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Diabetes: Umdenken in Prävention, Versorgung und Forschung gefordert

Die Copenhagen Declaration des Forum Global Diabetes skizziert eine neue Vision zur Bekämpfung der weltweiten Typ-2-Diabetes-Epidemie: Mehr als 50 Expertinnen und Experten aus Industrie- und Schwellenländern fordern tiefgreifende Veränderungen in Prävention, Versorgung und Forschung. Besonders betont werden der langfristige Nutzen von Remissions-Strategien und die Notwendigkeit, Prädiabetes differenzierter zu betrachten, um maßgeschneiderte Präventionsansätze zu ermöglichen. An der Deklaration haben auch Forschende des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD) und des Instituts für Diabetesforschung und metabolische Erkrankungen von Helmholtz Munich an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen (IDM) mitgearbeitet.

Wir stehen an einem Wendepunkt“, erklärt Prof. Andreas Birkenfeld, Koautor der Erklärung. Er ist Direktor der Inneren Medizin IV am Universitätsklinikum Tübingen und Leiter des Instituts für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen (IDM) von Helmholtz Munich am Standort Tübingen des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD). „Wenn wir die Dynamik der globalen Diabetes-Epidemie stoppen wollen, müssen wir deutlich früher ansetzen – mit präziser Vorhersage, personalisierten Strategien und neuen Präventionskonzepten, wie der Prädiabetes Remission“ , betont Birkenfeld.

Früher erkennen, gezielter handeln

Zum Hintergrund: Weltweit leben mehr als 800 Millionen Menschen mit Diabetes – die meisten in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen. Dort fehlt es häufig an Ressourcen, an Zugang zu modernen Therapien und an Forschungsdaten. Die Copenhagen Declaration will die Situation verbessern. Sie ruft dazu auf, präzise Früherkennungs- und Präventionsmaßnahmen zu entwickeln und kulturell wie ökonomisch angepasste Programme in die Praxis umzusetzen.

Eine Forderung: Die langfristigen Effekte von Remissions-Strategien, etwa durch Lebensstiländerungen oder durch neue, innovative Medikamente, sollen systematisch untersucht werden. Entscheidend sei, so die Autorinnen und Autoren, nicht nur das kurzfristige Erreichen normoglykämischer Werte, sondern das dauerhafte Verhindern der Krankheitsprogression im Blick zu haben.

„Es geht darum, zu verstehen, wie stabil eine Diabetes-Remission ist, welche Gruppen davon besonders profitieren und wie wir diese Effekte auch unter realen Bedingungen erzielen“, erklärt Birkenfeld. „Das Potenzial ist riesig, aber wir brauchen evidenzbasierte Konzepte und eine internationale Zusammenarbeit.“

Präzisionsmedizin: Phänotypisierung von Prädiabetes als Schlüssel

Ein weiterer zentraler Schwerpunkt der Erklärung liegt auf der Präzisionsmedizin. Hier empfehlen die Expertinnen und Experten, Prädiabetes-Phänotypen differenziert zu erfassen, um risikobasierte, personalisierte Präventionsstrategien zu entwickeln. Dabei sollen genetische, epigenetische, verhaltensbezogene und umweltbedingte Faktoren berücksichtigt werden. „Die Idee eines einheitlichen Prädiabetes-Stadiums ist überholt“, so Birkenfeld. „Nur wenn wir die biologische Vielfalt der Frühstadien verstehen, können wir wirklich zielgerichtet verhindern, dass aus Prädiabetes Typ-2-Diabetes wird.“

Sieben Handlungsfelder, ein globaler Auftrag

Die Copenhagen Declaration definiert dabei sieben Aktionsfelder:

1. Prävention, Früherkennung und Remission: Entwicklung niederschwelliger Programme und Beurteilung der langfristigen Effektivität von Interventionsstrategien.

2. Präzisionsmedizin: Subtypisierung von Diabetesformen und durch den Einsatz KI-gestützter Entscheidungshilfen.

3. Gerechter Zugang zur Versorgung: Aufbau von Infrastruktur, insbesondere in ressourcenschwachen Regionen.

4. Innovative Behandlungsmodelle: Integration von Echtzeitdaten, digitalen Tools und Biomarker-basierten Entscheidungshilfen.

5. Integrierte Versorgung bei Komorbiditäten: Augenmerk unter anderem auf kardiovaskuläre, renale und onkologische Begleiterkrankungen.

6. Psychosoziale Unterstützung: digitale Peer-to-Peer-Programme und KI-gestützte psychologische Tools.

7. Globale Kooperation und Forschung mit Fokus auf LMICs (Low- and Middle-Income Countries).

Ein besonderes Augenmerk liegt auf kosteneffektiven Lösungen: Künstliche Intelligenz, mobile Gesundheitsanwendungen und Telemedizin sollen Menschen weltweit zugänglich gemacht werden.

Appell an Politik und Gesellschaft

Die Erklärung versteht sich nicht als bloße Vision, sondern als konkreter Aufruf zum Handeln – an Regierungen, Gesundheitsorganisationen, Forschungseinrichtungen und an die Industrie. Sie fordert gezielte Investitionen, einheitliche Monitoring-Systeme und den Aufbau globaler Datenplattformen.

„Die Copenhagen Declaration ist ein Fahrplan für eine gerechtere, effektivere und intelligentere Versorgung von Menschen mit Typ-2-Diabetes“, so Birkenfeld. „Wenn wir jetzt die richtigen Weichen stellen, können wir Millionen Erkrankungen verhindern – und das Leben von Hunderten Millionen Menschen verbessern.“

Original-Publikation:

Venkat Narayan KM, Global Diabetes Forum (2024): Copenhagen Declaration: a transformative vision for global diabetes. Lancet Diabetes Endocrinol 2025, 23. Mai, 2025

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/pm/diabetes-umdenken-praevention-versorgung-und-forschung-gefordert