Das Pankreaskarzinom, ein bösartiger Tumor der Bauchspeicheldrüse mit hoher Mortalitätsrate, macht insgesamt zwei bis drei Prozent aller malignen Tumore aus. Bauchspeicheldrüsenkarzinome sind zum Zeitpunkt der Diagnose meist weit fortgeschritten, nicht zuletzt aufgrund der unspezifischen Symptome. Der Tumor neigt zur aggressiven Metastasenbildung, was diese Krebserkrankung so gefährlich macht. Bislang gibt es noch keine Früherkennungsuntersuchung wie sie etwa für Brust- oder Darmkrebs angeboten wird. Daher besteht großer Bedarf an einer Frühdiagnostik, die sowohl das Pankreaskarzinom als auch andere Tumorerkrankungen des Magen-Darm-Trakts möglichst nicht invasiv und mit hoher Genauigkeit zuverlässig erkennt. Hier setzt die Forschung des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB an: Die Abteilung In-vitro-Diagnostik unter der Leitung von Dr. Kai Sohn konnte in Kooperation mit dem Universitätsklinikum Erlangen und dem Unternehmen Genedata ein innovatives Verfahren zur Früherkennung von Pankreaskarzinomen etablieren. Es beruht auf der komplexen Technologie des Next-Generation Sequencing (NGS), der Hochdurchsatzsequenzierung von Nukleinsäuren, die es ermöglicht, Millionen von DNA-Fragmenten gleichzeitig zu sequenzieren und zu analysieren. Das Vorhaben wurde vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt gefördert.
Zellfreie Tumor-DNA aus dem Blut von Erkrankten analysieren
Das neue molekulardiagnostische Verfahren basiert auf der Analyse zellfreier Tumor-DNA aus dem Blut von Patienten – Experten sprechen von einem Verfahren zur differenziellen Methylierungsanalytik. Nach der Blutabnahme wird das Plasma per Zentrifugation von zellulären Blutbestandteilen getrennt. Anschließend wird die zellfreie DNA aus dem Blutplasma isoliert und nach bestimmten krankhaften Veränderungen untersucht. Tumor-DNA unterscheidet sich von gesunder DNA häufig in biochemischen Modifizierungen – den sogenannten Methylierungen – an bestimmten Stellen der DNA, die Sohn und sein Team mittels Hochdurchsatzsequenzierung identifizieren.
»Nach der Entnahme der Blutprobe analysieren wir eine geeignete Biomarkerklasse. Als vielversprechend erweist sich hier die in den löslichen Bestandteilen des Bluts zirkulierende zellfreie DNA, die von absterbenden Zellen freigesetzt wurde. Auch entartete Zellen setzen DNA frei, die im ganzen Körper zirkuliert. Man muss daher keine Biopsie der Bauchspeicheldrüse vornehmen, sondern kann Blut beispielsweise aus der Armbeuge entnehmen, um darin Tumor-DNA zu finden«, erläutert Sohn. Für Betroffene sei die neue Früherkennungsuntersuchung schonend, da sie nicht invasiv stattfindet.
Verfahren ermöglicht Differenzierung zwischen verschiedenen Tumoren des Magen-Darm-Trakts
Im Rahmen einer klinischen Studie in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. med Georg Weber vom Universitätsklinikum Erlangen wurden Blutproben von Patienten, die entweder an Pankreaskarzinomen in verschiedenen Stadien oder die an einer sogenannten nicht-malignen Pankreatitis erkrankt waren, im Rahmen einer Proof-of-Concept-Studie rekrutiert und für eine klinische Validierung analysiert. »Wir konnten nachweisen, dass man mithilfe unseres Verfahrens nicht nur zwischen gesunden und tumorerkrankten Patientinnen und Patienten unterscheiden kann, sondern zwischen verschiedenen gastrointestinalen Tumoren, also Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts«, betont Sohn den Vorteil des innovativen Verfahrens. Es versetzt Mediziner in die Lage, zu erkennen, ob eine bestimmte DNA-Signatur für eine Erkrankung spezifisch ist. Dabei wird die zellfreie, aus dem Plasma isolierte DNA hinsichtlich relevanter Methylierungsmuster gescreent. »Die Differenzierung gelingt, da sich das Methylierungsmuster im Genom der Bauchspeicheldrüse etwa von dem einer Immunzelle unterscheidet. Die Methylierung kennzeichnet auch, in welchem physiologischen Zustand sich eine Zelle befindet«, erläutert der Forscher.
Zudem bietet das Verfahren die Möglichkeit, eine maligne Tumorerkrankung des Pankreas von einer entzündlichen, nicht entarteten Bauchspeicheldrüsenentzündung (Pankreatitis) zu unterscheiden, die sich zunächst durch sehr ähnliche Symptome bemerkbar macht, aber komplett unterschiedlich therapiert werden muss. Im Rahmen der Studie konnten die Forschenden in einigen Fällen sogar nicht maligne Vorstadien anhand spezifischer Methylierungsmuster klassifizieren.
Im nächsten Schritt streben Sohn und sein Team jetzt in einer sogenannten multizentrischen Studie die Analyse von Patientenproben von verschiedenen Kliniken an, um anschließend das Verfahren in die klinische Routine zu überführen.