zum Inhalt springen
Schwerhörigkeit

Innovativer Mikrolautsprecher bringt das Gehör zurück

Schwerhörigkeit schränkt das Leben der Betroffenen oft stark ein und lässt sich mit gängigen Hörgeräten nur zum Teil beheben. Die neuartige Hörhilfe der Vibrosonic GmbH aus Mannheim überträgt Tonschwingungen direkt aufs Trommelfell und kann dadurch das natürliche Hörerlebnis nahezu vollständig wiederherstellen.

Hören ist die akustische Wahrnehmung von Schall und findet bei Säugetieren mithilfe des Ohrs statt. Über das Gehör nehmen wir nicht nur Sprache und Umweltgeräusche wahr, sondern es erleichtert uns auch die Orientierung im Raum. Unser Ohr schläft nie, sodass wir herannahende Gefahren frühzeitig erkennen. Ist das Hörvermögen beispielsweise durch Lärm, Erkrankungen oder Alterungsprozesse geschädigt, kann dies die Kommunikation der Betroffenen mit ihrer Umwelt so stark beeinträchtigen, dass sie sich völlig zurückziehen. Zudem steigt das Unfallrisiko aufgrund der verringerten Orientierungsfähigkeit. Gängige Hörgeräte können gute Abhilfe schaffen, sind aber relativ anfällig für Störgeräusche und besitzen deutliche Einschränkungen bei der Verstärkung von sehr hohen und sehr tiefen Tönen. Die Vibrosonic GmbH aus Mannheim nutzt eine neuartige Technologie und erreicht damit eine nahezu natürliche Klangqualität.

Das menschliche Ohr besteht aus drei Bereichen: Zum Außenohr gehören alle sichtbaren Teile und der äußere Gehörgang bis zum Trommelfell. Das nachfolgende Mittelohr umfasst die Paukenhöhle mit den Gehörknöchelchen Hammer, Amboss und Steigbügel, die als Eustachische Röhre bezeichnete Verbindung zum Nasen-Rachen-Raum sowie die Membranen des runden und ovalen Fensters, die die Begrenzung zum Innenohr bilden. Hier befindet sich die Schnecke (Cochlea), das eigentliche Hörorgan. Die von der Ohrmuschel aufgefangenen Schallwellen gelangen durch den Gehörgang zum Trommelfell, das dadurch in Schwingung gerät. Diese Vibrationen werden im Mittelohr verstärkt und über die Membran des ovalen Fensters an die Hörschnecke weitergegeben. In ihr findet die Umwandlung der Schallwellen in elektrische Impulse statt, die dann über den Hörnerv zum Gehirn gelangen.

Die Hörkontaktlinse® sitzt direkt auf dem Trommelfell

Darstellung eines Ohrs mit eingezeichneter Hörhilfe.
Die Hörlösung Vibrosonic® alpha besteht aus dem in eine Silikonform eingebetteten und auf dem Trommelfell aufliegenden linsenförmigen Mikrolautsprecher (vergrößerte Ansicht rechts), dem fest über ein Kabel verbundenen Gehörgangsmodul sowie der über einen magnetischen Stecker angeschlossenen HdO-Einheit. © Vibrosonic GmbH

Konventionelle Hörgeräte enthalten ein Mikrofon, das entweder hinter dem Ohr (HdO-Gerät, offene Versorgung) oder am Eingang des Gehörgangs (IdO-Gerät, geschlossene Versorgung) sitzt, sowie einen kleinen Lautsprecher, der sich im Gehörgang befindet. Da allerdings zwischen Lautsprecher und Trommelfell immer ein kleiner Hohlraum vorhanden ist, können akustische Verzerrungen auftreten, die die Klangqualität beeinflussen.

Bei der Hörlösung von Vibrosonic hingegen liegt der Lautsprecher, die sogenannte Hörkontaktlinse®, direkt auf dem Trommelfell. Hierbei handelt es sich um einen piezoelektrischen Aktor, der elektrische Signale in Membranschwingungen umsetzt. „Durch die direkte mechanische Ankopplung erzeugen wir den Klang dort, wo das natürliche Hören stattfindet, direkt auf dem Trommelfell, und können dadurch eine bessere Klangqualität und auch ein breitbandigeres Hörerlebnis garantieren“, erläutert Dr. Dominik Kaltenbacher, Mitbegründer und CEO der Vibrosonic GmbH, in einem Podcast.1) Die neuartige Hörhilfe kann Töne im Frequenzbereich von unter 80 Hz bis deutlich über 12 kHz verstärken, was fast dem gesamten menschlichen Hörbereich entspricht. Im Vergleich zu anderen Systemen, deren Frequenzbreite deutlich geringer ist, steigert dies den Hörkomfort enorm. Denn tiefe Töne sind beispielsweise wichtig für den satten Klang von Musik, wohingegen die hohen Töne den Charakter einer Stimme ausmachen.

