsergebnisse vor.
V.l.n.r.: Priv.-Doz. Dr. Jan Wehkamp, Björn Schröder, Prof. Dr. Eduard F. Stange
© IKP-Stuttgart
„Besondere Relevanz bekommt dieses vollkommen neue biologische Prinzip im Zusammenhang mit Entzündung und Krankheit“, erklärt der Leiter der Arbeitsgruppe Priv.-Doz. Dr. Jan Wehkamp, der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Emmy Noether-Programms für Nachwuchswissenschaftler gefördert wird. Kern der Entdeckung ist die Tatsache, dass ein spezielles körpereigenes Eiweiß, welches Antibiotika aktiviert, während chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa vermindert produziert wird. Somit ist bei der Entzündung die Immunabwehr gegen Pilze und Bakterien gestört und es kommt zu einer weiteren Schwäche der Darmbarriere, die für die Entzündung verantwortlich gemacht wird. Dies konnte in enger Kooperation mit der Abteilung für Innere Medizin I am RBK von Prof. Dr. Eduard F. Stange nachgewiesen werden. Das Forscherteam geht davon aus, dass sich dieser jetzt identifizierte Mechanismus in Zukunft zur Therapie von verschiedenen entzündlichen und infektiösen Erkrankungen nutzen lässt. Die Entdeckung wurde erstmals in dem international renommierten Wissenschaftsmagazin „Nature“ vorgestellt (Nature, DOI: 10.1038/nature09674, online für Abonnenten unter www.nature.com).
Untersuchungsgegenstand der Arbeitsgruppe war die Wirkung von bestimmten körpereigenen Antibiotika, so genannten Defensinen, unter sauerstoffarmen Bedingungen. Defensine wurden bislang vor allem in Gegenwart von Sauerstoff getestet, obwohl zum Beispiel im menschlichen Darm eigentlich kaum Sauerstoff vorhanden ist. Während dieser Untersuchungen fanden der Doktorand Björn Schröder und die Gruppe heraus, dass ein bestimmtes Defensin, das humane Beta-Defensin 1 (hBD-1), gegen Milchsäurebakterien und bestimmte Hefepilze nur unter sauerstoffarmen Bedingungen antibiotisch wirksam ist. Zusätzlich entdeckten die Forscher, dass ein weiteres menschliches Eiweiß (Thioredoxin) in Gegenwart von Sauerstoff das Beta-Defensin 1 aktivieren kann.
Das körpereigene Antibiotikum hBD-1 aus der Gruppe der Defensine wird ständig von allen menschlichen Oberflächen produziert, seine wahre Funktion galt bislang jedoch als rätselhaft. Die aktuellen Untersuchungen lassen nun den Schluss zu, dass hBD-1 menschliche Oberflächen gegen gute Darmbakterien wie Milchsäurebakterien schützt, aber auch bei der Abwehr gegen krankheitserregende Hefepilze nützlich ist.
Diese Funktion des hBD-1 ist bisher übersehen worden, da Wissenschaftler meist nur Bakterien in Gegenwart von Sauerstoff untersucht hatten, ohne dabei aber die tatsächlichen, sauerstoffarmen Bedingungen im Darm zu beachten. Die Ursache von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen ist bislang nicht vollständig geklärt. Es scheinen sowohl genetische als auch umweltabhängige Ursachen eine Rolle zu spielen, die zu einer Schwächung der antimikrobiellen Oberflächen-Barriere führen, welche wiederum in wichtigen Teilen über Defensine vermittelt wird. Daher bietet dieser neu entdeckte Mechanismus einen möglichen Ansatzpunkt für eine Therapie betroffener Patienten.
Bei der Forschungsarbeit handelt es sich um eine aus Stuttgart, von der Emmy Noether-Nachwuchsgruppe geführte rein deutsche Kooperationsarbeit mit insgesamt sechs beteiligten Zentren. Neben fünf Wissenschaftlern aus Stuttgart (Dr. Margarete Fischer-Bosch-Institut für klinische Pharmakologie) und dem federführenden Robert-Bosch-Krankenhaus (Björn Schröder, Sabine Nuding, Julia Beisner, Eduard F. Stange und Jan Wehkamp) waren von der Universität Tübingen die Hautklinik (Martin Schaller), das Tübinger Max Planck Institut für Entwicklungsbiologie (Sandra Groscurth), die Hautklinik der Universität Kiel (Zhihong Wu), sowie das Department Chemie der Technischen Universität München (Moritz Marcinowski und Johannes Buchner) beteiligt. Die Arbeit wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und in wichtigen Teilen von der Robert Bosch Stiftung unterstützt.