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Smartphone-App als Lebensretter: Schnelle Hilfe bei Herz-Kreislauf-Stillstand

Steigern smartphonebasierte Ersthelfer-Alarmierungssysteme die Überlebenschancen bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand?

Jede Minute zählt, wenn das Herz plötzlich aufhört zu schlagen oder so ineffektiv pumpt, dass das Gehirn nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird. Die in Freiburg koordinierte HEROES Studie untersucht, ob die Überlebensrate bei außerklinisch Reanimierten steigt, wenn über die App „Region der Lebensretter“ qualifizierte Ersthelfende herbeigerufen werden, die frühzeitig hochwertige Wiederbelebungsmaßnahmen einleiten können.

Porträt eines freundlich lächelnden jungen Mannes mit kurzen, dunklen Haaren in einem weißen Kittel.
Der Freiburger Notfallmediziner Dr. Jan-Steffen Pooth koordiniert die HEROES Studie, die die Evidenz App-basierter Ersthelfer-Alarmierungssysteme für das Überleben von Menschen mit plötzlichem Herz-Kreislauf-Stillstand aufzeigen will. © Jan-Steffen Pooth

Der plötzliche Herz-Kreislauf-Stillstand (HKS) ist ein lebensbedrohlicher Notfall und führt innerhalb kürzester Zeit zum Tod. 2023 wurden in Deutschland außerhalb der Klinik mehr als 55.000 Menschen durch den Rettungsdienst reanimiert.1) Ein Drittel der Personen erreichte das Krankenhaus mit wiederhergestelltem Spontankreislauf, letztendlich überlebten aber nur 10,4 Prozent der Behandelten.

Wichtigste Anzeichen eines HKS sind Bewusstlosigkeit, Atemstillstand und fehlender Puls. Die Überlebenschancen der Betroffenen hängen entscheidend davon ab, wie schnell die Reanimationsmaßnahmen beginnen; hier zählt jede Minute. Da der Rettungsdienst im Mittel fast 7 Minuten (± ca. 4 Minuten) bis zum Einsatzort benötigt, bleibende Hirnschäden aber bereits nach 3 bis 5 Minuten ohne Sauerstoffversorgung auftreten, sollten Personen im näheren Umfeld deshalb umgehend mit der Wiederbelebung starten.1)

„Leider beträgt die Laien-Reanimationsquote hierzulande nur etwa 55 Prozent“, beklagt Dr. Jan-Steffen Pooth, Notfallmediziner und Assistenzarzt am Zentrum für Notfall- und Rettungsmedizin des Uniklinikums Freiburg. „Dies ist im europäischen Vergleich ziemlich wenig, in den skandinavischen Ländern liegt sie bei über 70 Prozent. Wenn mehr Menschen zumindest eine Herzdruckmassage durchführen würden, könnten jedes Jahr einige tausend Leben gerettet werden.“

Ersthelfer-Alarmierungssysteme verkürzen reanimationsfreies Intervall

Viele Menschen trauen sich die Wiederbelebungsmaßnahmen allerdings nicht zu. Seit 2021 empfehlen die internationalen Leitlinien für Reanimation deshalb die Implementierung von Smartphone-basierten Alarmierungssystemen, über die in der Nähe befindliche, geschulte Helfende herbeigerufen werden können. Beim Eingang eines Notrufes mit Verdacht auf HKS löst die Leitstelle des Rettungsdienstes dann nicht nur den Einsatz aus, sondern aktiviert parallel auch das Ersthelfersystem. Qualifizierte Personen, sogenannte First Responder, die sich in einem definierten Bereich um den Notfallort befinden, erhalten daraufhin eine Benachrichtigung über ihr Mobiltelefon.

