Strukturierte Verwaltung von Gesundheitsdaten
Data Governance im Gesundheitswesen
Im Gesundheitswesen entstehen immer mehr Daten, doch oft bleiben sie ungenutzt oder unsicher. Data Governance, ein Rahmen für die strukturierte Datenverwaltung und -erhebung, kann helfen, dieses Potenzial zu heben und die Basis für eine bessere Versorgung zu schaffen.
Dr. Anh Mattick forscht am Transformation Innovation Center des Fraunhofer IRB. © Fraunhofer IRBOb Laborwerte, Röntgenbilder oder digitale Patientenakten: Das Gesundheitswesen wird immer digitaler und produziert dabei enorme Datenmengen, Tendenz steigend. Damit wachsen die Anforderungen an Verwaltung und Sicherheit. Gleichzeitig bleiben aber auch rund 97 Prozent der Daten im Gesundheitswesen ungenutzt. Ein riesiges Potenzial, das sowohl den Patientinnen und Patienten als auch den Institutionen zugutekommen könnte.
Damit Unternehmen und Organisationen in dieser Datenflut nicht untergehen, sondern sie strukturiert und sicher nutzen können, ist eine Data Governance entscheidend. Sie bietet einen organisatorischen Rahmen, um Daten sicher, effizient und rechtskonform zu verwalten. Wie das genau funktioniert, und welche Besonderheiten es im Gesundheitswesen gibt, erklären Dr. Anh Mattick und Katherine Lewis vom Transformation Innovation Center des Fraunhofer-Informationszentrums Raum und Bau IRB.
Immer mehr Daten im Gesundheitswesen
Katherine Lewis forscht am Transformation Innovation Center des Fraunhofer IRB. © Fraunhofer IRB221 Zettabyte Daten sollen bis zum Jahr 2026 weltweit produziert werden.1) Das entspricht etwa 221 Mrd. Festplatten mit einer Speicherkapazität von 1 Terabyte. Ein erheblicher Teil davon - gut 10 Zettabyte - sollen davon allein auf den Gesundheitssektor entfallen.2) „Die Bedeutung von Data Governance nimmt aufgrund von KI zu. Und auch wegen des Fortschritts von Big Data sowie den Trend zu Rapid Remote Diagnostics", erklärt Dr. Anh Mattick, die Unternehmen aus der Gesundheitsbranche zum Thema berät.
Durch den wachsenden Einsatz von Software in der Medizin und die private Nutzung von Wearables und Gesundheits-Apps wachse der Datenberg immer schneller. Dabei stelle sich nicht nur die Frage, was mit diesen Daten geschehen soll, wo und wie sie sicher verarbeitet werden können. Genauso wichtig sei es, die Qualität dieser Daten zu gewährleisten: „Gerade für KI-Nutzung brauchen Sie hochwertige Daten“, betont Mattick. Deshalb sei es entscheidend, die Daten nicht einfach ungeregelt wuchern zu lassen, sondern ihnen mit Data Governance Struktur und klare Vorgaben zu geben. Lewis beschreibt das so: „Es ist in etwa wie ein unorganisiertes Haus, in dem man Ordnung schaffen möchte. Aber gleichzeitig treffen jeden Tag neue Lieferungen ein, die das Chaos verschlimmern. Mit einer funktionierenden Data Governance hingegen ähnelt das System einem strukturierten Lagerhaus. Neue Daten treffen regelmäßig ein, doch sie werden systematisch erfasst, einsortiert und sind jederzeit auffindbar.“
Besonderheiten von Data Governance im Gesundheitswesen
Data Governance sorgt dafür, dass Daten eine klare Struktur und eindeutige Regeln haben. Sie legt fest, wofür Daten genutzt werden, wo sie gespeichert sind, wer zuständig ist, und welche Kontrollmechanismen gelten. Dazu gehört auch, wie oft Audits durchgeführt werden, um die Einhaltung dieser Regeln zu überprüfen. So finden Unternehmen und Organisationen nicht nur alle Informationen leichter, sondern können sie auch gezielt nutzen. Gleichzeitig erhöht Data Governance die Sicherheit, schützt die Privatsphäre und verbessert die Qualität der Daten. „Eine hohe Datenqualität ist nur mit Data Governance möglich“, betont Mattick. „Eine wirksame Data Governance-Struktur kann wesentlich zur Sicherung hoher Datenqualität beitragen.“
Besonders im Gesundheitswesen ist das entscheidend. Hier entstehen nicht nur sensible Daten, sondern auch viele verschiedene, oft inkompatible Datentypen. „In der Gesundheitsbranche fallen unterschiedliche Datenarten aus verschiedenen Quellen an. Dazu gehören zum Beispiel handschriftliche Akten, Maschine-zu-Maschine-, Mensch-zu-Maschine- oder Versicherungsdaten und Laborergebnisse. Diese Daten liegen in unterschiedlichen Formaten, Strukturen und Qualitätsstufen vor und sind häufig nicht miteinander kompatibel“, erklärt Lewis. „Patientenakten erstrecken sich häufig über mehrere Jahrzehnte. Dabei handelt es sich mitunter um Daten, die vor 30 Jahren oder länger erfasst wurden und in Formaten vorliegen, die sich deutlich von heutigen Standards unterscheiden.“ Data Governance hilft, diese Daten zu ordnen und miteinander kompatibel zu machen.
