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Cytolytics GmbH

Bioinformatik trifft Medizindiagnostik und Wirkstoffentwicklung

Das Start-up Cytolytics aus Tübingen hat eine robuste und anwenderfreundliche Software-Plattform entwickelt, die mithilfe von maschinellem Lernen die Datenauswertung bei Zellanalysen automatisiert. Davon profitieren zum Beispiel die Krebsdiagnostik und die Entwicklung neuer medizinischer Wirkstoffe.

Can Pinar ist einer der Firmengründer und CEO der Cytolytics GmbH in Tübingen. Schon während des Studiums interessierte sich der Bioinformatiker für medizinische Fragestellungen und speziell für die Krebsforschung. In dieser Disziplin werden täglich Krebszellen analysiert und mit Zellen aus gesundem Gewebe verglichen. Ein wichtiges Werkzeug dafür ist die Durchflusszytometrie. Bei diesem Verfahren werden Zellen in flüssigem Medium suspendiert und passieren auf einer Reise durch das Durchflusszytometer Engstellen, an denen sie nur einzeln vorbeikommen. Das bietet die Chance, sie hier mittels Laserstrahl zu analysieren. Brechung und Streuung des Laserstrahls liefern zum Beispiel Informationen zur Größe und Struktur der Zelle. Und es kann analysiert werden, ob die Zellen bestimmte Charakteristika wie Oberflächenmarker aufweisen, die nur bei bestimmten Krebsarten vorkommen.

Farbige Porträt-Aufnahme von Can (links) und Serina (rechts) Pinar
Can und Serina Pinar haben mit Cytolytics sowohl den industriellen als auch den akademischen Forschungsmarkt im Fokus. © Uta Wagner

Die Methode ist inzwischen so ausgefeilt und schnell, dass damit riesige Datenmengen gewonnen werden. Mit vertretbarem manuellem Aufwand lassen sich diese jedoch kaum noch auswerten. Und hier kommt die Bioinformatik ins Spiel. Pinar entwickelte bereits in seiner Bachelorarbeit Workflows zur automatisierten Analyse durchflusszytometrischer Daten und erklärt: „Die Durchflusszytometrie gibt es schon seit den 60-er Jahren, aber bis heute wurde keine Plattform für eine schnelle, automatisierte Analyse der Daten entwickelt. In den Laboren wühlen sich die Anwender oft noch manuell durch sehr viele Daten, um dann mehr oder weniger subjektiv interessante Zellen herauszufiltern.“

Das wollte Pinar ändern. Je mehr Gespräche er darüber mit Forschenden, Ärztinnen und Ärzten führte, umso klarer wurde ihm, dass eine Plattform zur automatisierten Datenanalyse auf einen echten Bedarf in der Medizin treffen würde und wirtschaftliches Potenzial bietet. Pinar reizte auch die Vielseitigkeit der Aufgabe. „Durchflusszytometrie wird sehr häufig in der Krebsdiagnostik eingesetzt. Aber die Methode ist auch sehr hilfreich bei der Entwicklung medizinischer Wirkstoffe, denn auch hier werden laufend Zellen analysiert – sei es zur Bekämpfung von Krebs als auch von Infektionen und zahllosen weiteren Erkrankungen.“

Datenauswertung unabhängig von bestimmten Krankheitsbildern oder Erregern

Zum Gründerteam gehörte 2020 auch Serina Pinar, Can Pinars Ehefrau. „Serina ist nicht zuletzt durch ihr Lehramtstudium eine super Ergänzung, um den Kunden das Produkt nahzubringen. Sie kümmert sich unter anderem um den ‚meducational content‘ und ist heute COO des Unternehmens“, erklärt Can Pinar.

