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Qualitätssiegel für Implantate gefordert

Weil heutige Senioren älter und aktiver sind, bleiben Implantate immer länger im Körper und werden stärker belastet. Verbesserte Oberflächen sollen dafür sorgen, dass die Implantate optimal einheilen und verankern. Im Gespräch mit BIOPRO erklärt Dietmar Schaffarczyk, Geschäftsführer der stimOS GmbH aus Konstanz, warum ein freiwilliges Gütesiegel sinnvoll ist, damit Verbraucher qualitativ hochwertige und sichere Implantate besser erkennen.

Das Bild zeigt ein Schwarz-weiß-Porträt von Dietmar Schaffarczyk.
Dr. Dietmar Schaffarczyk, CEO stimOS GmbH. © stimOS GmbH

Sie fordern zusammen mit anderen Autoren in einem Positionspapier1 mehr Transparenz bei Implantaten. Was treibt Sie als Entwickler von Implantatoberflächen an?

Jeder Patient muss sich darauf verlassen können, dass er das beste Implantat bekommt, das nach dem aktuellen Stand der Technik realisierbar ist. Das sollte das Selbstverständnis jedes Implantatherstellers sein. Wenn es bei einem Implantat zum Beispiel zu Abrieb kommt, sollten Hersteller diese unerwünschten Effekte nicht unter den Tisch kehren. Für Ärzte und Patienten wäre daher ein transparentes Gütesiegel wünschenswert, das für Hersteller freiwillig sein sollte. Dafür haben wir zusammen mit einer Zertifizierungsstelle, bei der ich auch Auditor bin, mit Forschern, Klinikern und einem Materialhersteller ein einheitliches Bewertungsverfahren entwickelt.

Implantate benötigen in Europa eine CE-Kennzeichnung, bevor sie auf den Markt kommen. Warum braucht es zusätzlich ein Qualitätssiegel?

Die CE-Kennzeichnung besagt, dass ein Medizinprodukt insgesamt die rechtlichen Anforderungen an Leistung und Sicherheit erfüllt. Sie sagt aber nicht unbedingt etwas aus über den Qualitätsstandard der einzelnen Komponenten, aus denen ein Implantat aufgebaut ist.

Welche Schwierigkeiten ergeben sich daraus für Ärzte, die bei Implantaten vor der Qual der Wahl stehen?

Das fängt schon damit an, dass der Begriff „Beschichtung“ unscharf definiert ist. Um die Qualität beurteilen zu können, sollte man aber zwischen einer beschichteten Oberfläche, einer modifizierten Oberfläche oder einem Verbundwerkstoff unterscheiden. Bei einer Modifizierung wird zum Beispiel das ursprüngliche Implantatmaterial umgebaut. Bei einer Beschichtung gibt es eventuell Probleme mit Materialabrieb, der im Körper umherwandern und sich in den Organen absetzen könnte. Das würde ich als Patient vorher gerne wissen wollen.

Das Bild zeigt eine Großaufnahme eines schraubenförmigen Implantats, umgeben von neu gebildetem grün fluoreszierendem Knochengewebe.
Implantate sollten stabil mit dem Knochen verwachsen, wie hier in einer Untersuchung am Tier gezeigt. © stimOS GmbH

Reicht es nicht aus, dass Implantate vor der Zulassung auf Sicherheit und Wirksamkeit geprüft werden?

Klar, diese Tests sind vorgeschrieben, aber es gibt für die einzelnen Komponenten nicht immer klare Vorgaben, wie getestet werden soll. Das ist, als ob ich Äpfel mit Birnen vergleiche. Habe ich zum Beispiel mit Knochenzellen getestet oder mit Hautzellen? Habe ich die Zellen vor oder nach dem Spülen auf der Implantatoberfläche gezählt, weil ich eine möglichst hohe Zellzahl nachweisen wollte? Es ist auch ein Unterschied, ob ich das Implantat im Tierversuch vorsichtig in einen Röhrenknochen einbringe oder mit Kraft in einen dichten Knochen wie den Beckenkamm eindrehe, um bewusst Abrieb zu provozieren, weil ich wissen will, wie stabil die Beschichtung ist. Das alles kann ich nach der Zulassung nicht mehr nachvollziehen.

