Downstream Processing: Aufreinigung mit Optimierungspotential
Biopharmazeutische Hersteller holen immer mehr therapeutische Proteine aus ihren Fermentern. Der Produktivitätszuwachs hat der Industrie aber ein Problem beschert. Denn die Reinigung der biotechnologischen Produkte (im Jargon Downstream Processing) ist kostspielig und verschlingt bis zu 80 Prozent der Herstellungskosten. Vielerorts gibt es Bestrebungen, nach dem Herstellungsprozess (Upstream) den Downstream-Prozess zu optimieren.
Bei monoklonalen Antikörpern, dem am größten wachsenden Marktsegment, haben die Hersteller dank molekularbiologischen Fortschritts und deshalb optimierter Zellkulturtechnik die Ausbeute vom Milligramm-Maßstab in den Gramm-Maßstab gesteigert.
Biochemische Reinigung im biopharmazeutischen Herstellungsprozess. Im Bild: Chromatographiesäulen, im Hintergrund sind Puffervorlagebehälter zu sehen.
© Boehringer Ingelheim
Kosten laufen in der Aufreinigung auf
Fachleute haben Folgendes ausgerechnet. Nimmt die Produktausbeute um das Zehnfache zu (von 0,1 auf 1,0 g/l), verschieben sich die Anteile des Verhältnisses Herstellungs- und Aufreinigungskosten von 55:45 auf 30:70. Das Problem: Herstellungskosten verhalten sich umgekehrt proportional zu den Ausbeuten, für die Kosten des Downstream gilt dies aber nicht.
Um die steigende Nachfrage des Markts zu befriedigen, wächst die Protein-Fracht für die kostspielige Chromatographie. Das erhöht die Zahl ihrer Zyklen oder macht größere Chromatographiesäulen (bis zu zwei Meter Durchmesser) erforderlich. Das wiederum führt dazu, dass immer größere Mengen filtriert werden müssen, was die Filtrationszeit verlängert oder mehr Fläche notwendig macht.
Physikalische und ökonomische Grenzen
"Zellernte" mit Hilfe der Mikrofiltration im biopharmazeutischen Downstream Processing.
© Boehringer Ingelheim
Die frühe Isolierung einschließlich der „Ernte“, die Abtrennung des Zellmaterials und die Klärung sind nach Aussage von Experten kein Problem. Schwieriger verhält es sich mit der Isolierung, wo die Chromatographie mit ihren immanenten Begrenzungen eingesetzt wird. Sehr große chromatographische Säulen sind zwar technisch machbar, stoßen aber an physikalische und ökonomische Grenzen. Verständlich, dass die biopharmazeutische Industrie nach kostengünstigen Alternativen zur Chromatographie sucht, nicht zuletzt unter dem wachsenden Kostendruck im Gesundheitswesen. So gibt es Bestrebungen, das teure und für die Affinitätschromatographie notwendige Protein A (es kann Säuger-Proteine binden) zu ersetzen oder darauf zu verzichten und die Zahl der Säulen-Chromatographie-Schritte von drei auf zwei oder schließlich auf einen zu beschränken. Auch Membran-Adsorber sind als Alternative im Gespräch.
Neue Verfahren für deutschen Produktionsstandort
Für Deutschland, weltweit zweitgrößter Produktionsstandort für Biopharmazeutika, sind neue Aufreinigungsverfahren aus Wettbewerbsgründen wichtig. Das Bundesforschungsministerium hat mit einer Förderinitiative reagiert (https://www.gesundheitsindustrie-bw.dewww.bmbf.de/foerderungen/11545.php) und will das Problem durch die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft grundsätzlich angehen und die brachliegende deutsche Forschung und Lehre wiederbeleben.
