Wenn der Erfolg die Kosten hochtreibt
Die Herstellung therapeutischer Proteine und Peptide ist eine Erfolgsgeschichte von Biologie und Ingenieurswesen. Die rote Biotechnologie konnte ihren kommerziellen Siegeszug antreten, weil es der Verfahrenstechnik gelang, die Expression fremder Gene in Mikroorganismen und Zellen in den Griff zu bekommen: Gewebezellen wurden nicht nur sicher technisch kultiviert, sondern auch im industriellen Maßstab für die medizinische Anwendung aufgereinigt. Allerdings laufen der biopharmazeutischen Industrie jetzt die Kosten davon.
Wie rasant sich „Bio“ und „Technologie“ entwickelten, zeigt ein Blick in die Anfänge: 1989 kultivierte Amgen das blutverdickende Hormon EPO mit Gewebezellen in „roller bottles“, die in Hunderten von Einheiten nebeneinander in Inkubatoren betrieben wurden. Heute werden Wirkstoffe in riesigen Rührkesselreaktoren im Maßstab von 10 bis 50 Kubikmeter produziert.
Sprunghaft verlief auch die Produktausbeute: Vor zehn bis 15 Jahren lag diese bei E. coli im Milligramm-Bereich pro Liter Kulturmedium, sagt Jürgen Hannemann, Gründungsdekan des Studiengangs Biopharmazeutische Biotechnologie der Hochschule Biberach. Heute holen die Hersteller das Tausendfache an Wirkstoff aus der Fermentationsbrühe heraus, bis zu zehn Gramm pro Liter im günstigsten Fall.
Biologen und Ingenieure sollten eher miteinander sprechen
Je eher Biologen mit Verfahrenstechnikern reden, desto besser, meint Jürgen Hannemann.
© Hochschule Biberach
Zwar dominiert zu Beginn der biopharmazeutischen Herstellung der biologische Part, wenn nach unzähligen Klonierungen der Produktionsstamm gefunden, die Masterzellbank und die Arbeits-Zellbänke erstellt sind. Bei der Kultivierung und schrittweisen Maßstabsvergrößerung vom Erlenmeyerkolben oder Laborfermenter bis zu zigtausend Liter großen Fermentern wächst der Einfluss der Verfahrenstechnik. Schon hier sollten nach Hannemanns Worten Biologen und Ingenieure mehr miteinander reden. Das taten sie bisher eher nicht, will das heißen.
Spätestens bei der Fermentation beginnt das Wechselspiel von Biologen und Verfahrenstechnikern. Hier lernen beispielsweise die Biberacher Studenten, wie ein Rührer geformt, wie schnell gerührt werden muss, damit die empfindlichen Zellen vom Ruder richtig „angefasst“ werden, beziehungsweise welcher Reaktortyp für welche Zellen in Frage kommt. Oder wie das Gas in die Nährlösung gebracht wird, damit die Zellen durch die Gasbläschen nicht ständig nach oben gewirbelt werden und sich dieses gleichzeitig optimal im Kulturmedium löst. Dieses wiederum muss einen bestimmten pH-Wert besitzen, der konstant gehalten werden muss, was durch Zugabe von Natronlauge oder Salzsäure geschieht.
Ingenieurskunst sorgt für stetes Wohlgefühl
Diese Wohlfühlbedingungen für Zellen herzustellen ist Aufgabe der Verfahrenstechniker. Dieses Gleichgewicht zu schaffen erfordert nach Hannemanns Worten gleichermaßen verfahrenstechnisches und biologisches Wissen. Verfahrenstechniker müssen mit technischen Mitteln die Klimabedingungen für die Zellkultur umsetzen. Das setzt genaue Kenntnisse der Strömungslehre voraus, die richtige Einstellung von Wärmeabtrag und -zuführung, Druckregelung oder Rührtechniken, sagt Annette Schafmeister, Professorin für Verfahrenstechnik an der Biberacher Hochschule.
