Prävention als Schlüssel zur Gesundheit
Viele schwerwiegende Erkrankungen lassen sich durch einen gesundheitsbewussten Lebensstil und frühzeitige Diagnose verhindern oder zumindest abmildern. Eine wirksame Prävention erfordert allerdings gesamtheitliche Konzepte auf allen Ebenen der Gesundheitsversorgung sowie die Stärkung der individuellen Gesundheitskompetenz.
Nichtübertragbare, meist chronische Krankheiten (NCDs, Non-Communicable Diseases) sind weltweit die häufigste Ursache für Todesfälle und Behinderungen.1) Jeder fünfte Mann und jede zehnte Frau zwischen 30 und 69 Jahren stirbt in der europäischen Region der Weltgesundheitsorganisation WHO vorzeitig an einer Herzkreislauf-Erkrankung (HKE), Krebs, Diabetes oder einer chronischen Atemwegserkrankung. Rund 1,8 Mio. dieser Todesfälle könnten jährlich verhindert werden: entweder durch verringerte Exposition gegenüber Risikofaktoren sowie geeignete Präventionsmaßnahmen (60 Prozent) oder durch rechtzeitige Diagnose und hochwertige Versorgung (40 Prozent).
Die wirtschaftlichen Folgen der vermeidbaren Sterbefälle sind immens. Nach Angaben der WHO entstehen in der Europaregion allein durch die resultierenden Produktivitätsverluste jedes Jahr Kosten von mehr als 500 Mrd. US-Dollar.1) Dieser Betrag errechnet sich aus der Anzahl der verlorenen Lebensjahre multipliziert mit dem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf. Direkte medizinische Kosten sowie finanzielle Verluste durch krankheitsbedingte Fehlzeiten am Arbeitsplatz sind darin noch nicht enthalten. NCDs mindern nicht nur die Lebensqualität der Erkrankten, sondern belasten auch ihr soziales Umfeld. Denn mit fortschreitendem Krankheitsverlauf steigt der Bedarf an Unterstützung durch Angehörige sowie Freundinnen und Freunde und wirkt sich so auch negativ auf deren Gesundheit und Produktivität aus. Die Verringerung von NCDs zählt derzeit zu einer der größten gesundheitspolitischen Herausforderungen.
Prävention auf verschiedensten Ebenen
Symbolbild: Bewegung und Gemeinschaft sind für das Wohlbefinden unerlässlich. © Jannes Glas via UnsplahBereits vor über 200 Jahren empfahl der Arzt Prof. Dr. Christoph Wilhelm Hufeland (1762 - 1836) frische Luft, Körperhygiene, Bewegung, ausreichend Schlaf und eine maßvolle Lebensweise zur Krankheitsvorbeugung.2) Der ihm zugeschriebene Ausspruch „Vorbeugen ist besser als heilen“ bildet die Grundlage der Präventionsmedizin. Diese analysiert individuelle Risikofaktoren - neben der Ernährungs- und Lebensweise auch das soziale Umfeld sowie genetische Prädispositionen -, um gesundheitsförderndes Verhalten zu unterstützen.3)
Die Primärprävention soll Gesundheit erhalten bzw. Krankheiten vorbeugen und richtet sich an gesunde Personen. Typische Maßnahmen sind Ernährungs- und Bewegungsprogramme, Schutzimpfungen sowie Strategien zur Unfallverhütung. Die Sekundärprävention dient der Früherkennung von symptomlosen Erkrankungen, beispielsweise durch Krebsvorsorgeprogramme oder das Neugeborenen-Screening auf Stoffwechselerkrankungen. Außerdem zählen hierzu Ansätze, die die Verschlechterung einer diagnostizierten Krankheit verhindern. Im Rahmen der Tertiärprävention soll das Fortschreiten einer bestehenden Krankheit sowie Folgeerkrankungen vermieden werden, etwa durch Rehabilitation. Alle Präventionsbereiche erfordern die Aufmerksamkeit und das aktive Mitwirken jedes und jeder Einzelnen. Gesundheitsvorsorge ist kein feststehendes Maßnahmenpaket, sondern besteht aus zahlreichen Bausteinen, die je nach Lebenssituation individuell kombiniert und immer wieder angepasst werden müssen. Gesellschaft und Politik stehen dabei in der Verantwortung, geeignete Rahmenbedingungen und niederschwellige Angebote zu schaffen.
