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Diabetes & Hormonerkrankungen als Nebenwirkungen einer Krebsimmuntherapie: DDG und DGE fordern Fachexpertise für Endokrinologie und Diabetologie an allen Krebszentren

Moderne Immuntherapien können das Leben von Menschen mit Krebs deutlich verlängern. Die Behandlung mit sogenannten Checkpoint-Inhibitoren kann jedoch verschiedene endokrine Nebenwirkungen mit sich bringen, unter anderem eine Entzündung der Hirnanhangdrüse mit Ausfall lebenswichtiger Hormone oder einen neuartigen, insulinpflichtigen Autoimmun-Diabetes (CIADM). Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) und die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) fordern deshalb im Rahmen einer Krebstherapie regelmäßige Stoffwechselkontrollen sowie den Ausbau spezialisierter endokrinologisch-diabetologischer Strukturen in Kliniken. Auf einer gemeinsamen Online-Pressekonferenz am Mittwoch, den 9. Juli 2025, spricht Experte Professor Dr. med. Andreas Fritsche zu diesem Thema.

Checkpoint-Inhibitoren haben die Behandlung von Krebs revolutioniert. Sie aktivieren die Immunabwehr gegen Tumoren, sodass körpereigene Abwehrzellen wieder in die Lage versetzt werden, Krebszellen angreifen zu können. Eingesetzt werden sie unter anderem bei schwarzem Hautkrebs und Nierenzellkrebs, mit oft beachtlichen Erfolgen aber auch Nebenwirkungen. Denn das aktivierte Immunsystem kann auch gesunde Zellen angreifen. „In bis zu 40 Prozent der Fälle sind hormonbildende Organe wie Schilddrüse, Hirnanhangsdrüse oder die Nebennieren betroffen“, erklärt Professor Dr. med. Andreas Fritsche, Past-Präsident der DDG. Besonders gefährlich sei auch eine selten auftretende Entzündung der Bauchspeicheldrüse, bei der insulinproduzierende Zellen zerstört werden. „Die Folge ist ein insulinpflichtiger Autoimmun-Diabetes, der sogenannte Checkpoint-Inhibitor-assoziierte Diabetes mellitus, kurz CIADM“, so der Diabetologe und Ernährungsmediziner an der Universität Tübingen.

Diabetes als lebensbedrohliche Nebenwirkung

CIADM tritt meist innerhalb von 3 Monaten nach Beginn der Immuntherapie auf. Er ähnelt dem klassischen Typ-1-Diabetes, geht aber immer mit einem völligen Insulinmangel einher. Häufig kommt es zu einer sogenannten Ketoazidose, einer gefährlichen Übersäuerung des Blutes. In 40 Prozent der Fälle sind Autoantikörper nachweisbar, wie sie auch bei Typ-1-Diabetes vorkommen. „CIADM darf keinesfalls mit einem vorbestehenden Typ-2-Diabetes verwechselt werden“, warnt Fritsche. „Nur eine intensive Insulintherapie mit Schulung und Begleitung kann hier Leben retten.“ Genau wie beim Typ-1-Diabetes erfordert die Behandlung eine sogenannte Basal-Bolus-Insulintherapie: Es müssen sowohl das Grundbedürfnis an Insulin als auch die Insulinspitzen zu den Mahlzeiten abgedeckt werden. Diese komplexe Therapieform setzt voraus, dass Betroffene umfassend geschult und engmaschig begleitet werden.

Kliniken brauchen mehr endokrinologisch-diabetologische Kompetenz

Trotz der Schwere der Erkrankung fehlen in Deutschland bislang verlässliche Daten zur Häufigkeit der Checkpoint-Inhibitor-assoziierten endokrinen Nebenwirkungen. Denn es existiert kein zentrales, vollständiges Register zu Zahlen und Behandlungsdetails der mit Checkpoint-Inhibitoren behandelten Patientinnen und Patienten. Schätzungen zufolge entwickeln bis zu 17 Prozent eine potenziell lebensbedrohliche Hypophysitis – Entzündung der Hirnanhangdrüse – und etwa 1 bis 2 Prozent der Behandelten einen CIADM. Bei einem angenommenen Behandlungskollektiv von 100 000 Personen würde das 17 000 Personen mit Hypophysitis und 1000 bis 2000 Betroffene mit Autoimmun Diabetes CIDAM bedeuten. Hinzu kommt eine noch größere Zahl an Patienten, die Schilddrüsenüber- oder -unterfunktionen entwickeln. „Gerade in Krebszentren, wo Immuntherapien häufig eingesetzt werden, sehen wir daher zunehmend Patientinnen und Patienten mit dieser Form an Nebenwirkungen“, so Fritsche.

DDG und DGE fordern daher, an allen onkologischen Zentren Endokrinologie-/Diabetes-Units einzurichten. Hormonelle Fehlfunktionen, etwa der Schilddrüse, der Nebennieren, der Hirnanhangsdrüse oder des Pankreas treten auch in Kombination auf. Diese Kombination verschiedener hormoneller Störungen erschwert die Stoffwechselkontrolle und macht eine individuelle, engmaschige Betreuung erforderlich. „Gerade bei älteren Krebspatientinnen und -patienten mit mehreren Erkrankungen kann die Behandlung dadurch besonders anspruchsvoll werden“, erklärt der Experte aus Tübingen. „Deshalb brauchen wir in Krebszentren spezialisierte Teams, die diese komplexen Krankheitsbilder sicher versorgen können.“

Zugang zur richtigen Behandlung kann Leben retten

Wie wichtig spezialisierte Versorgung ist, zeigen aktuelle Auswertungen: Kliniken mit einer Zertifizierung der DDG weisen bei Patientinnen und Patienten mit Diabetes als Hauptdiagnose eine geringere Krankenhaussterblichkeit auf – und dass, obwohl sie häufig Menschen mit einer höheren Krankheitslast behandeln. Diese Ergebnisse unterstreichen den Nutzen fachlich spezialisierter Versorgungseinheiten. „Gerade für Menschen mit Ausfällen lebenswichtiger Hormone wie Insulin, Cortisol oder Schilddrüsenhormonen ist eine frühzeitige Diagnose und strukturierte Behandlung entscheidend“, betont Fritsche. „Deshalb fordern wir, in der anstehenden Krankenhausreform die Leistungsgruppe ‚komplexe Endokrinologie und Diabetologie‘ flächendeckend zu verankern, um solche Versorgungsstrukturen dauerhaft und breit verfügbar zu machen.“

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/pm/diabetes-und-hormonerkrankungen-als-nebenwirkungen-einer-krebsimmuntherapie-ddg-und-dge-fordern-fachexpertise-fuer-endokrinologi