Kommunikation beschleunigt die Lösung
Dass Ingenieure und Naturwissenschaftler Probleme unterschiedlich anpacken, weiß auch die gelernte Chemie-Ingenieurin Schafmeister.
Während Biologen eher den Weg des trial and error beschreiten, wollen Ingenieure berechnen, das „System Biologie“ beherrschen. Letztendlich sei das Ergebnis das gleiche, aber die Synergie von Biologie und Verfahrenstechnik beschleunigt nach Hannemanns Worten die Lösung.
In Biberach vermittelt Schafmeister den angehenden pharmazeutischen Biotechnologen Kenntnisse in Strömungslehre, mechanischer und thermischer Verfahrenstechnik. Dazu gehört auch Werkstoffkunde. In pharmazeutischen Verfahren hat die Steriltechnik einen hohen Stellenwert, erläutert Schafmeister. Da müssen Werkstoffe so beschaffen sein, dass sie sterilen Bedingungen standhalten können. Diese Vorgaben stellen die Betreiber.
Standardisierte Prozesse „überlisten“ variable Biologie
Große Fortschritte machte der biopharmazeutische Herstellungsprozess in den vergangenen Jahren. Hier ein Bild zur Zellvermehrung.
© Boehringer Ingelheim
Ist der Brückenschlag von Biologie zu Ingenieurwissenschaften vollkommen gelungen? Sind komplexe biologische Abläufe in berechenbare Prozesse übersetzt worden? Hannemann nickt, schränkt aber ein, denn Zellen seien nur bis zu einem gewissen Maße sicher reproduzierbar. Mit dieser Variabilität kommen nach seinen Worten große, klassische Pharmahersteller besser zurecht als kleinere Biotechs.
In der Großindustrie seien diese eigentlich sehr variablen Prozesse sehr spezifiziert, standardisiert worden. Damit sei es gelungen, diese Prozesse beispielsweise bei der Produktion von Antikörpern sehr reproduzierbar ähnlich zu machen, bis zu 95 Prozent. Mit den Zulassungsbehörden werde dann im Rahmen des Good Manufacturing Practice eine Spezifikation erstellt, eine Art Bandbreite, innerhalb der der Prozess zugelassen ist.
Einig sind sich der Biologe und die Verfahrenstechnikerin darin, dass es dem schier explodierenden molekularbiologischen Wissen zu verdanken ist, dass die Zelle immer mehr Protein produziert, weil die Genetik immer besser verstanden wird, man mittlerweile weiß, welche regulatorischen Elemente in den Vektor eingebaut werden müssen, damit die Zelle noch mehr Protein produziert. Ob die Biologen den Ingenieuren enteilt sind, diese Frage beurteilen Schafmeister und Hannemann unterschiedlich.
Nicht die Herstellung ist das Problem
Downstream-Fachmann Prof. Hans Kiefer.
© Hochschule Biberach
Einig sind beide sich mit ihrem Kollegen, dem Biochemiker Hans Kiefer, der in Biberach eine von zwei deutschen Professuren für Proteinreinigung innehat: Nicht die Herstellung ist ein Problem, sondern die Aufreinigung, die die Verfahrenstechniker Downstream-Prozess nennen. Diese Isolierung und Reinigung der therapeutischen Proteine aus der Fermentationsbrühe, in der sich auch noch zerstörte Zellen befinden, geschieht üblicherweise über Chromatographie.
Und hier liegt das Problem für die Pharma-Hersteller. Weil der Upstream-Prozess mittlerweile die Protein-Ausbeuten vertausendfacht hat, werden die Chromatographie-Säulen immer voluminöser. Durchmesser von zwei bis drei Metern sind keine Seltenheit. Der Biologe Hannemann formuliert das so: Die Produktionskapazität pro Liter Kulturmedium habe gigantisch zugenommen, die Aufreinigung leider nicht. Die Effektivität der Aufreinigung sei technisch nicht besser geworden. Das will die Verfahrentechnikerin Schafmeister so nicht stehen lassen, verweist auf ebenso verbesserte Steriltechnik, bessere Apparate und Techniken.
