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Peptid-basierter COVID-19-Impfstoff

CoVac-1: T-Zell-Aktivator gegen COVID-19

Gängige Impfstoffe gegen COVID-19 zielen auf die Bildung neutralisierender Antikörper ab, die das Eindringen des Virus in die Wirtszellen verhindern. Da Menschen mit eingeschränkter B-Zell-Immunantwort, die auch bei Krebs- oder Autoimmunerkrankungen auftreten kann, hierzu nicht in der Lage sind, entwickelten Forschende der Universität Tübingen den Peptid-basierten T-Zell-Aktivator CoVac-1, der eine breitgefächerte und langanhaltende Immunität verspricht.

Nach Kontakt mit einem Krankheitserreger entwickeln die Abwehrzellen unseres adaptiven Immunsystems eine maßgeschneiderte Antwort, sodass dieser auch zukünftig schnell identifiziert und wirksam bekämpft werden kann. B-Lymphozyten produzieren Antikörpermoleküle, die fremde Strukturen, sogenannte Antigene, auf der Oberfläche des Erregers erkennen und binden. Dadurch kann deren Funktion blockiert und beispielsweise das Eindringen des Mikroorganismus in Körperzellen verhindert werden. Des Weiteren dient die Markierung durch Antikörper als Signal für Fresszellen, die den Erreger aufnehmen und verdauen. Hierbei entstehen Peptide, die anschließend gebunden an den MHC (Major Histocompatibility Complex)-Proteinkomplex auf der Oberfläche der Fresszelle präsentiert werden.

HLA-Moleküle definieren das immunologische Selbst

Mithilfe der MHC-Proteinkomplexe, beim Menschen auch HLA (Human Leucocyte Antigen) genannt, kann das Immunsystem körpereigene Zellen von denen eines anderen Individuums unterscheiden und zudem erkennen, ob Zellen beispielsweise von einem Erreger befallen oder verändert sind. Moleküle der HLA-Klasse-I befinden sich auf allen kernhaltigen Körperzellen. Da die dazugehörigen Gene extrem variabel sind, besitzt jeder Mensch ein individuelles Set. Sie präsentieren kurze Peptide aus acht bis zehn Aminosäuren, die ein Abbild der im Zellinneren synthetisierten Proteine darstellen. Entstehen aufgrund einer Infektion körperfremde Proteine, dann entdecken zytotoxische CD8+ T-Lymphozyten dies anhand der neuen Peptide und vernichten die entsprechende Zelle.

Komplexe der HLA-Klasse-II hingegen werden vorwiegend von „professionellen“ antigen­präsentierenden Zellen des Immunsystems gebildet, zu denen neben den Fresszellen auch B-Lymphozyten zählen. Sie präsentieren längere Peptide, die allerdings nicht von zelleigenem Material abstammen, sondern von aufgenommenen und verdauten Proteinen und von CD4+ T-Zellen erkannt werden. Letztere sind vor allem für die Koordination der Immunantwort verantwortlich und unterstützen sowohl B- und T-Lymphozyten als auch Fresszellen bei der Bekämpfung des Eindringlings.

Langanhaltender T-Zell-Schutz gegen COVID-19

Porträtfoto einer freundlich lächelnden blonden Frau mit zusammengebundenen Haaren, die ein schwarzes Jäckchen über einem weißen Shirt trägt.
Prof. Dr. Juliane Walz entwickelt mit ihrem Team Peptid-basierte T-Zell-Aktivatoren, die eine langanhaltende Immunität gegen SARS-CoV-2 induzieren. © Universitätsklinikum Tübingen

Wie andere Viren auch, so dringt SARS-CoV-2 in die Wirtszellen ein und vermehrt sich in ihnen. Für einen effektiven Immunschutz ist deshalb sowohl die Bildung von Antikörpern als auch die Aktivierung von T-Zellen wichtig. Gängige Impfstoffe zielen auf die Induktion von neutralisierenden Antikörpern ab, die das Spike-Protein des Virus blockieren und so den Eintritt in die Wirtszellen verhindern. Untersuchungen an Geimpften und COVID-19-Genesenen zeigen allerdings, dass die Antikörpermengen schon nach einigen Wochen zurückgehen, wohingegen die T-Zell-vermittelte Immunität deutlich länger anhält. „Bei Genesenen haben wir außerdem gesehen, dass für einen milderen Krankheitsverlauf nicht unbedingt die Stärke der T-Zell-Antwort, sondern die Breite, das heißt die Erkennung vieler unterschiedlicher Peptide, entscheidend ist“, erläutert Prof. Dr. Juliane Walz, Leiterin der Abteilung für Peptid-basierte Immuntherapien und medizinische Direktorin der Klinischen Kooperationseinheit (KKE) Translationale Immunologie am Universitätsklinikum Tübingen. Die Fachärztin für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie entwickelt normalerweise therapeutische Tumorvakzine für die Behandlung von malignen Erkrankungen. Die hierbei erworbene Expertise setzt sie seit Beginn der Pandemie ein, um einen Peptid-basierten Impfstoff gegen COVID-19 herzustellen, der eine langanhaltende T-Zell-Immunität hervorruft. Dieser ist vor allem für Menschen wichtig, die einen angeborenen oder erworbenen B-Zell-Defekt haben und deshalb keine oder nur geringe Mengen an Antikörpern bilden können. Neben Personen mit Tumorerkrankungen des Immunsystems (Lymphome, Leukämien) sind daher auch Patientinnen und Patienten betroffen, die aufgrund einer Therapie unter Immunsuppression stehen, wie beispielsweise nach Transplantationen oder bei Autoimmunerkrankungen.