Erfolgreiche Fraunhofer-Ausgründung

Die zugrundeliegende Membrantechnologie wurde von Dr. Dominik Kaltenbacher und Dr. Jonathan Schächtele am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Mannheim zusammen mit Dr. Ernst Dahlhoff von der Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde in Tübingen entwickelt und war ursprünglich für implantierbare Hörlösungen gedacht. Nachdem die drei Ingenieure die Ähnlichkeit mit dem menschlichen Trommelfell realisierten, konstruierten sie den neuartigen Aktor und gründeten 2016 mit Unterstützung von Fraunhofer Venture die Vibrosonic GmbH. Das seit Mai 2021 zugelassene Produkt Vibrosonic alpha® ist für Menschen mit leichter bis mittlerer Schwerhörigkeit geeignet. Es besteht aus insgesamt drei Komponenten: dem speziellen Mikrolautsprecher in Form der Hörkontaktlinse®, einem Gehörgangsmodul und der HdO-Einheit, die das Mikrofon sowie die Signalverarbeitungstechnologie und Batterie beherbergt.

Drei junge Männer im Hemd stehen vor einer Betonwand und lächeln freundlich in die Kamera.
Die drei Ingenieure Dr. Jonathan Schächtele, Dr. Ernst Dahlhoff und Dr. Dominik Kaltenbacher (von links nach rechts) entwickelten gemeinsam die neuartige Hörkontaktlinse® und gründeten die Vibrosonic GmbH. © Vibrosonic GmbH

Um eine optimale Verbesserung der Hörleistung zu erzielen, erhält jeder bzw. jede Erkrankte eine individuelle Hörhilfe. Nach einem Scan des Trommelfells wird eine passende Silikonform angefertigt, in die der Aktor eingebettet ist. Geschulte HNO-Ärztinnen und -Ärzte setzen das Gerät ein und richten es aus. Das mit einem Kabel fest verbundene Gehörgangsmodul wird dabei ebenfalls in den Gehörgang eingebracht. Hierbei handelt es sich um eine magnetische Steckverbindung, an die die hinter dem Ohr befindliche Elektronikeinheit angeschlossen wird. Aufgrund von Adhäsionskräften haftet die Linse stabil auf dem Trommelfell, und der Gehörgang muss nur beim Schwimmen oder Baden durch einen Ohrstöpsel verschlossen werden.

Für Menschen, die häufig an Infektionen des Mittelohrs leiden, oder deren Gehörgang eine ungewöhnliche Form hat, ist das Produkt allerdings nicht geeignet. Gleiches gilt für Personen, die sich regelmäßig einer Magnetresonanztomographie (MRT) unterziehen müssen, da der Lautsprecher vor jeder Untersuchung von einer Ärztin oder einem Arzt entfernt werden müsste.

Miniaturisierte Technik als Ziel

Bei Vibrosonic alpha® handelt es sich vorrangig um einen Technologiedemonstrator, der der Markterschließung dient. Im Rahmen einer PMCF- (Post-Market Clinical Follow-up) Studie in Zusammenarbeit mit den Universitätskliniken Mannheim und Tübingen wird dieses Modell seit Anfang 2022 von 20 Probandinnen und Probanden getestet, um die Qualität der Hörlösung zu belegen sowie ihre Handhabung und Verträglichkeit zu untersuchen. Gleichzeitig erfolgt der Aufbau eines Versorgungsnetzwerkes aus zertifizierten niedergelassenen HNO-Ärztinnen und -Ärzten sowie Hörakustikerinnen und -akustikern. Der Focus des jungen Unternehmens liegt aber auf dem Modell der nächsten Generation: Vibrosonic one®. Hier wird der Aktor mit einer miniaturisierten Elektronikeinheit verbunden sein, sodass die komplette Hörhilfe im Gehörgang getragen werden kann. „Vibrosonic one® vereint die beiden Eigenschaften, die mit konventioneller Hörgerätetechnik nicht vereinbar sind: Wir haben auf der einen Seite die überragende Klangqualität der Hörkontaktlinse® und gleichzeitig ein von außen unsichtbares Elektronikmodul“, berichtet Kaltenbacher begeistert. Das neuartige Produkt soll 2024 eingeführt und dann auch durch die Krankenkassen bezuschusst werden.

Quellen:

1) https://www.fraunhofer.de/de/mediathek/podcasts/podcasts-2021/podcast-kontaktlinse-fuers-ohr.html

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/innovativer-mikrolautsprecher-bringt-das-gehoer-zurueck