Besser versteht das Aufreinigungsproblem, wer die historische Entwicklung der roten Biotechnologie sieht. In ihrer Inkubationsphase (1982-1994) beschränkten sich Biotech-Start-ups auf die schnellstmögliche Entwicklung und Zulassung rekombinanter Proteine zur Substitutionstherapie. Vielfach wurden Laborprozesse direkt in den Produktionsmaßstab übernommen. Die therapeutischen Dosen rekombinanter Proteine lagen meist im μg-Bereich. In den Bioreaktoren produzierten E.-coli-Bakterien und tierische Zellkulturen (vor allem Hamster-Eizellen) die meist noch nicht glykosilierten therapeutischen Proteine. Der Prozess erbrachte Ausbeuten von 10 bis 100 mg pro Liter. Das Augenmerk lag auf der Produktion, die Aufreinigung wurde vernachlässigt.
Auf Produktinnovation folgt Prozessinnovation
Downstream GMP-Produktionssuite
© Rentschler Biotechnlogie
In der zweiten Phase, der Erfolgsphase, änderte sich das FuE-Portfolio nachhaltig. Maßgeschneiderte Fusionsproteine, humanisierte Antikörper und FABs (antigenbindender Teil eines Antikörpers) wurden für Onkologie und Immunkrankheiten eingesetzt, erforderten Dosen im mg-Bereich. Ebenso gründlich änderten sich die Herstellungsprozesse: Auf die Produkt- folgte die Prozessinnovation. Weil Glykoproteine immer wichtiger wurden, verlagerte sich das Produktionsportfolio von prokaryontischen Systemen zu eukaryontischen.
Das wachsende Verständnis molekularbiologischer und zellulärer Prozesse verbesserte die Expressionsraten vorhandener Zelllinien und ließ neue Expressionssysteme wie NSO (Mausmyelom-Zellen) entstehen. In standardisierten Fermentationsverfahren stieg die Ausbeute aus tierischen Zellkultursystemen auf bis zu 2 g pro Liter, im Entwicklungsprozess auf das Doppelte. Die Produktivität wuchs um das 50- bis 100-fache.
Weniger stürmisch verlief die Innovation beim Downstream. Im gleichen Zeitraum stieg die Bindekapazität von Chromatographiematerialien, die bei der anschließenden Aufreinigung der Proteine eingesetzt werden, gerade einmal um den Faktor 3. „Die gängige Antwort auf die Upstream-Innovation war der lineare Upscale des Downstream-Bereichs“ (Allgaier).
Millionenschwere Nachrüstung
Weil die Produktionsanlagen der ersten Generation auf den Upstream-Prozess ausgerichtet waren, fehlten bei höheren Fermentationsausbeuten Reserven für die Aufreinigung. Vielfach mussten die Anlagen nachgerüstet werden, die Kosten lagen im zweistelligen Millionenbereich.
Ende der 90er Jahre hatten sich zwei großtechnische Anlagentypen herausgebildet. Ihnen gemeinsam ist die Nutzung als Multi-Produktanlagen in Fed-Batch-Technologie mit einer Reaktorkapazität von 6 x 15.000 Liter mit dreiwöchigen Turn-Over-Perioden und einer jährlichen Gesamtanlagenkapazität von 500 bis 600 kg rekombinantem Protein.
Nahm die Produktivität dank optimierter Zellkulturtechnik und Fermentationsbedingungen massiv zu, blieb der technische Prozess der Fermentation im Prinzip unverändert. Up- und Downstream liefen kontinuierlich immer weiter auseinander. Mitte der 80er Jahre lagen die Produktausbeuten bei 50 bis 100 mg/l, 25 Jahre später hatten sie sich verhundertfacht.
Produkt- und prozessimmanente Gefahren
Therapeutisch genutzte Proteine aus dem Bioreaktor müssen in mehreren Schritten gereinigt werden. Die Verunreinigungen werden vom Prozess oder vom Produkt verursacht und sind eine potenzielle Gefahr für den Patienten, weshalb diese unerwünschten Substanzen auf ein unbedenkliches Maß abgereichert werden müssen. Die Verunreinigungen gefährden auch das Produkt (Denaturierung).
