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Neue Studie: Impftherapie bei chronischer Leukämie

Eine Personalisierte Peptidvakzinierung soll die Therapie bei CLL verbessern. Ein Tübinger Forschungsteam startet eine erste Klinische Studie mit CLL-Patienten, bei denen eine Behandlung mit Ibrutinib geplant ist. Profitieren könnten langfristig auch andere Leukämiepatienten sowie generell Krebspatienten.

Rund 30 Prozent aller Leukämien in Europa sind chronisch-lymphatische Leukämien, kurz CLL. Betroffen sind überwiegend ältere Menschen mit einem Durchschnittsalter von 72 Jahren. Allein in Deutschland sterben jährlich fünf- bis sechstausend Menschen an einer CLL. Heilbar ist diese Krebsart noch nicht, aber sie kann mit neuartigen Wirkstoffen wie Ibrutinib besser als je zuvor zurückgedrängt werden. Verbleibende restliche Leukämiezellen können das Krankheitsgeschehen jedoch neu entfachen.

Farbiges Porträtfoto von PD Dr. Juliane Walz.
PD Dr. Juliane Walz ist Fachärztin für Innere Medizin und Hämatologie und Onkologie. Sie leitet die Phase-I-Studie zur personalisierten Peptid-Vakzinierung bei CLL. © Universitätsklinikum Tübingen

Genau hier setzt eine neuartige Immuntherapie an, die am Universitätsklinikum Tübingen UKT in Kooperation mit der Medizinischen Fakultät entwickelt wurde. Mithilfe eines therapeutischen Peptidimpfstoffs sollen zielgerichtet restliche Krebszellen eliminiert werden, die nach einer Behandlung der CLL mit Ibrutinib noch vorhanden sind. Ausgangspunkt der Impfstoffentwicklung war die Suche nach tumorspezifischen Oberflächenpeptiden, die aufgrund von spezifischen Veränderungen in der Tumorzelle nur auf diesen und nicht auf gesunden Zellen vorkommen. Die Idee war, solche Peptide synthetisch herzustellen und die Patienten damit zu impfen: Ihr Immunsystem soll quasi scharfgeschaltet werden zur Erkennung dieser Strukturen. Der Erkennungsvorgang soll dann eine Reaktionskette in Gang setzen, bei der patienteneigene Zellen des Immunsystems die Tumorzellen abtöten.

Was zunächst recht einfach klingt, war für das Forschungsteam eine große Herausforderung. Zunächst mussten die „richtigen“ Peptide gefunden werden. PD Dr. Juliane Walz ist leitende Oberärztin der KKE (Klinische Kooperationseinheit) Translationale Immunologie des UKT, die maßgeblich an der Entwicklung des therapeutischen Impfstoffs beteiligt ist. Sie leitet zudem die nun gestartete Phase-I-Studie mit dem Peptidimpfstoff und fasst zusammen: „Wir haben viele Jahre daran gearbeitet, Oberflächenpeptide von Tumorzellen zu isolieren und zu analysieren. Schließlich konnten wir für eine Reihe solcher Peptide zeigen, dass sie tumorexklusiv sind. Das gelang unter anderem durch Abgleich mit unserer großen Datenbank mit Oberflächenstrukturen gesunder Gewebe. Weitere präklinische Laboruntersuchungen mit Spenderzellen haben dann bewiesen, dass die Peptide tatsächlich in der Lage sind, T-Zellen des Immunsystems zu aktivieren.“

Weltweit erste Personalisierte Impftherapie mit Peptiden und Adjuvans bei Krebs

Die Tübinger Forschenden wollten aber nicht einfach jedem CLL-Patienten alle identifizierten Peptide impfen. Ziel war von Anfang an eine Personalisierte Therapie: Es soll jeweils genau die Mischung an Peptiden zum Einsatz kommen, die für den jeweiligen Patienten am besten geeignet ist. Denn nicht jeder CLL-Patient hat auf den Tumorzellen die gleiche Peptidausstattung. Auch die Individualisierung hat jedoch ihre Machbarkeitsgrenzen, wie Walz erklärt: „Theoretisch könnte man die CLL-Zellen jedes einzelnen Patienten analysieren und exakt sein Peptidmuster auswählen. Das wäre jedoch derart zeit- und kostenintensiv, dass es nicht umsetzbar ist. Als machbare Alternative verfolgen wir deshalb das Warenhaus-Prinzip.“ Dabei konzentriert sich das Team auf Peptide, die sehr häufig bei der CLL relevant sind. Diese werden nach GCP- und GMP-Richtlinien vorproduziert und – basierend auf einer individuellen Untersuchung der Leukämiezellen des jeweiligen Patienten – in der am besten passenden Mischung eingesetzt.

