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Detektion von tumorzelleigener Arzneimittelresistenz

KI-gestützte Diagnostik sagt Lungenkrebs den Kampf an

Lungenkrebs zählt in Deutschland zu den häufigsten Krebserkrankungen und weist gleichzeitig eine besonders hohe Sterberate auf. Das liegt unter anderem daran, dass bei Lungentumoren häufig eine Arzneimittelresistenz vorliegt, die den Erfolg einer Chemotherapie verhindert. Ein Team aus baden-württembergischen Expertinnen und Experten, bestehend aus Klinikvertretenden, Forschenden und Industriepartnern, hat sich deshalb im Rahmen eines vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderten Projekts zusammengeschlossen, um ein neuartiges KI-gestütztes Testverfahren zu entwickeln, das in Zukunft individualisierte Therapieansätze bei Lungenkrebs erlauben soll.

Laut dem Robert Koch-Institut wurde allein in Deutschland im Jahr 2018 bei 35.300 Männern und 21.900 Frauen Lungenkrebs diagnostiziert (Anzahl der Neuerkrankungen).1) Fünf Jahre nach der Erstdiagnose waren davon nur noch rund 22 Prozent der Frauen und 17 Prozent der Männer am Leben. Dies zeigt deutlich, dass ein großer Bedarf an neuen diagnostischen Ansätzen vorliegt, die den besonderen Herausforderungen eines Lungenkarzinoms Rechnung tragen. „Die häufigste Art von Lungenkrebs ist das sogenannte nicht-kleinzellige Bronchialkarzinom (non small cell lung carcinoma, NSCLC), das die häufigste Todesursache unter den Krebserkrankungen darstellt. Gleichzeitig weist das NSCLC eine hohe Tendenz zu einer tumorzelleigenen Arzneimittelresistenz auf. Das heißt, dass die in der Klink eingesetzten Chemotherapeutika hier häufig nicht die gewünschte Wirkung zeigen“, erklärt Dr. Martin Kriebel vom NMI, Naturwissenschaftliches und Medizinisches Institut in Reutlingen. Er ist Molekular- und Neurobiologe und als Projektleiter am NMI tätig. Gemeinsam mit dem Team von Sergey Biniaminov, Geschäftsführer des KI-Unternehmens HS Analysis aus Karlsruhe, und dem Schwarzwald-Baar Klinikum in Villingen-Schwenningen entwickelt er deshalb im Rahmen des Förderprojekts IDOL ein innovatives KI-basiertes Testverfahren, das in Zukunft die Vorhersage von Resistenzen erlauben soll. Das Projektakronym IDOL steht für „KI basierte Diagnostik des Lungenkarzinoms zur Unterstützung personalisierter Therapieentscheidungen“.

Das Bild zeigt eine Ärztin und eine Pflegefachkraft des Schwarzwald-Baar-Klinikums, die mit einer Patientin sprechen.
Das innovative KI-gestützte Testsystem soll Ärztinnen und Ärzten in Zukunft bei der Wahl der bestmöglichen individuellen Therapie unterstützen. © Schwarzwald-Baar Klinikum

Bisher existiert noch kein klassischer Labortest, der eine tumorzelleigene Arzneimittelresistenz bei Lungenkrebs nachweisen kann. „Das Projekt will dem eine neue KI-gestützte Entwicklung entgegensetzen, die dann von der HS Analysis GmbH vertrieben wird“, erklärt Biniaminov. Da eine Chemotherapie unangenehm ist und Patientinnen und Patienten sehr viel abverlangt, ist es wichtig, dass absehbar ist, ob die Therapie Erfolgsaussichten hat, oder ob andere Therapieversuche anzuwenden sind. „Mit dem Projekt IDOL wollen wir in Zukunft eine sichere Entscheidungshilfe für behandelnde Ärztinnen und Ärzte schaffen“, ergänzt Kriebel.

Das Vorhaben wird für zwei Jahre im ZIM-Programm (Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand) des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz mit 400.000 Euro gefördert. „Durch den Austausch im Gesundheitsnetzwerk BioLAGO e.V. konnte die initiale Projektidee zielgerichtet entwickelt werden. BioLAGO hat den Kontakt zum NMI und zum Schwarzwald-Baar Klinikum für uns hergestellt – ein entscheidender Schritt für die notwendige Erprobung des Testverfahrens an entsprechenden Gewebeproben von Patienten“, so Biniaminov weiter.

