Mit Nanostrukturen gegen Keime
Von Insektenflügeln abgeschaut: antibakterielle Oberflächen für Implantate
Was haben Libellenflügel und Zahnimplantate gemeinsam? Noch nichts, dies könnte sich aber schon sehr bald ändern, denn das Karlsruher Start-up nanoshape hat ein Verfahren entwickelt, um die Oberflächen medizinischer Implantate mit ähnlichen Nanostrukturen zu versehen wie auf den Insektenflügeln. Dadurch wirken sie bakterienabweisend und sollen das Entzündungsrisiko nach dem Eingriff senken. Bereits im kommenden Jahr könnte man ein erstes Produkt auf dem Markt finden.
Die Libelle ist das Maskottchen des 2022 als Spin-off des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) gegründeten Unternehmens nanoshape GmbH. Und dies nicht nur, weil sie mit ihren schillernden Farben und dem eleganten Körperbau ein schönes Insekt ist. Es sind die Flügel, bzw. die Nanostrukturen auf den Flügeln, die es den beiden Gründenden Litsy Hüschelrath und Dr. Patrick Doll angetan haben. Diese winzigsten Erhebungen haben faszinierende biologische Funktionen, allen voran eine äußerst effektive antibakterielle Wirkung zum Schutz vor bakterieller Biofilmbildung – eine Art Anti-Haft-System gegen Schädlinge.
Das Gründungsteam von nanoshape Litsy Hüschelrath und Dr. Patrick Doll. © nanoshapeEine Strategie, die man sich auch in der Medizin zunutze machen könnte, wie sich Doll schon vor Jahren dachte und dies daraufhin im Rahmen seiner Doktorarbeit am KIT zum Thema Mikro- und Nanostrukturierung von Zahnimplantaten erforschte: „Zahnimplantate sind aus der modernen Medizin nicht mehr wegzudenken und werden weltweit jährlich millionenfach eingesetzt. Allerdings kommt es bei etwa jedem fünften Implantat zu Komplikationen, meist in Form von bakteriell bedingten Entzündungen. Dadurch fallen enorme Kosten durch erneute Behandlungen und zusätzliche Operationen an“, berichtet er. „Ein relevantes Problem also, und bereits in den 2010er-Jahren gab es einen regelrechten Hype mit zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu nanostrukturell veränderten Oberflächen gegen Bakterien. Sie brachten mich auf die Idee, dies auch einmal auszuprobieren, und ich habe damals unterschiedlichste physikalische Prinzipien untersucht. Am besten haben jedoch immer Strukturen funktioniert, die am ehesten der Natur ähneln – wie sie auf den Flügeln der Libelle oder auch der Zikade zu finden sind.“
Nanostrukturen wirken teils kontakttötend und teils anti-adhäsiv
Einmal zu dieser Erkenntnis gekommen, kam dann schnell eines zum anderen: Mit einer speziellen Methode, einem speziell entwickelten Hochdruckoxidationsverfahren, bei der durch hohen Druck bei hoher Temperatur Oberflächen umgewandelt werden können, gelang es Doll, speziell geformte Nanostrukturen auf Metall zu erzeugen, die eine ähnliche antibakterielle Wirkung haben wie ihr Pendant auf dem Libellenflügel. Seine Erfindung, die mittlerweile in einem kosteneffizienten industriellen Maßstab umgesetzt werden kann, wurde 2019 zum Patent angemeldet; gefolgt von zwei weiteren unter dem Dach von nanoshape. 2026 soll die Technologie für Zahnimplantate auf den Markt kommen.
Die obere Bildreihe zeigt blau angefärbte mikroskopische Aufnahmen. Links sind zahlreiche Bakterienkolonien auf einer unbehandelten Oberfläche zu erkennen, während rechts auf der nanoshape-Oberfläche deutlich weniger Kolonien sichtbar sind. Die untere Bildreihe veranschaulicht das Funktionsprinzip: Bakterien haften auf glatten Oberflächen, während die zackenförmige Nanostruktur der Implantate das Anhaften und die Biofilmbildung verhindert. © nanoshapeDie Nanostrukturen auf der Titanoberfläche der Implantate sehen aus wie kleine Pyramiden, die etwa zehnmal kleiner sind als Bakterien. „Dadurch können wir biologische Effekte in vergleichbarer Stärke wie auf dem Insektenflügel erzielen“, so Doll. „Die Besonderheit dieses einfachen physikalischen Effekts ist es, dass die Kontaktfläche für die Keime reduziert wird. Sie haften dadurch schlechter, sterben teilweise bei Kontakt sogar ab. Das funktioniert sehr gut bei gramnegativen Bakterien wie Escherichia coli oder Pseudomonas aeruginosa, bei grampositiven noch nicht ganz so gut. Also nicht unbedingt ein klassischer antibakterieller Effekt, eher eine Hilfe zur Selbsthilfe für den Körper: Indem die Gesamtzahl der Erreger deutlich reduziert wird, kann das Immunsystem selbst sehr viel besser mit der Entzündung fertigwerden.“
Dass dem so ist, hat das Unternehmen bereits in vitro bewiesen: In zahlreichen Studien mit verschiedensten Keimen bewirkten die Nanostrukturen eine signifikante Reduktion der Gesamtkeimzahl, sogar auch im Fall von multiresistenten Keimen wie Methicillin-resistentem Staphylococcus aureus (MRSA). Ergebnisse aus der klinischen Praxis erwartet das nanoshape-Team im kommenden Jahr: Eine Studie in Kooperation mit einer deutschen Universitätsklinik ist derzeit in Gange.