Was technisch machbar ist, muss sich längst nicht rechnen
Kostenfresser Chromatographie.
© ratiopharm
Des Pudels Kern liegt nicht in der Technik, sondern in den damit verbundenen Kosten. Denn mit den zu Gebote stehenden Methoden sei die Aufreinigung technisch kein Problem, sagt der Biberacher Biochemiker Hans Kiefer. Aber die Proteinaufreinigung frisst bis zu 80 Prozent der Gesamtherstellungskosten, in jedem Fall immer deutlich über 50 Prozent. Das führt Kiefer darauf zurück, dass Upstream viel billiger geworden ist wegen der höheren Produktionsraten.
Bei hohen Ausgangskonzentrationen sind völlig andere Verfahren denkbar, die aus der Chemie entliehen sind, wie zum Beispiel die Kristallisation oder die Flüssig-Flüssig-Extraktion. Aber diese sind neu und seinen Informationen nach noch nicht eingesetzt worden. Gearbeitet werde auch an Batch-Verfahren, bei denen magnetische Partikel in Suspension verwendet werden bei einer chromatographieähnlichen Oberfläche.
Zellernte mittels Mikrofiltration.
© Boehringer Ingelheim
Biosimilars als Technologietreiber?
Tatsächlich schien die Aufreinigung nach Kiefers Worten für die biopharmazeutischen Hersteller lange kein Problem zu sein. Aber mit dem vermehrten Aufkommen von Biosimilars lassen sich für Originalpräparate nicht mehr die hohen Preise von einst erlösen, die Herstellungskosten müssen sinken. Sogar die Politik sorgt sich, dass die Produktion in Billiglohnländer abwandere. Deshalb hat das BMBF ein Förderprogramm zur Proteinaufreinigung auf die Beine gestellt, an dem sich auch Betriebe aus der Ulmer Bioregion unter der Federführung der Biberacher Hochschule beteiligen.
Vorbild chemische Verfahrenstechnik
Auf die kostspielige Chromatographie wird man nach Expertenmeinung nicht verzichten können, wohl aber vielleicht auf einen oder zwei von derzeit drei Chromatographie-Schritten. Schon ein eingesparter Schritt wäre eine gewaltige Kostenersparnis. Die Verfahrenstechnikerin Schafmeister glaubt indessen nicht an den großen Wurf. Sie kann sich die Umstellung auf kontinuierliche Verfahren vorstellen. Damit ließen sich Produktionsmengen besser steuern, Anlagen müssten nicht tagelang ausfallen, weil sie gewartet werden müssen. Zuerst müssten einzelne Verfahrensschritte optimiert werden, wie beispielsweise bei der Extraktion, wo man Siebböden speziell auslege. Schafmeister verweist auch auf das Beispiel der diffusionsgesteuerten Nanofiltration: diese brauche Zeit und andere Strategien. Für Hannemann vorstellbar wäre es, dass man Proteine durch Salzzugaben herausfällt, also eine grobe Abtrennung ohne chromatographischen Schritt durchführt.
Quellen:
Dirk Weuster-Botz: Bioverfahrenstechnik im Jahrhundert der Biologie. In: Mücke, Wolfgang/Gröger, Gabriele (Hrsg.): 2. Reisensburger Umweltbiotechnologie-Tag: Anwendungen der Biotechnologie in der chemischen Industrie, S. 25-35
John Curling: Process Chromatography: Five Decades of Innovation, in: Biopharm International, February 2007, S. 10ff.
Eric S. Langer: Managing Biopharmaceutical Manufacturing Capacity, in: BioProcess International, (3/2007, S. 20-26) 4th annual Report and Survey of Biopharmaceutical Manufacturing and Capacity and Production).
Nina Forsberg: 30 Jahre Höhepunkte des Downstream-Processing, in: Bioforum 1/2008, S. 52f.
wp - 31.03.08
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