Prozessbedingte Verunreinigungen können Reste der Wirtszellen (Proteine, Nukleinsäuren) sein oder der Zellkultur (Medienbestandteile) entstammen oder aus der Aufarbeitung (Salze oder abgelöste Chromatographie-Liganden) herrühren. Verunreinigungen können auch produktabhängig sein. Das können unerwünschte molekulare Varianten wie verkürzte Formen, Vorläufer, hydrolytische Abbauprodukte oder modifizierte Formen sein, die beispielsweise falsch glykosiliert wurden. Zu den produktspezifischen unerwünschten Varianten zählen auch Polymere und Aggregate.
Entfernt werden müssen auch alle weiteren Stoffe mikrobiologischen, biochemischen oder chemischen Ursprungs, die nicht direkt zum Herstellungsprozess gehören. Solche Kontaminanten sind beispielsweise Viren, die in Zellkulturen auftreten können.
Großtechnische Aufreinigung unter ökonomischem Diktat
Die biopharmazeutische Aufreinigung lässt sich sicherlich verbessern – läuft sie im großtechnischen Maßstab ab, ist sie aber wirtschaftlichen Zwängen unterworfen. Produktion und Reinigung dürfen die Rentabilität des Biopharmazeutikums nicht gefährden. Auch die Zeit, innerhalb der ein neuer Aufreinigungsprozess etabliert wird, spielt eine maßgebliche Rolle. Überdies muss die Entwicklung des Verfahrens mit der vorklinischen und klinischen Entwicklung des Medikamentes abgestimmt sein.
Hinzu kommt, dass es „den“ Aufreinigungsprozess nicht gibt. Jeder Wirkstoff hat seinen „eigenen“ Downstream, der auf sein spezielles biochemisches und biophysikalisches Profil und auf seine spezifischen Fermentationsbedingungen abgestimmt sein muss.
Allgemein lässt sich die Aufreinigung in vier Schritte zerlegen: Zuerst wird das Zielprotein isoliert, aufkonzentriert und stabilisiert („Capturing"), dann werden die Viren entfernt. In einem dritten Schritt reichert man die meisten Verunreinigungen wie Nukleinsäuren, andere Proteine und Endotoxine ab, ehe noch verbliebene Spuren von Verunreinigungen und Kontaminanten beseitigt („Polishing") werden. Neben Filtration und Fällung spielen (säulen-)chromatographische Verfahren eine zentrale Rolle, von denen es sehr viele mit unterschiedlichen Materialien gibt.
Prozessentwicklung nach Versuch-und-Irrtum-Prinzip
Die Aufreinigung des Zielproteins oder -moleküls macht sich dessen Form, Größe, Löslichkeit, Oberflächenladung oder biospezifische Affinität zu Bindungspartnern zunutze. Das vervielfacht die Anzahl möglicher Prozessalternativen. Unter dem Diktat des Kosten- und Zeitdrucks wie der anlagenspezifischen Beschränkungen ist es den Herstellern unmöglich, die jeweils optimalen Aufreinigungsschritte zu entwickeln. In der Regel werden diese Prozesse nach dem Trial-and-Error-Prinzip entwickelt und etabliert, sobald der Prozess „funktioniert“.
Viele Schritte im Aufreinigungsprozess sind aus Sicherheitsgründen (wie die Entfernung von Viren oder DNA) unverzichtbar, Einzel- oder Teilschritte indes sind nach Aussage von Industrievertretern optimierbar oder lassen sich möglicherweise zusammenlegen. Kostentreiber sind vor allem die säulenchromatographischen Schritte. Deren Membranen für die Reinigung sind sehr teuer und machen neben Fixkosten einen großen Teil aus.
Wer nach den Gründen für die jahrelange Vernachlässigung des Downstream Processing sucht, sollte auch dies ins Kalkül ziehen: Während die Etablierung von Masterzellbanken und die Optimierung der Zellkulturtechnik ohne fremde Hilfe geschah, saßen bei Fragen der Aufreinigung stets Dritte am Tisch – Innovation konnte unter solchen Umständen nur eingeschränkt stattfinden.
