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Rückblick: Forum Gesundheitsindustrie 2021

„Innovationen auf den Weg bringen – aber richtig“

Damit die digitale Transformation gelingt, müssen Innovationen auch den Weg in die Anwendung finden. Während des Forums Gesundheitsindustrie Baden-Württemberg 2021 zeigte sich, in welchen Bereichen Baden-Württemberg gut aufgestellt ist und welche Hürden und Herausforderungen es zu meistern gilt.

Auf einer Tribüne sitzen ein 2 Frauen und 3 Männer vor kleinen Tischen und schauen offen ins Publikum.
An der Paneldiskussion nahmen Dr. Barbara Jonischkeit, Prof. Dr. Oliver Opitz, Prof. Dr. Martin Haimerl und Dr. Bodo Brückner (v.l.n.r.) unter der Moderation von Weihua Wang (rechts) teil. © BIOPRO Baden-Württemberg GmbH / Klaus Polkowski

„Wie können wir die Innovation zu den Menschen bringen?“. Mit dieser Frage startete Moderatorin und Gründerin Weihua Wang die Paneldiskussion „Innovationen auf den Weg bringen – aber richtig“, die mit Dr. Bodo Brückner (Life Science Accelerator Baden-Württemberg), Prof. Dr. Martin Haimerl (Innovations- und Forschungs-Centrum Tuttlingen der Hochschule Furtwangen), Prof. Dr. Oliver Opitz (Leitung Koordinierungsstelle Telemedizin Baden-Württemberg (KTBW)) und Dr. Barbara Jonischkeit (Bereichsleitung Gesundheit und Bioökonomie BIOPRO Baden-Württemberg) mit großer Erfahrung auf dem Gebiet besetzt war.

Auf die Frage, was überhaupt Innovation ist, gibt Brückner folgende Antwort: „Wenn man es ganz hart formuliert, ist eine Innovation erst dann eine Innovation, wenn sie im Markt angekommen ist.“ Doch man könne auch fairer formulieren und eine Entwicklung schon auf dem Weg zur Innovation sehen, wenn diese in der Klinischen Prüfung sei. Aber allein eine interessante Idee sei noch keine Innovation.

Opitz geht noch einen Schritt weiter: „Eine Innovation ist erst dann eine Innovation, wenn sie beim Bürger und der Gesellschaft ankommt. Dafür muss die Innovation nicht immer bahnbrechend sein, aber sie muss einen Mehrwert haben.“ Besonders im Gesundheitswesen sei der Weg allerdings sehr komplex, daher müssten Innovationstreiber bereit sein, diesen Weg in Netzwerken gemeinsam mit Partnern zu gehen. Das Zeitalter der einzelnen Ideengeber sei vorbei. „Man muss bereit sein, die Innovation auch möglichst früh von der Idee in die Anwendung begleiten zu lassen“, erklärt der Leiter der KTBW. Auch Haimerl bestätigt, dass es sinnvoll sei, seine Stärken zu prüfen und Synergien zu nutzen. Ferner ergänzt er, dass moderne Innovationen häufig nicht mehr nur technologiegetrieben seien. Er sieht zunehmend Prozessinnovationen, z. B. um diese effizienter zu machen, mit Use-case-spezifischen und auf die verschiedenen Benutzer/-innen zugeschnittenen Werkzeugen.

Vernetzung ist das A und O

Für die erwähnte Vernetzung ist Unterstützung notwendig, weiß Moderatorin Wang. „Es gibt in Baden-Württemberg unglaublich viel Unterstützung in der Fläche. Wo wir noch ein bisschen besser werden können, ist die Unterstützung in der Spitze“, erklärt Jonischkeit. In allgemeine Gründungsthemen, wie z. B. Entrepreneurship, wurde deutschlandweit sehr viel investiert. In Ländern wie den USA und Israel herrsche aber eine andere Gründungsmentalität als in Deutschland, die man nicht trainieren könne. Es gebe aber viele Ansätze, diese Gedanken in Deutschland zu implementieren. Spezifisches Know-how, wie zum Beispiel die Regulatorik bei digitalen Gesundheitsprodukten, müsse nicht in der Fläche vorgehalten werden, weil man dafür Expertinnen und Experten benötige. „Wir brauchen diese starken regionalen Netzwerke, die die Grundbetreuung abdecken können, und wir brauchen auch diese Expertenstrukturen wie die Koordinierungsstelle Telemedizin, die nicht nur in Mannheim agiert, sondern für Unternehmen aus ganz Baden-Württemberg adressierbar ist“, so Jonischkeit. In diesem Bereich sei Baden-Württemberg aber noch nicht angekommen. Daher müsse die Politik diese Matrix auch in ihren Förderstrukturen mehr berücksichtigen. Ein Beispiel dafür ist das Projekt „Weiterentwicklung und Verzahnung der Innovations-Ökosysteme des Landes im Bereich Life Sciences als Basis für nationale und internationale Strahlkraft“ aus dem Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg.

Woher kommen die Innovationen in der Gesundheitsindustrie?

„In der Medizintechnik kommen die Innovationen eigentlich zu gleichen Teilen aus den etablierten Unternehmen und den Start-ups“, erklärt Jonischkeit. Aber sie prognostiziert, dass man in Zukunft die Auswirkungen der Regulatorik sehen werde. Denn selbst große Unternehmen seien mit den Rezertifizierungen so beschäftigt, dass sie keine interne Innovation betreuen. In den kommenden Jahren würden daher die Start-ups in der Medizintechnik einen Vorteil haben.