Keine zusätzliche Belastung für den Körper
Trotz des anfänglichen Hypes vor Jahren ist die nanoshape-Entwicklung, Metallteile wie die Oberfläche von Insektenflügeln zu gestalten, absolutes Neuland. Bislang eingesetzte Implantate werden zwar durch Sandstrahlen oder Ätzen bereits mit Strukturen versehen, die das Einwachsen in den Knochen erleichtern. Sie können aber nicht verhindern, dass sich Bakterien ansiedeln. Auch alternative Ansätze wie die Beschichtung mit Antibiotika oder Silber konnten sich bisher nicht durchsetzen: „Das Problem bei antibiotischen Beschichtungen ist das bekannte Problem der zunehmenden Resistenzbildung“, sagt Hüschelrath. „Silber funktioniert zwar ganz gut, es wurde aber noch nicht richtig untersucht, was dieses in Nanopartikelgröße für Risiken für den Körper birgt. Beides – Antibiotikum wie Silber – wird im Organismus verbraucht, ganz im Gegensatz zur Funktionsweise unseres Ansatzes. Hier behält man das Ausgangsmaterial – zum Beispiel Titan – bei, versieht es mit einer minimalen Strukturänderung und gibt keine Stoffe in den Körper frei.“
Weitere Implantate plus alternative Branchen
Begonnen haben die beiden Gründenden mit Zahnimplantaten, weil dies regulatorisch der einfachste Weg sei, um auf den Markt zu kommen: „Wir haben bereits ein gutes Netzwerk aus verschiedenen Implantatherstellern mit ihren jeweils eigenen etablierten Produktionsketten. Mit unserer Technologie soll nun in einem nachgelagerten Schritt zukünftig eine neue, nächste Produktgeneration entstehen. Die Technologie hierfür liefern wir“, so Hüschelrath.
Damit soll die Erfolgsgeschichte der nanoshape-Technologie aber noch nicht zu Ende sein. Funktioniert alles so, wie das Team es erwartet, sollen weitere Anwendungen folgen: „Die Hüfte ist unser erklärtes Ziel“, sagt der Experte. „Wir wollen langfristig medizinische Implantate aller Art mit nanostrukturierten Oberflächen versehen. Von Knochenplatten und Schrauben bis hin zu den verschiedenen Endoprothesen selbst. Auch kardiovaskuläre Implantate wie Schrittmacher und Stents sind geplant. Allerdings wird dies vor allem wegen der hohen Risikoklassen noch wirklich lange dauern, bis wir dort ankommen.“
Parallel zur Medizintechnik, ist das Karlsruher Start-up dabei, sich Branchen mit weniger strengen Zulassungsvoraussetzungen zu erschließen: „Auf zwei Beinen steht es sich besser als auf einem“, erklärt Doll. „In Machbarkeitsstudien arbeiten wir deshalb bereits eng mit verschiedenen Partnern zusammen, um unsere Technologie für Materialien wie Aluminium maßgeschneidert anzupassen. Ein Beispiel ist die Automobilbranche, in der neben den bakterienabweisenden Eigenschaften interessante neue technische oder auch dekorative Oberflächen entstehen sollen – etwa flüssigkeitsabweisend oder mit Anti-Fingerprint-Effekten.“ Weitere Anwendungsszenarien – beispielsweise Sanitär- und Lebensmittelbranche oder die Luft- und Raumfahrttechnik – gäbe es zuhauf. „Dennoch: Bei allen vielversprechenden Möglichkeiten – unsere Passion wird immer die Medizintechnik und die Arbeit mit Patienten bleiben“, so die Gründerin und der Gründer des Start-ups.