Zellbasierte Lösung statt Tierversuch
Innovativer zellbasierter Test zur Arzneimittelprüfung auf Pyrogene
Der Nachweis, dass Arzneimittel keine mikrobiellen Kontaminationen und damit fieberauslösende Substanzen (Pyrogene) enthalten, wird auch heutzutage noch vielfach in Tierversuchen erbracht. InnoZell, ein Spin-off der Universität Konstanz, hat ein tierfreies humanzellbasiertes Verfahren entwickelt, das nicht nur schneller, sensitiver und zuverlässiger als gängige Tests ist, sondern sich auch an anwenderspezifische Bedürfnisse anpassen lässt.
Schon geringste Verunreinigungen in Arzneimitteln können schwerwiegende Folgen für die Gesundheit von Patientinnen und Patienten haben. Deshalb ist stets der Nachweis erforderlich, dass die Präparate frei von Neben- und Abbauprodukten sowie anderen unerwünschten Substanzen sind. Viele Artikel werden zudem sterilisiert, das heißt eventuell vorhandene Mikroorganismen werden durch Behandlung mit Hitze, Gas oder Strahlung abgetötet bzw. mittels Sterilfiltration entfernt.
(v.l.n.r.) Erik Sontowski, Dr. Ann-Kathrin Mix und Dr. Clovis Hugues Seumen T. haben als Team InnoZell das humanzellbasierte Testsystem CellAlarm zur Detektion von Pyrogenen entwickelt. © Jana Kaiser/WTT/ Universität KonstanzFür Parenteralia, also Arzneimittel, die unter Umgehung des Verdauungstraktes in den Körper gelangen, wie beispielsweise Impfstoffe oder Infusionslösungen, gelten allerdings noch strengere Vorschriften. Sie müssen nicht nur frei von vermehrungsfähigen Mikroorganismen sein, sondern dürfen auch keine fiebererzeugenden Stoffe enthalten, sogenannte Pyrogene. Hierbei handelt es sich zumeist um spezielle hitzestabile Bestandteile der äußeren Zellmembran von gram-negativen Bakterien. Diese als Endotoxine bezeichneten Verbindungen werden von lebenden Bakterien abgegeben, beziehungsweise beim Absterben während des Sterilisationsprozesses freigesetzt. Aber auch andere Komponenten von Bakterien, Viren oder Pilzen und sogar nicht-biologische Stoffe wie kleine Kunststoffteilchen können bereits in geringen Mengen lebensbedrohliches Fieber auslösen.
„Immer noch werden beim Test auf Pyrogene in großem Umfang Kaninchen eingesetzt“, schildert Dr. Clovis Hugues Seumen Tiogang vom Spin-off InnoZell der Universität Konstanz. „Jährlich sterben deshalb weltweit etwa 400.000 Kaninchen. Wir haben jetzt eine humanzellbasierte Alternative entwickelt, die wesentlich schneller und zudem sensitiver Pyrogene aufspüren kann.“
Tierbasierte Pyrogentests sind Standard
Der seit den 1940er Jahren durchgeführte Rabbit Pyrogen Test (RPT) zählt bisher zu den regulatorischen Tierversuchen im Rahmen der Arzneimittelprüfung.1) Nur wenn es nach Injektion des zu untersuchenden Präparates bei den Kaninchen nicht zu einer Erhöhung der Körpertemperatur kommt, darf dieses verwendet werden. Prinzipiell kann so eine Vielzahl an Pyrogenen erfasst werden, obwohl die Tiere nicht immer genauso stark reagieren wie Menschen.
Auch der in den 1960ern entwickelte Limulus-Amöbozyten-Lysat- (LAL)-Test ist tierbasiert. Er nutzt die Blutkörperchen (Amöbozyten) des Pfeilschwanzkrebses in einem In- vitro-Untersuchungssystem. Etwa 10 bis 30 Prozent der 550.000 jährlich verwendeten Tiere überleben die Blutabnahme nicht.2) Zudem hat der LAL-Test den Nachteil, dass er – genauso wie die seit 2021 zugelassene Alternative mit rekombinanten Proteinen, der rFC-(rekombinanter-Faktor-C-)Test - nur auf Endotoxine reagiert; dies allerdings deutlich empfindlicher als der RPT.
Eine weitere Alternative zum RPT ist der 2010 ins Europäische Arzneibuch aufgenommene Monozyten-Aktivierungstest (MAT), der in vitro die humane Immunreaktion auf Pyrogene simuliert. Er nutzt menschliches Vollblut und kann sowohl Endotoxine als auch andere Pyrogene detektieren. Nach Kontakt mit einer fiebererzeugenden Substanz setzen spezielle Immunzellen im Blut, die Monozyten, entzündungsfördernde Botenstoffe (Zytokine) frei, die dann in einer nachgeschalteten Analyse bestimmt werden können.
