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SARS-CoV-2-Diagnostik aus BW

Corona-Schnelltest liefert Ergebnis nach 43 Minuten

Einen Schnelltest, der am Ort der Probennahme in 43 Minuten zeigt, ob sich ein Patient mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infiziert hat, entwickelt das Hahn-Schickard-Institut gemeinsam mit der Spindiag GmbH in Freiburg im Breisgau. Der Schnelltest soll im 4. Quartal 2020 auf den Markt kommen.

Prof. Dr.-Ing. Roland Zengerle
Prof. Dr.-Ing. Roland Zengerle leitet seit 2005 die Hahn-Schickard-Institute in Freiburg und Villingen-Schwenningen und hat seit 1999 den Lehrstuhl für Anwendungsentwicklung am Institut für Mikrosystemtechnik (IMTEK) der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg inne. © Wolfgang Sperl

Aktuell dauert es in den meisten Fällen ein bis zwei Tage, bis aus dem Labor das Ergebnis eines Tests auf das Coronavirus SARS-CoV-2 vorliegt. „Ich kenne viele, die eine Woche auf das Ergebnis gewartet haben“, sagt Prof. Dr.-Ing. Roland Zengerle, Professor an der Universität Freiburg und Leiter des dortigen Hahn-Schickard-Instituts. Das war zu Beginn der Pandemie. Der Test selbst ist eigentlich zügig gemacht. Die meiste Zeit wird dafür benötigt, die Probe ins Labor zu schicken, den Test auszuwerten und die Ergebnisse an die Teststelle und den Patienten zu übermitteln. Dies fällt beim Corona-Schnelltest der Spindiag weg: Er wird direkt am Ort der Probennahme durchgeführt, und das Ergebnis kann nach 43 Minuten direkt am Gerät abgelesen und - wenn nötig - digital übertragen werden.

Miniaturisierter Laborablauf wird durch Drehung gesteuert

Das Testsystem besteht aus einem Analysegerät und einer Kartusche, die alle für die Analyse nötigen Reagenzien enthält. Der Abstrich aus Nase oder Rachen wird mit einem Standardtupfer entnommen und direkt in die Kartusche gegeben, das Infektionsrisiko für den Anwender ist damit minimal. Im Analysegerät finden zwei Kartuschen Platz, es können also zwei Proben gleichzeitig analysiert werden. Per Knopfdruck startet dann ein miniaturisierter Laborablauf aus etwa 30 Einzelschritten:

Analysegerät und Kartusche
Das Testsystem besteht aus einem Analysegerät und einer Kartusche. Es können zwei Kartuschen gleichzeitig analysiert werden. © Spindiag GmbH

In feinen Kanälchen und kleinen Kammern werden Flüssigkeiten transportiert, gemischt, aufgeteilt, erhitzt und abgekühlt. Gesteuert wird der Ablauf durch unterschiedlich starke Zentrifugalkräfte, die entstehen, wenn die Kartusche im Analysegerät mit verschiedenen Geschwindigkeiten gedreht wird, maximal sind es 50 Umdrehungen pro Sekunde. „Die Entwicklung der Technik der zentrifugalen Mikrofluidik an der Uni Freiburg hat vor 20 Jahren begonnen und wurde über viele Doktorandengenerationen weitergeführt“, erzählt Zengerle. Im Anschluss daran wurde am Hahn-Schickard-Institut in Freiburg weitergearbeitet, einem gemeinnützigen Forschungsinstitut im Bereich der Mikrosystemtechnik, das Grundlagenforschung aus der Universität in die Anwendung bringt. Und schließlich gründeten sechs Mitarbeiter im Jahr 2016 die Spindiag.