Finanziell gut aufgestellt

Im Bereich der Finanzierung sieht Brückner Baden-Württemberg recht gut aufgestellt. Um Venture-Capital-Geber zu erreichen, sei es wichtig, dass eine kritische Masse von Start-ups teilnehmen würde, wie etwa bei der Veranstaltung „Trinational HealthTech Days #2“, die von verschiedenen Stakeholdern aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz ins Leben gerufen wurde. Wichtig sei, dass das einmal gewonnene Know-how nicht verloren gehe und Ex-Entrepreneure wieder zur Verfügung stünden.

Jonischkeit bestätigt, dass Deutschland insbesondere im Seed-Bereich, z. B. mit den High-Tech Gründerfonds und dem Start-up BW Pre-Seed, gut aufgestellt ist. Ein großes Problem sei die Wachstumsfinanzierung, die besonders im Biotech-Bereich wegen der langen Entwicklungszeiten kritisch ist.

Opitz erkennt eine Herausforderung darin, die Innovationen zu implementieren und auch dabei zu bleiben, bis sie im Markt sind. Eine Implementierung in Krankenhäuser sei besonders anspruchsvoll, wenn der Benefit erst in fünf bis zehn Jahren sichtbar werde. Daher sei die engmaschige Begleitung, die aufzeige, dass es langfristig zu Einsparungen und zu Verbesserungen der Qualität komme, besonders wichtig. Im sich ändernden Gesundheitsmarkt treten insbesondere durch die digitalen Tools andere Firmen und Stakeholder in den Markt ein. Die entscheidende Rolle dabei spielen Patientinnen und Patienten, die sich ihrer Rolle jedoch erst noch bewusst werden müssen. Dieser Veränderungsprozess sei laut Opitz damit auch eine Chance.

Herausforderung MDR – Kulturwandel erforderlich

Eine Innovation in der Regulatorik ist für Haimerl der Umgang mit der Zulassung für den Impfstoff gegen COVID-19. Die neue Flexibilität in diesen regulatorischen Systemen wird auch durch digitale Methoden ermöglicht, mit denen es leichter sei, Daten zu sammeln und auszuwerten. Diese Verpflichtung, Daten zu sammeln, wird laut Haimerl auch in der MDR umgesetzt. Nur die Umsetzung sei zu bürokratisch. Die im Rahmen der MDR stattfindende Auseinandersetzung zwischen Politik und Unternehmen könnte durch einen dritten neutralen Player, wie etwa den Hochschulen, entschärft werden. „Die Einbindung von Experten kann, wie wir bei COVID-19 gesehen haben, solche Diskussion auch versachlichen.“ Denn die Regulatorik sei ein Werkzeug der Nachhaltigkeit, die versucht, Prozesse in die Zukunft mit Blick auf das Qualitätsmanagement zu denken. Der Hochschulprofessor möchte das Thema Regulatorik im Studium sowie in der Wissenschaft stärker verankern. An der Hochschule Furtwangen wird beispielsweise zurzeit ein Master zu diesem Bereich aufgebaut.

Opitz ergänzt, dass ein neutraler Player nicht ausreiche. Man würde gut daran tun, in einem ergebnisoffenen Prozess alle Stakeholder einzubinden, auch wenn dies ein schwieriger Kulturwandel sei.

„Das Ziel der MDR – der Patientenschutz – wird von niemandem infrage gestellt“, komplettiert Jonischkeit die Diskussion. Doch die noch nicht implementierten Begleitsysteme führten zu einer großen Rechtsunsicherheit bei den Unternehmen. Das Land Baden-Württemberg unterstütze daher schon seit dem Jahr 2019 mit der „MDR & IVDR Soforthilfe BW“, denn besonders Baden-Württemberg als sehr stark mittelständisch geprägtes Land leide unter den neuen Regularien.

In der finalen Abschlussrunde wird noch einmal deutlich, in welchen Bereichen es beim Thema „Innovation in Deutschland“ besonders kritisch ist. Brückner hebt hervor, dass man besonders im Healthcare-Bereich mehr erfahrene Investoren brauche. Haimerl und Jonischkeit zielen auf den erforderlichen Kulturwandel und die damit einhergehende Veränderung im System ab, die sowohl eine bessere Finanzierung als auch das angesprochene Netzwerk beinhalten. In diesen Netzwerken setzt Opitz auf positive Modellbeispiele, wenn diese bis in die Implementierung getrieben werden.

Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Panelsdiskussion:

Weihua Wang ist Social Entrepreneurin und als Moderatorin tätig. © BIOPRO Baden-Württemberg GmbH / Klaus Polkowski
Dr. Bodo Brückner ist Koordinator am Lifescience Accelerator Baden-Württemberg. © BIOPRO Baden-Württemberg GmbH / Klaus Polkowski
Prof. Dr. Martin Haimerl ist wissenschaftlicher Direktor des Innovations- und Forschungs-Centrums Tuttlingen der Hochschule Furtwangen sowie Gründungsbeauftragter der Hochschule für den Standort Tuttlingen. © BIOPRO Baden-Württemberg GmbH / Klaus Polkowski
Prof. Dr. Oliver Opitz ist Leiter des Heinrich Lanz Zentrums der Universitätsmedizin Mannheim an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und leitet die Koordinierungsstelle Telemedizin Baden-Württemberg. © BIOPRO Baden-Württemberg GmbH / Klaus Polkowski
Dr. Barbara Jonischkeit ist Bereichsleiterin Gesundheit und Bioökonomie bei der BIOPRO Baden-Württemberg. © BIOPRO Baden-Württemberg GmbH / Klaus Polkowski

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