Das Präventionsgesetz: grundsätzlich richtig, aber verbesserungswürdig
Symbolbild: Regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen sind ein wichtiger Baustein der Gesundheitsprävention, um Risiken früh zu erkennen und Erkrankungen zu verhindern. © Immo Wegmann via UnsplashIm Jahr 2015 wurde das deutsche Präventionsgesetz (PrävG) erlassen. Es soll die Grundlagen für die Zusammenarbeit von Sozialversicherungsträgern, Ländern und Kommunen verbessern und so Prävention und Gesundheitsförderung für alle Altersgruppen und Lebensbereiche stärken.4) Neben Krankenkassen, die jährlich einen bestimmten Betrag pro Mitglied investieren müssen, sind auch Pflege-, Renten- und Unfallversicherungen verpflichtet, präventive Programme zu finanzieren. Hierzu zählen nicht nur Vorsorgeuntersuchungen und Bewegungsangebote, sondern auch Ernährungsberatung sowie Maßnahmen zur Stress- und Suchtbewältigung. In Kooperation mit Einrichtungen der Länder und Kommunen sollen Projekte zur Gesundheitsförderung direkt in Kindergärten, Schulen, Betrieben oder Pflegeeinrichtungen umgesetzt werden. Ziel ist es, frühzeitig ein Bewusstsein für gesunde Verhaltensweisen zu erzeugen und dieses nachhaltig in der Gesellschaft zu verankern. Gesundheitsfürsorge soll positiv besetzt und gesellschaftlich anerkannt werden.
Des Weiteren erhalten Arbeitgeber finanzielle und konzeptionelle Unterstützung beim Erschaffen eines gesunden Arbeitsumfelds, etwa durch ergonomische Arbeitsplätze, geringe Lärmbelastung oder ein gutes Raumklima. Firmen-Fitnessprogramme, entweder im Betrieb oder über geförderte Studiomitgliedschaften, werden zudem steuerlich begünstigt. Solche Angebote tragen zur Stressreduktion bei, steigern die Motivation und senken nachweislich den Krankenstand. Im Rahmen des PrävG werden Gesundheits- und Früherkennungsuntersuchungen kontinuierlich weiterentwickelt. Um einen Anreiz für ihre Versicherten zu schaffen, belohnen viele Krankenkassen die Teilnahme an präventiven Maßnahmen mit einer Prämie.
Zehn Jahre nach Inkrafttreten würdigt Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, das Gesetz als grundsätzlich richtig, sieht jedoch deutlichen Verbesserungsbedarf: Um häufige, behandlungsaufwendige Erkrankungen wie beispielsweise Diabetes, Depressionen oder Sucht effektiv zu verhindern, müsse insbesondere die Ärzteschaft umfassender eingebunden werden. Vor allem in Schulen und Kitas blieben überdies viele Chancen ungenutzt, die Gesundheitskompetenz von Kindern und Jugendlichen zu stärken.5)
Politik muss Rahmenbedingungen ändern
Der Abteilungsleiter Prävention im AOK-Bundesverband, Oliver Huizinga, bemängelt ebenfalls viel ungenutztes Präventionspotenzial in Deutschland.6) Er fordert von der Bundesregierung: „Wir müssen die Rahmenbedingungen so gestalten, dass es schwieriger wird, sich ungesund zu verhalten.“ Im Nanny State Index 2025, der staatliche Regulierungen in Bezug auf die schädlichen Genussmittel Alkohol, Nikotin und Softdrinks untersucht, belegt Deutschland weiterhin den letzten Platz innerhalb der EU.7) Hierzulande existieren also die wenigsten Vorschriften, Verbote und Steuern und damit der geringste staatliche Schutz vor ungesundem Konsum.
Gesunde, ausgewogene Ernährung ist ein wichtiger Teil der Primärprävention. © Taylor Kiser via UnsplashAuch die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) beklagt mangelnden politischen Willen bei der Verhältnisprävention, also dem Schaffen äußerer Bedingungen zur Gesundheitsförderung.8) Mehr als die Hälfte der Deutschen sei übergewichtig, jeder Fünfte sogar adipös. Adipositas könnte laut einer Prognose der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bis 2050 rund elf Prozent der Gesundheitsausgaben verursachen. Trotz jährlicher Kosten von rund 30 Mrd. Euro durch mehr als neun Mio. Diabetiker fehlten evidenzbasierte Maßnahmen wie eine Zuckersteuer, Werbebeschränkungen für ungesunde Kinderprodukte, mehr Bewegungsangebote in Kitas und Schulen oder eine verpflichtende Nutri-Score-Kennzeichnung. In anderen Ländern zeigten solche Ansätze bereits Wirkung.