CellAlarm von InnoZell ist schneller und sensitiver
Während seiner Doktorarbeit beschäftigte sich Seumen Tiogang mit negativen Regulationsmechanismen der angeborenen Immunantwort. Um die Reaktion von Immunzellen nach Kontakt mit Mikroorganismen besser untersuchen zu können, veränderte er in einer gängigen Monozyten-Zelllinie – die unter anderem auch für MATs genutzt wird - verschiedene Signalwege und brachte zudem ein neues blau fluoreszierendes Reporterprotein ein.3) Der Biochemiker erläutert: „Die Modifikationen bewirken, dass wir jetzt innerhalb von drei statt 16 Stunden sehen, wie die Zellen auf die Anwesenheit von Pyrogenen reagieren. Dabei kann die Stärke der Reaktion direkt anhand der blauen Fluoreszenz abgelesen werden. Das heißt, es wird kein weiterer Analyseschritt benötigt. Außerdem ist das System deutlich sensitiver als die Ursprungszelllinie.“
Der Doktorvater des jungen Wissenschaftlers, Prof. Dr. Christof Hauck, erkannte das große Potenzial des Projekts in Bezug auf tierversuchsfreie Arzneimitteltestungen und regte 2022 die Bewerbung bei Kilometer1 – der Start-up-Initiative der Konstanzer Hochschulen an. Seumen Tiogang holte sich dafür Unterstützung durch seinen Kollegen Erik Sontowski, und die beiden gewannen mit ihrem Produkt CellAlarm im selben Jahr in der Kategorie Science Innovation den Kilometer1 Award.
2023 stieß die Biologin Dr. Ann-Kathrin Mix zum Team, das demnächst die Ausgründung wagen will. Gemeinsam erhielten sie eine Finanzierung über die Exzellenzstrategie der Universität Konstanz, um das Produkt weiterzuentwickeln. Zudem wurden die drei im Sommer 2024 mit dem Sonderforschungspreis des gemeinnützigen Vereins Unternehmer:innen für Gründer:innen (UfG e.V.) ausgezeichnet, der sich der Förderung unternehmerischer Innovation in der Region Konstanz verschrieben hat. Neben der finanziellen Unterstützung profitierten die Forschenden vor allem auch vom begleitenden Business Mentoring im Rahmen der Wettbewerbe sowie vom Austausch innerhalb des Konstanzer Start-up-Netzwerks Kilometer1.
Individuelle Lösungen für Anwendende
In der bis Herbst 2025 durch das „GO-Bio initial“-Programm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Sondierungsphase wird nun der Transfer in die Wirtschaft vorangetrieben. „In den letzten zwei Jahren haben wir weitere Modifikationen an der Zelllinie vorgenommen, sodass sie vielfältig nutzbar ist“, führt Mix aus. „Inzwischen besitzen wir eine Plattform, mit der wir unterschiedliche anwenderspezifische Bedürfnisse erfüllen können.“ Ein Patent für die innovative Entwicklung ist bereits beantragt.
Die Entscheidung, welche Angebote zukünftig im Vordergrund stehen sollen, wurde nach einer Marktanalyse gefällt. Sontowski berichtet: „Unsere Kernkompetenz liegt derzeit in der Forschung und Entwicklung. Kurzfristig konzentrieren wir uns auf die Produktentwicklung und den Transfer für die In-House-Nutzung durch Kunden. In enger Zusammenarbeit mit den Nutzern werden wir unsere hochleistungsfähige CellAlarm-Plattform kontinuierlich an die Bedürfnisse anpassen.“
Kaninchen-Tests nur noch bis Ende 2026 erlaubt
Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme der Hochleistungs-CellAlarm-Zellen. © Michael Laumann/EMC/Universität KonstanzNeue tierfreie Testverfahren sind dringend erforderlich. Basierend auf der EU-Richtlinie 2010/63/EU wird der RPT zum Schutz der Kaninchen ab 2026 aus dem Europäischen Arzneibuch gestrichen und darf nicht mehr in der medizinischen Qualitätskontrolle verwendet werden.4) Gleichzeitig nimmt die Zahl der parenteral verabreichten Biopharmazeutika wie therapeutische Antikörper, Enzyme, Hormone oder auch Impfstoffe aber immer mehr zu.
Die Wissenschaftlerin verdeutlicht: „Im Vergleich zum Kaninchentest und derzeitigen Alternativen ist unser All-in-one-Produkt nicht nur sensitiver, schneller und verlässlicher, sondern auch wirtschaftlicher. Tierhaltung ist sehr kostenintensiv, und auch die zweistufigen MATs erfordern mehr Zeit und Personal.“ „Vor allem aber ist CellAlarm humanrelevanter, denn auf einige für den Menschen gefährliche Pyrogene reagieren die Kaninchen nur unzureichend“, ergänzt Seumen Tiogang.
Derzeit ist das Team von InnoZell auf der Suche nach industriellen Kooperationspartnern, um mit ihnen den Proof of Concept zu erbringen. Da das Testsystem sehr vielseitig ist, erfordert jede Anwendung eine separate Validierung. In verschiedenen Projekten soll CellAlarm deshalb anhand realer Proben mit gängigen Pyrogennachweisen verglichen werden. Für diese Phase wurde gemeinsam mit der Universität Konstanz bereits eine Anschlussfinanzierung beantragt. „Die weitere Unterstützung durch die Uni ist sehr wichtig für uns“, betont Sontowski. „Dort bekommen wir wissenschaftlichen Input und dürfen außerdem die Labore nutzen.“ Wenn auch er Ende des Jahres seine Doktorarbeit beendet hat, können alle drei Teammitglieder das Projekt in Vollzeit voranbringen. Sobald genügend relevante Validierungsdaten vorliegen, wird InnoZell gegründet, um das innovative Testverfahren zeitnah für den Markt zugänglich zu machen.