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docdirekt – Smart zum Arzt in Baden-Württemberg

Wer kennt das nicht? Man ist krank, fühlt sich nicht wohl, aber der Hausarzt hat gerade keine Sprechstunde, so kurzfristig keinen Termin mehr frei, oder der Weg ist zu weit oder zu beschwerlich. Für solche Fälle bietet die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) im Rahmen ihres docdirekt-Projekts nun Hilfe an: Jeder gesetzlich Versicherte in Baden-Württemberg bekommt wochentags per Telefon, App oder Chat kostenfrei und bequem von zuhause telemedizinische Hilfe durch einen kompetenten Allgemeinmediziner oder Kinderarzt.

Schon seit gut einem Jahr können sich Patienten in Deutschland auch telemedizinisch behandeln lassen: Im Frühjahr 2018 beschloss der Deutsche Ärztetag eine Lockerung des Verbots der Fernbehandlung, nachdem die Landesärztekammer Baden-Württemberg in Pionierarbeit bereits zwei Jahre zuvor als erste Kammer in Deutschland das Fernbehandlungsverbot gelockert hatte und es Medizinern seither erlaubt, dies unter bestimmten Voraussetzungen in dafür ausgewiesenen Projekten zu praktizieren. So auch im docdirekt-Projekt, das die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) mit einem Modellversuch in Stuttgart und Tuttlingen als erste KV in Deutschland im vergangenen Jahr startete.

Telemedizin für alle gesetzlich Versicherten kostenlos

In der Stuttgarter Zentrale von docdirekt nehmen derzeit vier speziell geschulte MFA die Anrufe von Patienten entgegen. © KVBW

Was zunächst in den Modellregionen begann, wurde schon ein halbes Jahr später ausgeweitet. Seit Oktober 2018 können sich gesetzlich Versicherte aus ganz Baden-Württemberg bei akuten Erkrankungen kostenfrei und schnell bei docdirekt telemedizinisch behandeln lassen. Dies funktioniert ganz einfach, indem man sich als Patient montags bis freitags zwischen 9 und 19 Uhr online, per App oder Telefon unter der Rufnummer 0711 965 897 00 anmeldet und dabei die Versichertenkarte bereithält. Eine Medizinische Fachangestellte (MFA) erfasst die Personalien und klärt die Dringlichkeit. Dabei wird der Anruf sofort an eine Rettungsstelle weitergeleitet, falls es sich um einen lebensbedrohlichen Notfall handelt. Andernfalls wird ein Termin für den Rückruf des Tele-Arztes nach den Wünschen des Patienten vereinbart – etwa so schnell wie möglich, in der Mittagspause oder auch erst abends. Im Rückruf spricht der Arzt dann mit dem Patienten über seine Beschwerden und gibt Empfehlungen für die Behandlung. Ist aber dennoch eine persönliche Vorstellung unerlässlich, vermittelt das docdirekt-Team einen taggleichen Termin in einer Haus- oder Facharztpraxis.

Telemedizin statt Notfallambulanz

Zum docdirekt-Team gehören derzeit 39 Teleärzte – Allgemeinmediziner, Internisten sowie Kinder- und Jugendärzte. Darunter ist auch Dr. Martina Hartmann, die in Mannheim eine Praxis für Allgemeinmedizin betreibt. Sie ist sehr positiv gestimmt, was den bisherigen Verlauf des Projekts angeht: „Ich habe bisher viel Positives erlebt“, sagt sie. „Und dass es in vielen Bereichen einen Ärztemangel gibt, wissen alle. Und dass docdirekt eine Option ist, dem zu begegnen, haben auch andere Länder schon bewiesen. Wenn man uns mit anderen Ländern in Europa vergleicht, was die Nutzung von digitalen Medien in der Medizin angeht, liegen wir in Deutschland an vorletzter Stelle.“

Die Medizinerin ist bereits seit dem Start von docdirekt in den Modellregionen dabei, die Praxis entsprechend ausgerüstet. Braucht ein Patient telemedizinische Hilfe, erscheint eine Information auf ihrem Handy. Wenn sie im angegebenen Zeitraum eine Beratung anbieten kann, nimmt sie den Patienten per App an. Die Patientendaten kann sie auf einem Laptop in einem ihrer Sprechzimmer einsehen und dann den Videoanruf bzw. Anruf vornehmen. Die eigenen Mitarbeiter werden per Mail informiert, dass ein telemedizinischer Patient in diesem Sprechzimmer behandelt wird. „Ich kann den Patienten sehen, Dateien des Patienten, zum Beispiel Fotos, zu Rate ziehen und Anweisungen geben, beispielsweise Bewegungen vorzuführen, um mir ein Bild über den Gesundheitszustand zu machen. Genauso wie in der Praxis auch“, meint die Ärztin. „Leider können wir allerdings noch keine Rezepte, Überweisungen oder Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausstellen – das wird vielleicht zukünftig auch möglich sein. Die telemedizinische Beratung wird genau dokumentiert, und ich habe die Möglichkeit, eine Rückmeldung an die MFA zu gebenum – wenn nötig – einen Kontrollanruf bei dem Patienten zu veranlassen.“ Generell werden innerhalb von acht Tagen stichprobenartig sogenannte check-up calls bei den Patienten durchgeführt. Diese Nachgespräche dienen der Qualitätskontrolle und fließen in die Endevaluation ein, die ab April 2020 geplant ist.