Eine Studie der DANK zusammen mit den Münchner Universitäten LMU und TU aus dem Jahr 2023 zeigt, dass die seit 2018 bestehende Selbstverpflichtung der Getränkeindustrie, den Zuckergehalt von Softdrinks zwischen 2015 und 2025 um 15 Prozent zu senken, deutlich hinter den Zielen zurückbleibt.9) Daher simulierten Forschende um den Gesundheitsökonomen Prof. Dr. Michael Laxy den Effekt einer Softdrink-Steuer in Deutschland.10) In allen Varianten wäre der Zuckerkonsum geringer und Typ-2-Diabetes, Übergewicht und HKE wären seltener. Je nach Steuermodell seien volkswirtschaftliche Einsparungen von bis zu 16 Mrd. Euro innerhalb von 20 Jahren möglich. Laxy betont, dass Verhältnisprävention deutlich kosteneffektiver sei als individuelle Verhaltensänderungen.11) Zukünftig muss die Verhältnisprävention stärker in den Fokus der Gesundheitspolitik rücken. Neben der Regulierung von Lebensmittelinhaltsstoffen, Alkohol- und Tabakkonsum zählen auch Lärm- und Hitzeschutzmaßnahmen im öffentlichen Raum sowie die Reduktion der Luftverschmutzung dazu.
Vorsorge wirkt
Die Politik kann geeignete Rahmenbedingungen schaffen, doch letztendlich ist jede und jeder Einzelne verantwortlich für seine Lebensweise. Rund zwei Drittel der NCD-Sterbefälle lassen sich auf eine Handvoll vermeidbarer Risikofaktoren zurückführen, wie Zigaretten- und Alkoholkonsum, ungesunde Ernährung, Bewegungsmangel sowie Übergewicht.1) All diese Faktoren sind individuell beeinflussbar, und es ist nie zu spät, den Lebensstil zu ändern. Wer etwa zwischen dem 25. und 34. Lebensjahr mit dem Rauchen aufhört, hat nahezu die gleiche Lebenserwartung wie lebenslange Nichtrauchende.12) Selbst in höherem Alter verbessert ein Rauchstopp die Überlebensrate deutlich. Denn der Tabakkonsum schädigt nicht nur Lunge und Atemwege, sondern erhöht zudem das Risiko für Krebs sowie HKE signifikant.
Laut der Präventionsforscherin Prof. Dr. Stefanie Klug (TU München) ließen sich rund 50 Prozent der Krebserkrankungen und bis zu 70 Prozent der HKE durch Prävention vermeiden.11) Vorsorgeprogramme werden allerdings kaum genutzt. Eine Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums DKFZ zeigt, dass bis zum 55. Lebensjahr 77,1 Prozent der Männer und 44,5 Prozent der Frauen noch keinen Stuhltest zur Darmkrebsfrüherkennung durchgeführt haben.13) Um das Potenzial von Vorsorgeuntersuchungen besser auszuschöpfen, fordert Klug daher Veränderungen in der Vorgehensweise. Einladungen sollten bereits einen konkreten Terminvorschlag enthalten und Hausärzte mehr eingebunden werden. In anderen Ländern konnten so die Teilnahmeraten deutlich gesteigert werden.11) Der Nutzen von Vorsorgeuntersuchungen ist wissenschaftlich hinreichend belegt: Eine aktuelle Studie zeigt, dass die Brustkrebssterblichkeit bei Frauen, die zwischen 2009 und 2018 am Mammografie-Screening teilnahmen, um 20 bis 30 Prozent sank.14) Die Gebärmutterhalskrebs-Vorsorge mittels Pap-Abstrichs ist sogar noch effektiver: Von 1.000 Frauen erkranken statt 30 weniger als eine, da bereits Vorstufen erkannt werden können.15) Mit der Impfung gegen Humane Papillomviren (HPV) für Mädchen und Jungen im Jugendalter ist erstmals ein wirksamer Schutz vor krebsauslösenden Viren verfügbar.16) In der Zahnmedizin sind präventive Maßnahmen ebenfalls sehr erfolgreich. Seit 1989 hat sich dadurch die Zahngesundheit in allen Altersgruppen signifikant verbessert.17)
Präventiver Lebensstil
So lässt sich das individuelle Risiko deutlich reduzieren, an NCDs zu erkranken:11)
Nicht rauchen
Gesunde Ernährung mit Früchten, Gemüse und Nüssen sowie wenig Salz (< 6 g pro Tag), Zucker und rotem Fleisch
Genügend Schlaf (7 - 8 Stunden täglich)
Wenig Stress
Ausreichende Bewegung: Die WHO empfiehlt mindestens 150 – 300 Minuten körperliche Aktivität mittlerer Intensität oder 75 – 150 Minuten hoher Intensität pro Woche. Muskelkräftigender Sport an 2 - 3 Tagen bringt zusätzlichen Nutzen.