Wie kann ein Gütesiegel Verbrauchern helfen, die Qualität eines Implantats zu beurteilen?

Wir haben zunächst eine Bewertungsmatrix für Oberflächenfunktionalisierungen entwickelt, wo wir im Prinzip ein Evidenzlevel nachweisen – das Safety and Performance Evidence Level (S.P.E.L.).2 Bei einem Gütesiegel mit einem Evidenzlevel von 80 bis 100 Prozent weiß ich: Die Hersteller haben ihre Implantate unter möglichst realen Bedingungen getestet und nicht in einer idealen Testumgebung. Unter 50 Prozentpunkten wird sich ein Implantathersteller wahrscheinlich gut überlegen, ob er so ein freiwilliges Zertifikat anbringt. Aber dann kann ich als mündiger Patient auch überlegen, ob ich das Implantat dieses Herstellers nehme.

Welche Kategorien werden in dieser Bewertungsmatrix abgefragt?

Für Beschichtungen oder Oberflächenmodifizierungen von Implantaten haben wir zunächst sechs Kategorien identifiziert. Vielleicht gibt es auch noch mehr Punkte. Deswegen haben wir Open Source publiziert, damit Hersteller sich noch einbringen können. Als erstes wird geprüft, ob das Unternehmen vor der Entwicklung ein zertifiziertes Qualitätsmanagement-System eingeführt hat. Dann wird geschaut, ob die Implantatoberfläche in einem GLP- (Good Laboratory Practice) zertifizierten Labor mit validierten Prozessen hergestellt worden ist, das zu jeder Zeit verlässlich die gleichen Ergebnisse liefert. Bei den präklinischen Tests wird abgefragt, ob der Hersteller oder ein neutrales, akkreditiertes Labor sie durchgeführt hat, und ob unter Realbedingungen getestet worden ist. Zu guter Letzt gibt es für Handhabung volle Punktzahl, wenn sich durch die aufgebrachte Oberfläche die Lagerfähigkeit und Sterilisierbarkeit des Implantats nicht verändern, und die Operation nicht komplizierter wird.

Das heißt, Sie bewerten keine Testergebnisse, sondern wie gut das Implantat hergestellt und überprüft wurde. Ist das Gütesiegel somit eine Ergänzung zur CE-Kennzeichnung?

Genau. Die CE-Kennzeichnung und die Klinische Prüfung, die ich brauche, sagen aus, dass das Implantat wirksam und einsetzbar ist. Aber die technische Dokumentation, die werden Sie als Patient nirgendwo einsehen können. Das ist auch klar, weil darin viel Unternehmenswissen steckt, etwa Rezepturen oder Verfahren, die zum Teil einem Patentschutz unterliegen. Darauf haben nur die Zertifizierungsstelle, die Aufsichtsbehörde und eventuell Vertriebspartner Zugriff. Das Qualitätssiegel auf der Produktpackung erlaubt hingegen den indirekten Rückschluss, dass einzelne Komponenten des Implantats unter Realbedingungen getestet worden sind. Das ist ja auch eine Auszeichnung für Unternehmen. Zu unserer Transparenzstrategie gehört aber nicht bloß ein Gütesiegel auf der Produktpackung.

Sondern?

Wir fordern zusätzlich eine kurze, herunterladbare Zusammenfassung auf der Unternehmenswebseite. Dieses Kompendium kann man so aufbereiten, dass jeder interessierte Laie versteht, welche Tests gemacht worden sind, warum sie gemacht wurden, und welche Ergebnisse dabei herausgekommen sind. Der Download-Link kann mit dem Gütesiegel auf der Produktpackung abgedruckt werden.

Wer könnte künftig dieses Gütesiegel ausstellen?