Erste Projekterfolge: Positive In-vitro-Daten liegen vor

Denn in dem 2021 gestarteten Projekt übernimmt das Schwarzwald-Baar Klinikum die Rekrutierung und Klassifizierung betroffener Patentinnen und Patienten und stellt Probenmaterial aus dem Gewebe von Tumoren bereit, die dem NSCLC zuzuordnen sind. Anhand dieser Proben wird das NMI ein kombiniertes histologisches Verfahren zur Detektion einer Arzneimittelresistenz bei Lungenkrebs erproben.

Die Funktionsweise dieses Verfahrens stützt sich auf den Nachweis der Aktivität eines spezifischen molekularen Signalwegs. Dieser wird beim NSCLC als besonders aktiv beschreiben und bewirkt, dass der Erfolg einer Chemotherapie aufgrund einer Arzneimittelresistenz verhindert wird. Mithilfe von diagnostischen Biomarkern wird am NMI ein sensitiver Nachweis des Aktivierungsstatus dieses Signalwegs entwickelt. Dabei werden unterschiedliche Parameter der Signalwegsaktivität adressiert, um die Aussagekraft des Testsystems sicherzustellen.

„Im ersten Projektjahr ist es uns am NMI bereits gelungen, das angestrebte Nachweisverfahren an Modellzelllinien zu etablieren. Es liegen uns damit erste positive In-vitro-Daten vor“, beschreibt Kriebel die aktuellen Erfolge aus dem Projekt IDOL. Diese In-vitro-Daten sind ein erster Beleg für die Funktionalität des Testverfahrens und sind somit Wegbereiter für die Anwendung des Nachweisverfahrens an relevantem histologischen Probenmaterial aus der Klinik.

KI-System unterstützt bei fundierter Therapieentscheidung

Das Bild zeigt Mikroskopaufnahmen von Modellzelllinien.
Im Nachweisverfahren wird der Aktivitätsstatus von Signalmolekülen sichtbar gemacht. © NMI

Das am NMI erarbeitete histologische Nachweisverfahren wird in einem nächsten Schritt von den KI-Experten der HS Analysis aufgenommen und in eine automatisierte KI-gestützte, quantitative Bildanalyse eingespeist. Ziel ist es, ein neuartiges Bild- und KI-basiertes Verfahren zu entwickeln, das komplexe biomedizinische Vorgänge auf Zellebene messbar macht. So analysiert die KI mikroskopische Aufnahmen von Zellen, auf denen die aktiven Signalwege angefärbt sind. Diese grafischen Daten werden ergänzt durch weitere medizinische Parameter zu Lungentumoren, die dann quantifiziert und zahlenbasiert aufbereitet werden. Sie bilden eine entscheidende Grundlage für das Deep Learning der KI. Dies ermöglicht die Erfassung und verständliche Auswertung großer und komplexer Datenmengen, die das Nachweisverfahren auf Dauer noch sicherer macht, wodurch Ärztinnen und Ärzte fundierte Therapieentscheidungen treffen können.

Vom Demonstrator zum fertigen Testsystem

„Der fertige Test soll eine Komplettlösung aus Reagenzien und Analysesoftware sein, die sich unkompliziert in bestehende Laborprozesse integrieren lässt“, erläutert Biniaminov. Dabei ist es den Projektpartnern wichtig, dass das zugrunde liegende Probenmaterial nicht gesondert für die Durchführung des neuen Tests gewonnen werden muss, sondern bereits als Ergebnis einer Gewebebiopsie und der nachfolgenden histologischen Aufarbeitung in Routinelaboren der Labordiagnostik vorliegt. Dies vereinfacht die Abläufe und soll den zusätzlichen Aufwand auf ein Minimum beschränken.

„Es ist unser Ziel, das neuartige Testsystem für so viele Lungenkrebspatientinnen und -patienten wie möglich verfügbar zu machen. Bis es so weit ist, ist es aber noch ein langer Weg“, sagt Kriebel abschließend. Zum Ende der Förderphase 2024 wollen die Projektpartner einen ersten Demonstrator entwickelt haben, der die zweifelsfreie Wirkungsweise des neuen KI-basierten Verfahrens belegt. Der nächste entscheidende Schritt wird dann die Überführung in den Markteintritt durch die HS Analysis GmbH sein, sodass das innovative Testsystem in Zukunft flächendeckend zum Einsatz kommen kann.

Referenzen:

1). Robert Koch Institut: Krebs in Deutschland für 2017/2018, S. 68
https://www.krebsdaten.de/Krebs/DE/Content/Publikationen/Krebs_in_Deutschland/kid_2021/krebs_in_deutschland_2021.pdf?__blob=publicationFile

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/ki-gestuetzte-diagnostik-sagt-lungenkrebs-den-kampf