Dr. Markus Rombach
Dr. Markus Rombach leitet das Projekt bei Hahn-Schickard. © Wolfgang Sperl

Nachgewiesen wird das Coronavirus SARS-CoV-2 üblicherweise in einer Polymerase-Kettenreaktion (PCR), einer Methode, mit der eine Probe auf eine bestimmte Erbsubstanz untersucht werden kann. Beim Testsystem der Spindiag läuft in der Kartusche eine verschachtelte PCR ab. „Mit dem zweistufigen Verfahren können auch sehr geringe Mengen Erbinformation nachgewiesen werden, sodass auch schwach positive Patienten gefunden werden“, erklärt Markus Rombach, Leiter des Projekts bei Hahn-Schickard.

Gleichzeitig auf über 20 Erreger testen

Das Verfahren könnte auch für den Einsatz in der Differentialdiagnostik weiterentwickelt werden, also wenn ein Patient nicht nur auf das Coronavirus SARS-CoV-2, sondern gleichzeitig auch auf andere Viren oder Bakterien getestet werden soll. „Wir könnten in einer Kartusche eine Probe gleichzeitig auf mehr als 20 verschiedene Erreger testen“, sagt Rombach. Ursprünglich entwickelte die Spindiag einen Schnelltest auf Bakterien, die gleichzeitig gegen mehrere Antibiotika unempfindlich sind.

Forscher mit Schutzausrüstung, die an Pilotlinie arbeiten
Pilotlinie bei Hahn-Schickard: Das Testsystem wird hier zu Beginn und ab Herbst/Winter 2020 zusätzlich bei einem weiteren Massenfertiger hergestellt. © Hahn-Schickard

„Es sollen damit beispielsweise Patienten getestet werden, die in ein Krankenhaus aufgenommen werden“, berichtet Zengerle. „So kann entschieden werden, ob jemand multiresistente Erreger in die Klinik bringt und daher isoliert werden muss, oder zu anderen, etwa frisch operierten Patienten, ins Zimmer gelegt werden kann.“ Dann kam die Corona-Pandemie, und das Unternehmen funktionierte das Testsystem kurzfristig in einen Sars-CoV-2-Schnelltest um.

Um dies umsetzen zu können, wurden schnell große Geldsummen mobilisiert: Ende Mai 2020 gab die Spindiag den planmäßigen Abschluss einer Serie-B-Finanzierung in Höhe von 16,3 Mio. Euro bekannt. Im April 2020 erhielt das Unternehmen gemeinsam mit der Hahn-Schickard-Gesellschaft eine Förderung in Höhe von sechs Mio. Euro durch das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau des Landes Baden-Württemberg. Mit der Kapitalerhöhung und der Förderung sollen der Test zum Nachweis des SARS-CoV-2 Virus etabliert und der Markteintritt des Testsystems ermöglicht werden.

Marktzulassung ist im 4. Quartal 2020 vorgesehen

Der Test kann vielseitig eingesetzt werden. Zengerle sieht an erster Stelle Ambulanzen und Kliniken: „Wenn Personen mit den üblichen Beschwerden kommen, können sie sehr schnell getestet werden, bevor sie in Kontakt mit anderen Personen in der Klinik kommen.“ Aber auch zentrale Abstrichzentren, Apotheken, Pflegeheime, Grenzübergänge, Flughäfen oder Unternehmen könnten davon profitieren. Laut Spindiag werden die Kosten für einen Test deutlich unter 50 Euro liegen. Zum Vergleich: Seit 1. Juli 2020 bekommen Labore einen Coronatest mit 39,40 Euro vergütet. Hinzu kommen noch eine Transportpauschale und ein Honorar für die medizinische Leistung.

„Das Testsystem der Spindiag steckt gerade in der Phase der analytischen und klinischen Leistungsbewertung“, erklärt Zengerle. "Das sind zwei Stufen unmittelbar vor dem Markteintritt.“ Dabei werden in vielen Tests Daten erhoben, etwa zur Wahrscheinlichkeit, dass eine negative Probe auch als negativ und eine positive Probe als positiv erkannt wird. „Die Daten sehen sehr vielversprechend aus“, findet Zengerle. Eine Marktzulassung in Deutschland und der EU im 4. Quartal 2020 steht nun unmittelbar bevor.

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