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Organversagen durch Fettleber

HepaRegeniX entwickelt einen Wirkstoff zur Regeneration

Wenn die Leber nicht mehr aus eigener Kraft regeneriert, könnten Ärzte zukünftig mit einem chemischen Wirkstoff eingreifen. Die Tübinger HepaRegeniX GmbH entwickelt dafür einen vielversprechenden Kandidaten. So soll sowohl akutes als auch chronisches Leberversagen besser therapiert werden.

Adipositas ist einer der Faktoren, die zu einer Fettleber führen können. Grundsätzlich ist die Leber ein hoch regenerationsfähiges Organ. Jedoch können die Fettansammlungen im Laufe der Zeit Entzündungsprozesse einleiten, die chronische Leberschäden verursachen. Es kann zu einer Fettleberhepatitis (NASH = nicht-alkoholische Steatohepatitis) kommen. Aufgrund chronisch entzündeter Bindegewebsanteile in der Leber vernarbt das Gewebe stark. Solche Fibrosen können schließlich zu einer nicht mehr reversiblen Leberzirrhose führen. Auf Zellebene sterben dabei zunehmend Leberzellen ab beziehungsweise können sich nicht mehr ausreichend vermehren. Die Konsequenz kann ein tödliches Leberversagen sein. Aus diesem Grund wird seit Jahren nach einer Therapie gesucht, mit der die Regenerationsfähigkeit rechtzeitig gefördert und reaktiviert werden kann.

Prof. Dr. Lars Zender, Hepatologe und Onkologe am Universitätsklinikum Tübingen (UKT), entdeckte vor einigen Jahren einen molekularen Schalter, der nun die Wende bringen kann. Zender war an der Entwicklung einer Screening-Plattform beteiligt, um neue Zielstrukturen zur Behandlung von Leberkrebs zu finden. Dabei stellte sich heraus, dass mit dem Screening auch Zielstrukturen für nicht-onkologische Lebererkrankungen identifiziert werden können.

Portätfoto des CEO der Firma Heparegenix, Dr. Albrecht, der zur Seite schaut.
Der Biotechnologe Dr.-Ing. Wolfgang Albrecht ist seit 2017 im Unternehmen, zunächst als als Mitgründer und CEO, seit 2019 als COO. © Foto: Albrecht, HepaRegeniX

So stieß das Team auf den besagten Schalter, nämlich das Enzym MKK4 (Mitogen-aktivierte Protein-Kinase4). Die Kinase ist Teil eines biochemischen Signalwegs, der unter anderem das Zellwachstum und die Apoptose, also den programmierten Zelltod, steuert. Es zeigte sich, dass im Krankheitsfall, wenn das Organ frische und funktionsfähige Leberzellen benötigt, eine Inhibierung von MKK4 die Regeneration massiv fördert.*

Auf Grundlage dieser Entdeckung kam es zur Gründung der HepaRegeniX GmbH. Dr. Wolfgang Albrecht, Mitgründer und heutiger COO (Chief Operating Officer) des Unternehmens, erinnert sich gut an die ersten Herausforderungen: „Wir haben drei Ansätze verfolgt, um einen Inhibitor zu finden. Zunächst wurde anhand einer Kristallstruktur in silico das aktive Zentrum von MKK4 modelliert, um einen passenden Inhibitor zu definieren. Dann haben wir zusammen mit dem Drug Discovery Center im schottischen Dundee ein Hochdurchsatz-Screening von Substanzbibliotheken gemacht und so Zehntausende von Substanzen getestet. Den Durchbruch brachte dann jedoch der scheinbar banalste Ansatz: Durch Literaturrecherchen stießen wir auf den Hinweis, dass ein bereits zugelassenes Krebsmedikament auch an MKK4 andockt.“