Die Schemazeichnung zeigt anhand der vier wesentlichen Stadien den Ablauf der Peptidvakzinierung. Die Stadien sind entgegen dem Uhrzeigersinn angeordnet und durch Pfeile miteinander verbunden: Nach subkutaner Injektion der synthetischen Peptide (1.) erfolgt die Präsentation der Peptide durch Antigen-präsentierende Zellen (APC) an die T-Zellen (2.), dann die Proliferation Peptid-spezifischer T-Zellen (3.), dann die Erkennung des entsprechenden Peptides auf der Tumorzelle und die Elimination der Tumorzelle durch die T-Zellen (4.).
Das Schema zeigt die Wirkungsweise eines Peptidimpfstoffes: Nach subkutaner Injektion der synthetischen Peptide werden diese den T-Zellen durch Antigen-präsentierende Zellen (APC) angeboten, peptidspezifische T-Zellen proliferieren, erkennen das entsprechende Peptid auf der Tumorzelle und eliminieren diese. © Universitätsklinikum Tübingen

Damit ist der Impfstoff jedoch noch nicht komplett. Das Konzept sieht vor, dass nach der Injektion an der Impfstelle ein Depot in Form eines reversiblen Granuloms entsteht. Von diesem aus soll das Immunsystem kontinuierlich dazu angeregt werden, vereinzelte CLL-Zellen aufzuspüren und zu zerstören. Dafür wird ein Adjuvans, also ein Impfstoffverstärker, benötigt, das überhaupt erst einmal Immunzellen anlockt. Hier lauerte gleich das nächste Problem, denn „gute Adjuvanzien für Personalisierte Tumorimpfungen waren bislang nicht verfügbar“, wie Walz sagt. Die Lösung kam aus dem Labor des Tübinger Immunologen Prof. Dr. Hans-Georg Rammensee. Mit „XS 15“ entwickelte sein Team in Kooperation mit der Tübinger EMC microcollections GmbH ein wasserlösliches, effektives Adjuvans, das Toll-like-Rezeptoren aktivieren kann. Diese kommen als Teil des angeborenen Immunsystems ohnehin im Körper vor. „In einzelnen individuellen Heilversuchen wurde „XS 15" bereits bei Krebspatienten eingesetzt und zeigte eine lange, stark anhaltende T-Zell-Antwort. Zudem ist es nicht toxisch und gut verträglich“, so Walz.

Nachdem nun eine wässrige Lösung mit Impfstoff und Adjuvans zur Verfügung stand, war die nächste Herausforderung, die Depotwirkung zu gewährleisten. Das gelang durch eine Kombination mit Montanide®. Diese Wasser-in-Öl-Emulsion ist für die Bildung des Granuloms als Depot an der Impfstelle verantwortlich. Die Öle werden nach und nach vom Körper abgebaut, wodurch sich das Granulom auflöst.

Peptidimpfung soll Ibrutinib-Therapie ergänzen

Vor einem unscharfen Hintergrund hält im Bildvordergrund eine blau behandschuhte Hand ein kleines zylindrisches Gefäß zwischen Daumen und Zeigefinger.
Der fertige Impfcocktail wird in ein Impfstoff-Gefäß abgefüllt. © Universitätsklinikum Tübingen

Nachdem alle präklinischen Untersuchungen erfolgreich verliefen, ging es an das Design der Phase-I-Studie im Menschen. Es war klar, dass die Impfung alleine nicht gegen die riesige Tumormasse eines unbehandelten Pateinten ankommt. Deshalb sollen an dieser ersten Studie Patienten teilnehmen, bei denen das Gros der Tumorlast bereits mit Ibrutinib zurückgedrängt wurde. „Ibrutinib ist für uns der ideale Wirkstoff, da er sich gegen B-Zell-Lymphozyten richtet und die T-Zell-Antwort, auf die wir abzielen, nicht einschränkt, sondern sogar verbessert“, sagt Walz. Die Studie selbst wird am Tübinger Universitätsklinikum sowie am Robert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart durchgeführt. Interessierte Studienteilnehmer können sich gerne noch melden. Die Rekrutierungsphase läuft bis maximal Mitte 2022. „Wesentliche Voraussetzung für die CLL-Patienten ist, dass bei ihnen zwar eine Ibrutinib-Therapie geplant ist, diese jedoch noch nicht begonnen hat. Denn um die optimale Peptidmischung zu finden, müssen wir dem Patienten zur Analyse CLL-Zellen entnehmen, bevor er Ibrutinib erhält“, sagt Walz. Wo die Patienten die Ibrutinib-Therapie durchführen, ist für die Behandlung in Tübingen oder Stuttgart egal, die Patienten müssten sich lediglich für die geplanten drei Impfungen im Abstand von vier Wochen in eines der beiden Studienzentren begeben.

Interessierte Patienten wenden sich am einfachsten unter der E-Mail: kketi@med.uni-tuebingen.de an das Team.

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