Der Screenshot einer Demoversion der Cytolytics-Software zeigt dreidimensionale Punktwolken, bei der verschiedenfarbige Punkte jeweils einem bestimmten Zelltyp entsprechen. Im linken Bereich des Bildschirms ist die Navigationsleiste des Nutzers aufgeklappt, über die verschiedene Auswahlkriterien angesteuert werden können.
Cytolytics legt viel Wert auf eine übersichtliche, intuitiv zu bedienende Benutzer-Oberfläche der Auswerte-Software. Diese ist internet- und browserfähig und kann als App installiert werden. © Cytolytics GmbH

Bei der Produktentwicklung kommen neben der geballten Software-Expertise des Teams die neuesten Methoden zum Einsatz, die dank Künstlicher Intelligenz heute möglich sind. „Maschinelles Lernen ist bei uns zentral integriert. Dabei arbeiten wir mit „unsupervised learning“. Das heißt, wir füttern das System nicht vorab mit Daten, um es zu trainieren. So können Entdeckungen entstehen, die sonst gar nicht möglich wären“, sagt der Bioinformatiker. Er verdeutlicht dies mit einem einfachen Apfel-Birnen-Vergleich: „Wenn man die Software mit den vielfältigsten Daten zu Äpfeln und Birnen trainiert, kann sie zwar immer besser Äpfel und Birnen erkennen, aber keine Zwischenklassen finden wie zum Beispiel Hybride aus Äpfeln und Birnen. Wir wollen keinen Bias hineinbringen, indem wir sagen, das und das ist ein Apfel.“ Übertragen auf Krebszellen könnten so bestimmte Krebszellen identifiziert werden, auch wenn diese nicht einen bekannten typischen Marker auf ihrer Oberfläche tragen. „Ein solcher Marker ist zum Beispiel bei T-Zellen CD3. Bei unserem Vorgehen zeigen wir dem System den CD3-Marker vorher nicht. So können wir alternative Wege und Eigenschaften finden, um T-Zellen zu identifizieren.“

Bei der Cytolytics-Plattform sorgen Algorithmen im Hintergrund dafür, dass eine laufende Kategorisierung, ein Clustering der Daten, stattfindet. Das System lernt gewissermaßen aus der Erfahrung, die es selbst generiert. Ob so tatsächlich eine bestimmte Zellgruppe, wie im Beispiel die T-Zellen, identifiziert werden kann, wird jeweils mit entsprechenden Kontrollen überprüft. Stand 2022 konzentriert sich das zehnköpfige Firmenteam mit seinem Angebot noch auf den industriellen und akademischen Forschungsmarkt. „Wir möchten Forschern das richtige Werkzeug an die Hand geben, damit sie Spitzenforschung voranbringen können“, sagt Can Pinar und ergänzt, dass parallel bereits an den nationalen und internationalen Zulassungen für diagnostische Anwendungen gearbeitet werde. In ein bis zwei Jahren will das Team so weit sein und zumindest das CE-Zeichen für sein Produkt erworben haben.

Diagnostische und therapeutische Anwendungen im Fokus

Cytolytics steckt nicht nur viel Arbeit in die Optimierung der eigentlichen Datenanalyse, sondern auch darin, dem Anwendenden die Ergebnisse so schnell wie möglich zu übermitteln und so einfach wie möglich darzustellen. „Wir legen sehr viel Wert auf eine moderne Software mit User Experience. Das heißt, die Bedienung soll sich natürlich anfühlen und selbsterklärend sein“, so Can Pinar. Das Ergebnis ist eine Cloud-basierte Web-Anwendung, die über eine eigens entwickelte App bedient wird. „Da wir auch großen Wert auf das Thema IT-Security legen, war es uns sehr wichtig, einen Cloudanbieter innerhalb Deutschlands zu wählen, über den die Nutzer ihre Daten in die Webplattform hochladen“, betont er.

Dank einer Förderung durch das Landesprogramm „Start-up BW“ konnte das Unternehmen bereits 2020 erstes Kapital einwerben. Inzwischen denken die Gründenden über eine erste große Seed-Finanzierung nach, die im Laufe des Jahres 2023 angegangen werden soll. Für die weitere Entwicklung des Unternehmens sieht das Team noch viel Potenzial: „Langfristig möchten wir die Plattform auch für andere Disziplinen innerhalb der Life Sciences erweitern. Die Auswertung von Proteomikanalysen, die mithilfe der Durchflusszytometrie durchgeführt werden, sind ebenso angedacht wie zum Beispiel Auswertungen im Rahmen der RNA-Sequenzierung“, sagt Can Pinar zu den weiteren Perspektiven.

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/bioinformatik-trifft-medizindiagnostik-und-wirkstoffentwicklung