Signalkaskade unterbrechen, Leber regenerieren

Mit diesem Start-Molekül ging das HepaRegeniX-Team in die Entwicklung und passte es den eigenen Bedürfnissen an. Es gelang, den primären Wirkmechanismus gegen das onkologische Zielmolekül komplett auszuschalten und den Nebenmechanismus zu optimieren, also das Molekül zu einem selektiven MKK4-Hemmstoff zu machen. Diese Arbeiten führte die Firma mithilfe der Teams von Prof. Zender am UKT und von HepaRegeniX-Mitgründer Prof. Dr. Stefan Laufer am Pharmazeutischen Institut der Universität Tübingen durch. Schließlich standen den Forschern mehrere potente Wirkstoff-Kandidaten mit unterschiedlichen Eigenschaften zur Verfügung, die sich für eine Arzneimittelentwicklung eignen. Konzentriert hat sich das Unternehmen dann zunächst auf denjenigen, der für die Indikation zur Leberregeneration am vielversprechendsten war. „Wir haben hier einen klassischen chemischen Wirkstoffkandidaten, der sich in verschiedenen Krankheitsmodellen als wirksam erwies und, Stand heute, ein sehr kleines Risiko hinsichtlich Sicherheit und Verträglichkeit birgt. Das stimmt uns sehr optimistisch für die klinische Entwicklung“, erklärt Albrecht.

Ein Porträtfoto des Biotechnologen Dr. Lutz, der in die Kamera lächelt.
Der erfahrene Biotech-Entrepreneur Dr. Michael Lutz stieß 2019 als CEO zum Unternehmen. © Foto: Lutz, HepaRegeniX

Für die weitere Entwicklung des Wirkstoffs erhielt das Unternehmen 2017 eine Serie-A-Finanzierung, an der neben dem Boehringer Ingelheim Venture Fund als Lead Investor auch High-Tech Gründerfonds, Coparion und Novo Ventures beteiligt waren. Die präklinischen Daten waren dann so aussichtsreich, dass HepaRegeniX im Januar 2020 eine Serie-B-Finanzierung in Höhe von 11 Millionen Euro abschließen konnte. Alle bestehenden Investoren haben sich an der neuen Finanzierungsrunde beteiligt. „Das war die größte Finanzierungsrunde im deutschsprachigen Life-Science-Bereich im ersten Quartal 2020“, betont Dr. Michael Lutz, seit Oktober 2019 CEO des Unternehmens. Anfang Juli 2020, also nur wenige Monate später, konnte das Unternehmen weitere Erfolge verkünden. In mehreren Tiermodellen bewies der Inhibitor bei akutem Leberversagen seine Fähigkeit zur Leberregeneration. Weitere Untersuchungen zu chronischem Leberversagen laufen noch.

Präklinik liefert hervorragende Ergebnisse

In Zusammenarbeit mit der Mayo-Klinik in Rochester, USA, konnte das auch im Tiermodell gezeigt werden. „Dass die Leberregeneration in Schweinen so überragend gut funktioniert, hat sogar uns überrascht. Nach einer 80-prozentigen Leberresektion regeneriert eine Leber häufig nicht mehr. Nach drei intravenösen Gaben des MKK4-Inhibitors konnten wir im Schweinemodell jedoch eine signifikante Regeneration erreichen“, sagt Lutz. Da die Schweineleber der Menschlichen weitgehend ähnelt, ist sich das Team nun sicher, auf dem richtigen Weg zu sein. Für 2021 ist die erste Phase-I-Studie beim Menschen geplant und spätestens dann wird der Inhibitor auch einen Namen erhalten. „Dann werden wir alle Arbeiten und Protokolle, die für eine Zulassung notwendig sind, mit externen Partnern nach und nach abarbeiten. Bei den bisherigen Studien deutet nichts auf gravierende Nebenwirkungen hin, aber das muss natürlich noch genauer untersucht werden“, so Albrecht. Er und seine Kollegen streben eine Zulassung sowohl zur Behandlung von akutem Leberversagen an, das mit einer hohen Mortalitätsrate einhergeht, als auch zur Behandlung chronischer Lebererkrankungen, die sich über Jahre hinweg entwickelt haben.

Literatur:

*A Direct In Vivo RNAi Screen Identifies MKK4 as a Key Regulator of Liver Regeneration (Wuestefeld et al, 2013, Cell)

Die gemeinsamen Arbeiten der Heparegenix GmbH mit der Mayo Clinic werden anläßlich der weltweit führenden Leberkonferenz AASLD im November 2020 in den USA erstmals in einem Vortrag ausführlicher vorgestellt.

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/heparegenix-entwickelt-einen-wirkstoff-zur-regeneration