CoVac-1 induziert breite Immunität

Zu sehen ist eine 96-well-Analyseplatte mit unterschiedlich dunkel verfärbten Vertiefungen, die von zwei behandschuhten Händen hochgehalten wird.
Im sogenannten ELISpot Assay lassen sich Peptide identifizieren, die von den T-Zellen Genesener erkannt werden. © Universitätsklinikum Tübingen

Im ersten Schritt identifizierte das Team um Walz die Peptide, die bei Genesenen die stärksten und häufigsten T-Zell-Reaktionen, bzw. eine langanhaltende Antwort hervorriefen.1) Diese entstammen nicht nur dem Spike-Protein, sondern allen Virusproteinen und werden entweder von HLA-Klasse-I- oder Klasse-II-Molekülen präsentiert. Basierend auf diesen Informationen entwickelten die Forschenden zusammen mit der Abteilung für Immunologie des Interfakultären Instituts für Zellbiologie der Universität Tübingen unter Leitung von Prof. Dr. Hans-Georg Rammensee den Multipeptid-Impfstoff CoVac-1. Er enthält sechs lange Peptide, deren Sequenzen von vier verschiedenen Virusproteinen abstammen. „Diese Peptidauswahl verspricht eine breitgefächerte Immunantwort, die nicht von Mutationen im Spike-Protein beeinträchtigt wird“, hebt Walz hervor. „Das Besondere ist zudem, dass die langen HLA-Klasse-II-Peptide kurze Sequenzen beinhalten, die von Klasse-I-Molekülen präsentiert werden können, wodurch beide T-Zell-Arten aktiviert werden sollten.“ Diese theoretischen Überlegungen bestätigten sich in der im Sommer 2021 erfolgreich abgeschlossenen Phase-I-Studie an gesunden Probandinnen und Probanden.2) Zudem zeigte sich, dass CoVac-1 sehr gut verträglich ist und bereits nach einer Dosis eine signifikant stärkere T-Zell-Immunität (3 - 20fach) hervorruft als gängige COVID-19-Impfstoffe. Walz ergänzt: „Wir sehen CoVac-1 inzwischen aber nicht mehr als Impfstoff, sondern als additiven T-Zell-Aktivator, der Hochrisikopatienten, die einen schlechten Antikörperschutz haben, zusätzlich zur Standardimpfung gegeben werden kann.“

In einer weiteren, bereits angelaufenen Studie wurde CoVac-1 einer kleinen Gruppe immunsupprimierter Personen verabreicht. „Aufgrund der bisherigen ermutigenden Daten gehen wir davon aus, dass wir auch in diesem Probandenkollektiv gute Ergebnisse erzielen werden und hoffen deshalb, im Herbst mit einer größeren, zulassungsrelevanten Studie starten zu können“, zeigt sich Walz optimistisch. Hierfür ist die Wissenschaftlerin zurzeit auf der Suche nach einem geeigneten Industriepartner.

Langjährige Erfahrung zahlt sich aus

Die schnelle Erprobung von CoVac-1 war nur aufgrund der langjährigen Erfahrung der Universität Tübingen mit therapeutischen Peptidwirkstoffen möglich. „Wir haben hier die ganz besondere Situation, dass sowohl das präklinische Set-up zur Entwicklung solcher Impfstoffe vorhanden ist, als auch mit unserem Wirkstofflabor eine Serviceeinheit zur Produktion nach GMP-Richtlinien“, erläutert Walz. „Mit der KKE Translationale Immunologie unter Leitung von Prof. Dr. Helmut Salih haben wir zudem eine Abteilung, die genau dafür geschaffen ist, eigenentwickelte Immuntherapien in die Klinik zu bringen.“ Alle beteiligten Einrichtungen, vom Labor über die Klinik bis zur Datenverarbeitung, richteten ihre Arbeit in den letzten Monaten auf CoVac-1 aus.

T-Zell-Aktivator bewirkt kontinuierliche Immunstimulation

Peptide sind wasserlösliche Moleküle, die gut verpackt werden müssen, damit sie im Körper ihre volle Wirkung entfalten können. Walz erklärt: „Die Peptide selber stimulieren das Immunsystem nur wenig und wären innerhalb von ca. 24 Stunden abgebaut. Wir mischen sie deshalb mit dem Adjuvans XS15, das von Prof. Rammensee zusammen mit der Firma EMC Microcollections GmbH entwickelt wurde, und das uns die Induktion ungeahnt starker Immunantworten ermöglicht.“ XS15 ist der erste wasserlösliche Wirkungsverstärker und kann mit jedem Peptidcocktail kombiniert werden. Aufgrund des Vermischens der Lösung vor Applikation mit dem Öl Montanide wird die Bildung eines Granuloms induziert, das wie ein Depot wirkt, aus dem die Peptide über Monate freigesetzt werden und so eine langanhaltende Immunstimulation ermöglicht.

Literatur:

1) Nelde, A. et al. (2021): SARS-CoV-2-derived peptides define heterologous and COVID-19-induced T cell recognition. Nat Immunol. 22(1):74-85. https://doi.org/10.1038/s41590-020-00808-x

2) Heitmann, J.S. et al. (2022): A COVID-19 peptide vaccine for the induction of SARS-CoV-2 T cell immunity. Nature 601(7894):617-622. https://doi.org/10.1038/s41586-021-04232-5

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