Aus Herstellersicht ließe sich die Aufreinigung sinnvoll verbessern, wenn für die Fermentation weniger komplexe Medienzusätze (sogenannte Minimalmedien) zur Verfügung stünden. Hohe Priorität genießen auch Bestrebungen, die Zahl der Aufreinigungsschritte zu verringern. Das würde viel Zeit und Kosten sparen, obendrein den Verlust an Wirkstoff begrenzen, den jeder weitere Aufreinigungsschritt bedeutet. Neuartige Gele und doppelte Bindungskapazität könnten die Effektivität chromatographischer Verfahren steigern.
Paradigmenwechsel in der Branche
Dass die biopharmazeutische Industrie ein Aufreinigungsproblem hat, wird in der Fachliteratur gelegentlich bestritten. Betroffen seien lediglich 10 bis 20 Jahre alte Produktionslagen, die mit der stark gestiegenen Produktausbeute nicht mithalten konnten. Andere vertreten die Ansicht, das Problem werde überbewertet, betreffe nur wenige Produkte, die in sehr großem Maßstab hergestellt werden.
Gegen die „Downstream-Bottleneck“-These wenden manche ein, dass heutige Biopharmazeutika immer potenter würden, was niedrigere Dosierungen und auch kleinere Produktionschargen zur Folge hätte.
Wer die Diskussion in der Fachliteratur verfolgt und Experten hört, beobachtet in der Branche einen Paradigmenwechsel. Wie in anderen ausgereiften Technologien auch wird an „Denkverboten“ gerüttelt: Lässt sich die Wirkstoff-Ernte nicht teilen oder in zwei Teilschritten reinigen? Muss alles Produzierte auch aufgereinigt werden? Soll für eine 10 bis 20 Prozent höhere Ausbeute das Downstream Processing für eine zweistellige Millionensumme umgebaut werden?
Der Trend zu neuen Wirkstoffklassen macht auch vor Anlagenkonzepten und Technik nicht Halt. „In Zukunft“, prognostiziert Dr. Hermann Allgaier von Merckle Biotec, werden Fermentation und Aufreinigung „vermehrt in Disposables ablaufen“. Diese Einmal-Produktionssysteme verringern den Reinigungsaufwand und vor allem deren Validierung beträchtlich. Die Zukunft, so Allgaier, gehört kleinen, schnellen Fregatten, die den schweren, unbeweglichen Ozeandampfer ablösen. Der Produktivitätsfortschritt macht es möglich: Für die Produktion von 2,5 Tonnen Wirkstoff braucht es heute 2k-Fermenter, wo früher 12-k-Fermenter nötig waren.
Literatur und Quellen (Auszug):
1. Farid, Suzanne: Economic Drivers and Trade-Offs in Antibody Purification Processes, in: Int. BioPharm, 2, March, 2009
2. Gottschalk, Uwe: The Renaissance of Protein Purification, BioPharm International, June 2, 2006.
3. Jagschies, G./O’Hara, A.: Debunking Downstream Bottleneck Myth, in: GEN, Aug. 7/2007, S. 62ff.
4. Morrow, K.J: Gen.: Removing Impediments in Downstream Processing, in: GEN, Aug. 2007, S. 44ff.
5. Dechema (Hrsg.): Neue Anlagenkonzepte und Trend zu Disposables in Biopharma-Prozessen. Trendreport Nr. 15, Februar 2009
6. DeFife, K./Pierce, L.: Versatiliy of a Single-Use Bioreactor Platform for Culture of Diverse Cell Types, in: BioPharm International, Feb. 1, 2009
7. Arzneimittelreport 2009 der Gmünder Ersatzkasse
8. Langer, E./Ranck, J: Capacity Bottleneck Squeezed By Downstream Processes, in: BioProcessInternational, March 2006, p. 14ff.
9. Allgaier, H: Rote Biotechnologie im 21. Jahrhundert, in: Pharm. Ind. 68, Nr. 2, S. 157-169 (2006).