Das Potenzial von Data Governance
Dabei hätte ein effektiveres Datenmanagement enormes Potenzial. Schätzungen zufolge bleiben bisher rund 97 Prozent der Gesundheitsdaten ungenutzt, dabei verbergen sich darin wahre Schätze.3) Eine bessere Datenauswertung könnte nicht nur Unternehmen Vorteile bringen, etwa bei der Produktentwicklung oder Effizienzsteigerung, sondern auch die Behandlung von Patientinnen und Patienten deutlich verbessern. Institutionen wie Krankenhäuser könnten erhebliche Kosten sparen. Durch die Analyse von Gesundheitsdaten könnten neue Medikamente entstehen, Medizinprodukte sicherer und Therapien wirksamer werden. Außerdem ließen sich Krankheitsmuster für die Früherkennung nutzen oder Pandemien gezielter bekämpfen. Gut vernetzte weltweite Datenbanken können im Ernstfall Leben retten, etwa wenn hierdurch ein Stammzellspender am anderen Ende der Welt gefunden werden kann.
Wie Organisationen Data Governance richtig umsetzen
Dass Gesundheitsinstitutionen und Unternehmen eine strukturierte Data Governance brauchen, steht für die Forscherinnen außer Frage. Neben den Patientinnen und Patienten profitierten davon auch die Organisationen selbst. „Wer seine Daten systematisch erfasst und auswertet, kann fundierte Entscheidungen darüber treffen, in welche Bereiche Ressourcen sinnvoll investiert werden sollten und in welche nicht“, sagt Mattick.
Wie funktioniert das in der Praxis? Mattick und ihr Team empfehlen ein dreistufiges Vorgehen: auf Organisationsebene, personeller und technologischer Ebene. „Die Einführung von Data Governance gelingt nur durch die Integration auf allen drei Ebenen, und sie startet auch mit der Organisationebene, sonst gelingen die nächsten Schritte nicht.“ Es gehe darum, ein umfassendes Prozess- und Rahmenwerk zu schaffen, das die Dateninfrastruktur definiert, einschließlich Zweck, Speicherung, Verantwortlichkeiten und Kontrollmechanismen. Danach müssten alle Abteilungen eingebunden werden. Rollen und Zuständigkeiten sollten klar festgelegt und die Mitarbeitenden entsprechend geschult werden. Erst zum Schluss folge die technologische Ebene, also die Auswahl geeigneter Software. „Die meisten Unternehmen, mit denen wir sprechen, fangen ganz unten an. Sie diskutieren die Auswahl geeigneter Technologien und Werkzeuge, die für die Implementierung des Prozesses notwendig sind, vernachlässigen jedoch die Personen, die in den Prozess einbezogen werden müssen."
Am wichtigsten sei es jedoch laut Mattick zu verstehen, dass Data Governance kein einmaliger Vorgang sei: „Man muss immer wieder prüfen: Gibt es neue Vorschriften? Ist die Cybersicherheit noch aktuell? Data Governance ist eine Unternehmensstrategie. Nichts, das man sich einmal anschaut und anschließend wieder vergisst."