Das soll kein Siegel sein, das ich mir als Unternehmer selbst vergebe. Es sollte eine neutrale Stelle sein, die dafür zugelassen ist, Qualitätsmanagement oder Produktdaten im Medizinbereich testen zu können. Das könnte eine Zertifizierstelle oder eine Benannte Stelle sein, die ohnehin die Produktakte prüft, bevor sie eine CE-Zertifizierung erteilt. Anhand der Daten kann die beauftragte Stelle auch das Evidenzlevel bewerten und daraufhin das Gütesiegel ausgeben, das das Evidenzlevel ausweist.

Inwieweit haben Sie diese Transparenzstrategie bei stimOS bereits umgesetzt?

Wir haben in einem Pilotversuch unsere Zertifizierstelle QS International damit beauftragt, unsere Oberflächentechnologie MBT (Mimicking-Bone-Technology) nach der S.P.E.L.-Matrix zu bewerten. Aber obwohl wir nach den geforderten Methoden geforscht und gearbeitet haben, werden auch wir wahrscheinlich keine 100 Prozent erreichen. Das liegt daran, dass wir zum Teil in „experimentellem“ Umfeld mit Universitäten zusammengearbeitet haben. Darüber hinaus stellen wir gerade ein Kompendium zusammen, das wir auf unserer Webseite zur Verfügung stellen werden.

Können auch schon andere Unternehmen ihre Implantate für das Gütesiegel zertifizieren lassen?

Wir werden den S.P.E.L-Standard auch anderen Zertifizierstellen vorstellen. Im Moment kann sich aber jeder interessierte Hersteller bei der QS International AG melden. Wünschenswert wäre es, wenn das Siegel bei Entscheidern wie Einkäufern oder Krankenkassen Beachtung findet.

Lässt sich das Bewertungsverfahren auch auf andere Medizinprodukte übertragen?

Ja, absolut. Die Fragen und die Kategorien sind etwas anders, aber der rote Faden ist immer: Wie wurde entwickelt, und ist die Prüfung an Realbedingungen angelehnt? Wir haben zum Beispiel in einem zweiten Positionspapier die Bewertungsmatrix für 3D-gedruckte mechanische Implantate angepasst. Hier wäre so eine Transparenzstrategie eventuell noch wichtiger als bei Oberflächenfunktionalisierungen, weil 3D-gedruckte Implantate oft individuell auf den Patienten zugeschnitten sind. Sie unterliegen daher meist nicht dem kompletten CE-Bewertungsverfahren. Die S.P.E.L.-Matrix kann man meiner Meinung nach auf viele unterschiedliche Medizinprodukte anwenden. Gerade denken wir über eine Software-Bewertungsmatrix nach.

Ab Mai 2021 gilt die neue Europäische Medizinprodukte-Verordnung (MDR). Wird sie zu mehr Qualität und Transparenz bei Medizinprodukten führen?

Es ändert sich nichts daran, dass das CE-Kennzeichen keine Rückschluss zulässt, wie die Testresultate der Implantatkomponenten zustande gekommen sind. Die Anforderungen an ein Medizinprodukt werden nur konsequenter durchgesetzt und überprüft. Die Transparenz, die wir als eine begleitende freiwillige Dokumentation einfordern, wird unter der MDR genauso sinnvoll sein.

Literatur:

1) Schaffarczyk, D. et al.: Polyetherketone implant surface functionalization technologies and the need for a transparent quality evaluation system. Polymer International Dez 2020. DOI: https://doi.org/10.1002/pi.6162

2) Schaffarczyk, D. et al.: Applying S.P.E.L. (safety and performance evidence level) standard to patient matched medical devices: The need for a transparent regulatory matrix to qualify new manufacturing methods and technologies. MedDEV Quarterly News 2021; Q1: 23-29. https://fliphtml5.com/ymtgz/zagd; DOI: 10.5281/zenodo.4541811

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/qualitaetssiegel-fuer-implantate-gefordert