Von Anfang an sei auch die Reaktion der Patienten auf die telemedizinischen Konsultationen sehr positiv gewesen, so die Ärztin. „Es rufen durchschnittlich bis zu zehn Patienten täglich an, gehäuft Menschen jüngeren bis mittleren Alters, aber durchaus auch ältere“, berichtet sie. „Zum Beispiel kürzlich ein 70-jähriger Patient mit Blutdruckproblemen, der durch die Beratung und vorhandene Medikamente auf diesem Weg und für dieses Problem abschließend behandelt werden konnte. In diesem Fall konnte er sich einen Weg von 35 Kilometern zum nächsten Arzt sparen. Andere Patienten sind sich unsicher bei Wunden oder Insektenstichen, aber auch bei Rücken-, Kopf- oder Bauchschmerzen – wir können uns durch den Kontakt ein erstes Bild machen und in ganz vielen Fällen gut beraten. Grundsätzlich kann man immer anrufen, wenn man sich Sorgen über den aktuellen Gesundheitszustand macht. In manchen Fällen muss ich die Patienten natürlich auch zur Untersuchung in eine Praxis bzw. Ambulanz weitervermitteln. Dies kann über die MFA geschehen, aber oft mache ich das auch selber. In diesem Fall erhält der Patient dann auch meine Praxis-Handynummer, damit er sich im Zweifelsfall immer nochmal bei mir melden kann.“

Auch kranke Kinder können zuhause behandelt werden

Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen das Honorar – wie bei jedem anderen Arztbesuch auch. Anmelden können sich alle Versicherten aus Baden-Württemberg. Sie werden dann vom Tele-Arzt zu einem vereinbarten Termin zurückgerufen. © KVBW

Ebenfalls schon von Anfang an bei docdirekt mit dabei ist der Tübinger Kinderarzt Dr. Thomas Finkbeiner, der auch schon Erfahrungen mit der Telemedizin in Afrika gesammelt hat. „Im Moment ist die Resonanz auf das Projekt bei Kindern noch überschaubar“, sagt er. „Ich bekomme noch nicht täglich Anrufe, was aber auch bestimmt daran liegt, dass die Möglichkeit noch nicht so bekannt und der „Reflex“ bei krankem Kind eben noch der Weg zum vertrauten Kinderarzt in die Praxis ist.“ Grundsätzlich würden sich die meisten melden, wenn der eigene Kinderarzt nicht erreichbar sei – etwa am Mittwochnachmittag oder am Freitagabend, meint er, betont aber, dass man selbstverständlich immer auch erst einmal anrufen könne, anstatt direkt zum Arzt zu gehen: „Gerade bei Kindern liegt ja der Vorteil auf der Hand, wenn man nicht stundenlang mit dem kranken Kind im vollen Wartezimmer mit den unterschiedlichsten anderen Keimen sitzen muss. Und bei mindestens der Hälfte aller Fälle komme ich online gut weiter.“

Die meisten Nutzer kämen bisher aus eher ländlichen Regionen, sagt der Kinderarzt, wo der Weg zur nächsten Praxis weiter ist als in der Stadt. Die Reaktion auf docdirekt sei auch hier durchgängig sehr positiv: „Es gibt Patienten, die habe ich jetzt schon mehrfach beraten. Das erste Mal ist in der Regel eine größere Hürde, weil man den Online-Arzt ja nicht kennt. Aber sobald diese einmal überwunden ist, kommen viele wieder. Natürlich muss man ganz klar kommunizieren, was man bei einem solchen Kontakt leisten kann, und was nicht. Ich kann selbstverständlich nicht in die Ohren schauen oder die Brust abhören – da müssen die Kinder dann einfach in die Praxis kommen. Aber meistens geht es um die Beratung; das ist im Prinzip bei einem Praxisbesuch auch nicht anders.“

An Fragestellungen sei praktisch alles dabei, berichtet Finkbeiner, der auch als Poolarzt regelmäßig Vertretungen im In- und Ausland macht. Vom Pickel über Durchfall, Koliken, oder wenn das Kind etwas verschluckt hat, käme praktisch alles vor. Dabei werden die Konsultationen überwiegend per Video geführt, weil dies gerade bei Kindern viele Zusatzinformationen liefere: „Das gibt mir einen guten Eindruck, besser als ein reines Telefonat“, sagt er. „Hierfür braucht man aber als Arzt eine ganze Menge Erfahrung, um den zusätzlichen Besuch in der Praxis zu vermeiden. Und das muss dann selbstverständlich auch entsprechend vergütet werden, weil wir damit ja eine hohe Qualität abliefern.“

Potenzial der Telemedizin wird in Deutschland noch zu wenig genutzt

In einem nächsten Schritt solle man telemedizinische Beratung auch zu Zeiten anbieten, an denen man sich normalerweise zum Notfalldienst begeben müsse, meint Finkbeiner: „Die meisten brauchen einfach zeitnah kompetenten Rat, dafür müssen sie nicht abends oder am Wochenende stundenlang beim Notdienst sitzen. Hier hat docdirekt ein großes Potenzial, damit könnte man zukünftig ganz viel abpuffern.“

Darüber hinaus solle man die Regulierung überdenken, denn die gegenwärtige Lösung nutze das Potenzial der Telemedizin nicht aus, sagt der Mediziner: „Im Prinzip könnten uns die Patienten beispielsweise auch vom Urlaubsort aus anrufen, das geht natürlich. Aber streng genommen darf ich da offiziell nicht beraten, weil docdirekt nur für Patienten gilt, die sich in ihrer Umgebung – also Baden-Württemberg – befinden. Aber eigentlich ist es nur wichtig, wo der Arzt sitzt; wo der Patient sitzt, ist eigentlich völlig zweitrangig. Da sind wir in Deutschland wirklich noch ganz am Anfang.“

docdirekt kann jeder gesetzlich Versicherte – Erwachsene und Kinder – aus Baden-Württemberg montags bis freitags zwischen 9 und 19 Uhr unter der Telefonnummer 0711 965 897 00 in Anspruch nehmen.

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