Nationale und internationale Studien zeigen klar, dass das kritische reanimationsfreie Intervall mit Hilfe dieser Ersthelfer-Alarmierungssysteme verkürzt werden kann. Eine Aussage bezüglich der Überlebensrate war allerdings bisher nicht möglich, da immer nur relativ kleine Patientengruppen von 3 bis 400 Personen betrachtet wurden. Der Mediziner erläutert: „Wir gehen aber davon aus, dass eine Steigerung um etwa 40 bis 50 Prozent realistisch ist. Dass also in Regionen mit Alarmierungssystem statt 11 Prozent etwa 15 Prozent der Betroffenen einen außerklinischen Herz-Kreislauf-Stillstand überleben.“ Um den Effekt wissenschaftlich zu belegen, sollen in der HEROES (Out-of-Hospital Cardiac Arrest & SmartphonE RespOndErS) Studie deshalb mehr als 2.200 Patientenfälle erfasst werden.2)

„Region der Lebensretter“ leistet im Notfall umfassende Unterstützung

Da die Rettungsdienste in Deutschland föderal organisiert sind, existieren landesweit verschiedene regional begrenzte Systeme zur Aktivierung von First Respondern.3) Diese unterscheiden sich sowohl in ihrem Funktionsumfang als auch bezüglich Auswahl und Anzahl der benachrichtigten Personen voneinander. Bei allen Angeboten handelt es sich aber um App-basierte Systeme, denn im Gegensatz zu einer Alarmierung per SMS kann mittels App erkannt werden, ob das Smartphone eingeschaltet ist.

Auf einem Ausschnitt eines dreidimensionalen Stadtplans sind die Wege der alarmierten Ersthelfer zum Notfallort eingezeichnet.
Nach Eingang eines Notrufes in der Leitstelle werden über die App "Region der Lebensretter" vier in der Nähe befindliche, qualifizierte Personen benachrichtigt, die schnellstmöglich Reanimationsmaßnahmen durchführen, einen Defibrillator organisieren und den Rettungsdienst einweisen. © Region der Lebensretter e. V.

Für die HEROES Studie nutzen die Forschenden die in Freiburg entwickelte und dort seit 2018 etablierte App „Region der Lebensretter“. Diese holt nicht nur medizinisch geschulte Ersthelfende an den Notfallort, sondern weist ihnen auch den Weg zum nächstgelegenen, öffentlich zugänglichen „Automatisierten Externen Defibrillator" (AED). Da ein HKS in vielen Fällen mit einem Kammerflimmern bzw. einer Herzrhythmus-Störung einhergeht, kann mit Hilfe der Geräte ein lebensrettender Elektroschock durchgeführt werden.

Unter Berücksichtigung der Entfernung und der topografischen Gegebenheiten der Aufenthaltsorte sowie der genutzten Verkehrsmittel werden vier Freiwillige aktiviert: Zwei Personen beginnen schnellstmöglich mit den Wiederbelebungsmaßnahmen, eine Person organisiert einen Defibrillator, und die vierte weist den Rettungsdienst ein und/oder betreut Angehörige.

HEROES Studie führt Vorher-Nachher-Vergleich durch

Auf einer Deutschlandkarte sind die 11 teilnehmenden Regionen in rot eingezeichnet.
An der HEROES Studie nehmen 11 Regionen in Deutschland teil. © Region der Lebensretter e. V.

Primär untersucht die am 01. Januar 2024 gestartete HEROES Studie, wie viele reanimierte Personen das Krankenhaus lebend verlassen. Aber auch ihr neurologischer Zustand wird ausgewertet, oder ob bestimmte Subgruppen besonders profitieren, wie beispielsweise Menschen mit Kammerflimmern durch den frühen Einsatz eines Defibrillators. Zu diesem Zweck sammeln die Forschenden Daten aus elf verschiedenen Regionen in Deutschland, jeweils vor und nach der Implementierung des Systems „Region der Lebensretter“. Pooth erläutert: „Wir wollten keine Interventionsstudie durchführen, bei der die Leitstelle entscheidet, ob bei Verdacht auf Herz-Kreislauf-Stillstand eine Aktivierung der App erfolgt. Sondern, wir haben Gegenden ausgewählt, in denen noch kein Ersthelfer-Alarmierungssystem existierte.“ Hierzu zählen sowohl eher ländliche Gebiete wie die Oberpfalz oder Rottweil, als auch dicht besiedelte Städte wie Stuttgart, Tübingen oder der Main-Taunus-Kreis. Insgesamt leben in den beteiligten Regionen mehr als 5 Mio. Menschen.