Ausreichende Flüssigkeitszufuhr: Frauen sollten täglich insgesamt 2 l Wasser aufnehmen, Männer 2,5 l. Etwa 20 Prozent sind in fester Nahrung enthalten.
Vermeidung von Giftexpositionen, insbesondere Alkohol
Ausreichender Sonnenschutz
Prävention zahlt sich wirtschaftlich aus
Nur etwa drei Prozent der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) entfielen im Jahr 2023 auf Prävention.18) Noch immer ist die Gesundheitsversorgung hierzulande vor allem auf die Behandlung von Erkrankungen ausgerichtet. Die stetig steigenden Kosten erfordern allerdings ein Umdenken. Prävention sollte kein Zusatzangebot sein, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, fordert der Verband der forschenden Pharmaunternehmen (vfa).19) Resortübergreifendes Handeln, niederschwellige Angebote und eine leistungsgerechte Finanzierung seien notwendig. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) wünscht sich zudem in Hausarztpraxen mehr Zeit für Prävention sowie Entlastung von Bürokratie.11) Der wirtschaftliche Nutzen von Präventionsmaßnahmen lässt sich nur schwer bestimmen, da die Einsparungen oft indirekt entstehen und sich erst langfristig bemerkbar machen. Nach Berechnungen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) beträgt der Return on Prevention allein bei betrieblichen Maßnahmen mindestens 2,2. Das heißt, jeder investierte Euro zahlt sich mit mehr als dem doppelten Nutzen aus.20)
Baden-Württemberg zeigt Einsatz
Die Präventivmedizin gewinnt in der Gesundheitsbranche immer mehr an Bedeutung und eröffnet neue Perspektiven für innovative, interdisziplinäre Geschäftsmodelle. In Baden-Württemberg entwickeln Unternehmen und Forschungseinrichtungen beispielsweise neuartige Impfstoffe, identifizieren Biomarker zur Krankheitsprognose oder nutzen Künstliche Intelligenz für die frühzeitige Diagnose von Hautkrebs oder Sepsis.21) - 25)
Im Rahmen der Tertiärprävention entstehen zunehmend personalisierte Ansätze, die das Fortschreiten von Krankheiten verlangsamen sollen. Auch praktische Hilfsmittel für den Alltag werden erprobt, etwa eine gleichgewichtsfördernde Brille zur Sturzprävention.26) Des Weiteren kommen zunehmend Smartphone-basierte Systeme zum Einsatz, wie die App tala-med Cardio zur Vorbeugung von HKE.27) Diese ist leicht verständlich, in sechs Sprachen verfügbar und somit für eine breite Zielgruppe geeignet. tala-med Cardio wurde im Rahmen der Arbeitsgruppe Hausärztliche Versorgung des Kompetenznetzwerks Präventivmedizin BW entwickelt, zu dem sich die fünf medizinischen Fakultäten in Baden-Württemberg zusammengeschlossen haben.28) Es verknüpft die Akteure auf dem Gebiet der Prävention und erleichtert fachübergreifende Lösungen. Der internationale Wissenstransfer wird von BioLAGO unterstützt, dem grenzüberschreitenden Gesundheitsnetzwerk der Vierländerregion Bodensee.29)
Seit 2009 fördert zudem die Stiftung für gesundheitliche Prävention BW niedrigschwellige Programme und Initiativen, die die Gesundheitskompetenz insbesondere von vulnerablen Bevölkerungsgruppen stärken.30) Mit der im September 2025 gegründeten Präventionsallianz BW will die Landesregierung die Gesundheitsvorsorge und -kompetenz weiter verbessern, denn wirksame Prävention erfordert ein gesamtheitliches Konzept.31)