In den acht Monaten der ersten Studienphase erfassten die regionalen Teams bereits deutlich mehr als die erforderlichen 1.109 Patientenfälle, wobei Minderjährige und Personen mit HKS nach einem Unfall sowie solche, die während der Behandlung durch den Rettungsdienst einen HKS erlitten, ausgeschlossen wurden. Gleichzeitig schufen sie die formalen und technischen Voraussetzungen für die Nutzung des Ersthelfer-Alarmierungssystems. In Phase II erfolgte dann die Implementierung der App und die Rekrutierung von First Respondern. Seit Beginn der Phase III im Januar 2025 fordern die Leitstellen bei Notfällen nun Unterstützung über die „Region der Lebensretter“ an. Erste Auswertungen zeigen, dass in mehr als 70 Prozent der Alarmierungen qualifizierte Helfende eintreffen und lebensrettende Maßnahmen einleiten können.

Viel ehrenamtliches Engagement

Studienkoordination sowie Datenbankmanagement und Auswertung finden am Uniklinikum Freiburg statt und werden sowohl von der Deutschen Herzstiftung als auch mit Mitteln des Zentrums für Notfall- und Rettungsmedizin finanziert. Bei der Auswertung unterstützt zudem das Institut für Medizinische Biometrie und Statistik (IMBI) in Freiburg. Die regionalen Studienteams hingegen arbeiten ehrenamtlich und zahlen anfallende Kosten aus Haushaltsmitteln der beteiligten Kliniken. Nicht nur die Datenerfassung ist mit viel Arbeit verbunden, auch der Aufwand im Vorfeld war enorm, da für jedes beteiligte Bundesland ein positives Ethikvotum erforderlich war, und aufgrund der hohen Datenschutzhürden mit allen Leitstellen, Kliniken und Rettungsdiensten Einzelverträge zum Datenschutz abgeschlossen werden mussten.

Ergebnisse sollen flächendeckende Verbreitung fördern

Der Freiburger Studienkoordinator ist überzeugt, dass alle Regionen von dem Ersthelfersystem profitieren werden. Der Effekt könne jedoch unterschiedlich stark ausfallen. Vor allem in ländlichen Gegenden sei auch jetzt schon eine Alarmierung von Ehrenamtlichen per Funk möglich. Da sei der Benefit ein anderer, als wenn es vor Einführung der App keinerlei Strukturen gäbe.

„Unsere Daten werden allen Ersthelfersystemen zugutekommen und sollen dazu beitragen, ein flächendeckendes Netz an Ersthelfer-Alarmierungssystemen aufzubauen. Wenn wir den Nutzen nachweisen können, dann ist zukünftig hoffentlich eine Finanzierung beispielsweise durch die Krankenkassen möglich“, erklärt Pooth. Bisher würden alle Systeme gemeinnützig betrieben mit Förderung durch private Initiativen, Stiftungen und/oder kommunale Geldgeber. Die Etablierung eines deutschlandweiten Gesamtkonzepts werde aber mit einigem Aufwand und Kosten verbunden sein, und die HEROES Studie könne hoffentlich einen entscheidenden Beitrag auf dem Weg dahin leisten.

Bis zum 31. August 2025 können Patientendaten in der Beobachtungsstudie erfasst werden, sodass die Ergebnisse voraussichtlich ab Ende 2025 vorliegen werden.

Literatur:

1) Deutsches Reanimationsregister: Jahresberichte. https://www.reanimationsregister.de/themen/jahresberichte.html (abgerufen am 03.03.2025)

2) Müller, M. P. et al. (2024): Out-of-Hospital cardiac arrest & SmartphonE RespOndErS trial (HEROES Trial): Methodology and study protocol of a pre-post-design trial of the effect of implementing a smartphone alerting system on survival in out-of-hospital cardiac arrest. Resuscitation plus 17, 100564. https://doi.org/10.1016/j.resplu.2024.100564

3) Deutscher Rat für Wiederbelebung: Arbeitsgruppe Smartphone rettet Leben - Ersthelfersysteme. https://www.grc-org.de/unsere-arbeit-projekte/5-1-Arbeitsgruppe-Smartphone-rettet-Leben-Ersthelfersysteme

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/steigern-smartphone-basierte-ersthelfer-alarmierungssysteme-die-ueber-lebenschancen-bei-einem-herz-kreislauf-stillstand