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COVIC-19-Studie

Rekonvaleszentenplasma zur COVID-19-Therapie: Studie soll Klarheit bringen

Hilft es COVID-19-Erkrankten, wenn man sie mit den Antikörpern Genesener behandelt? Die Idee liegt nahe und wurde tausendfach erprobt. Belege zur klinischen Wirksamkeit der Therapie mit Rekonvaleszentenplasma (RKP) indes fehlen, weil die Daten aus Studien bisher nicht eindeutig und kaum vergleichbar sind. Diese Evidenzlücke schließen will der Ulmer Transfusionsmediziner Prof. Dr. Hubert Schrezenmeier mit einer zweiten Klinischen Studie.

Das vom Bund geförderte Projekt startet in diesen Tagen. Diese zweite, randomisierte, kontrollierte Klinische Studie (RCT) soll den methodisch bedingten Datenwirrwarr beenden und Klarheit über die klinische Wirksamkeit dieser therapeutischen Option im Kampf gegen die Pandemie schaffen.

Die Corona-Pandemie hat eine beispiellose Entwicklung von Therapeutika gegen COVID-19 (634 Projekte weltweit)1) in Gang gesetzt. Im Sommer 2021 hat die Bundesregierung nach mehreren Wachrufen ein 150-Mio.-Euro-Paket für die Entwicklung anwendungsnaher Therapeutika geschnürt.2) Gefördert werden nur solche Medikamente, die auch in ausreichender Menge produziert und klinisch eingesetzt werden –, was beim DRK-Blutspendedienst Baden-Württemberg – Hessen, einem der größten Verbünde der DRK-Blutspendedienste in Deutschland, mit großen Herstellungskapazitäten für Blutprodukte und Plasma gewährleistet ist.

Infobox: Was ist RKP?

Rekonvaleszentenplasma (RKP) ist Blutplasma von Personen, die eine in diesem Fall vom Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelöste Infektionskrankheit erfolgreich überstanden und eine Immunität gegen diesen Erreger entwickelt haben. RKP enthält Antikörper, welche den Erreger binden und neutralisieren und dadurch das Immunsystem bei der Infektionsbekämpfung unterstützen. RKP gilt als sicheres Therapeutikum, auch im Zusammenhang mit anderen COVID-19-Therapien, das zeigt der Blick in große Hämovigilanzdatenbanken. Das Prinzip der Plasmatherapie wurde Ende des 19. Jahrhunderts von Emil von Behring entdeckt und erfolgreich bei zahlreichen Infektionskrankheiten eingesetzt. RKP wird entweder durch eine Transfusion oder durch eine Injektion verabreicht. Blutplasma wird durch das etablierte Verfahren der Plasmapherese gewonnen.

Erste Studie liefert Hinweise für Folgestudie

Porträt eine Mannes mit Brille.
Prof. Dr. Hubert Schrezenmeier © DRK BW-Hessen / IKT Universität Ulm

Forscher um Prof. Dr. Hubert Schrezenmeier hatten die deutschlandweit erste Klinische Prüfung3) zu RKP durchgeführt. Verglichen wurde die RKP-Therapie mit bestmöglicher unterstützender Behandlung bei 105 schwer an COVID-19 erkrankten Patientinnen und Patienten. Zwar verfehlte die Studie ihre Ziele (verlängertes Überleben und klinische Verbesserung der Krankheitsschwere nach 21 Tagen in der Gesamtkohorte). Aber sie lieferte Hinweise auf einen Dosiseffekt: dass hochdosiertes RKP in einigen klinisch relevanten Punkten wirksam sein könnte, wenn hohe Konzentrationen neutralisierender Antikörper gegen das Virus im Plasma enthalten sind.

Die Nachfolgestudie COVIC-19 (Wirksamkeit einer frühen Transfusion von Rekonvaleszentenplasma mit sehr hohen Antikörperkonzentrationen bei vulnerablen Erkrankten mit COVID-19 als Modell für frühe Therapieoptionen bei pandemischen Situationen durch neue Krankheitserreger) versucht die klinische Wirksamkeit mit einer sehr frühen, hochdosierten Therapie bei einer ausgewählten, besonders vulnerablen Patientengruppe zu erbringen. Die Kontrollgruppe wird mit der bestmöglichen aktuellen Standardtherapie behandelt.

RKP früher und hochdosiert

Gegeben werden sollen nur sehr hoch dosierte Plasmen mit hohen Antikörpertitern, die in ihren Mindestkonzentrationen der SARS-CoV-2-Antikörper noch über die Hochdosisgruppe aus der ersten Studie hinausreichen. In der neuen Studie wird die Antikörperkonzentration im Plasma mindestens 10-fach höher sein als in der vorangegangenen CAPSID-Studie. RKP soll früh und bei stabilem klinischen Status gegeben werden, innerhalb von drei bis fünf Tagen nach Symptombeginn.4) Als Orientierung dient der ALAMA-Prognose-Score5), der zuverlässig das Risiko einer schweren COVID-19-Erkrankung ermittelt. Als zweite zu rekrutierende Gruppe kommen Personen in Betracht, die durch angeborene oder erworbene Erkrankung immunkomprimiert sind oder eine immunsupprimierende Therapie durchlaufen. Von dieser weiß man, sagt Schrezenmeier, dass sie eine schlechte Prognose haben und schlecht auf eine Impfung ansprechen.

Ziel der neuen Studie ist es, schweres COVID-19 bei diesen Hochrisikopatientinnen und -patienten zu verhindern. Verschlechtert sich der Zustand eines mit RKP behandelten Erkrankten nicht, wäre das ein Erfolg, erläutert der Ulmer Leiter des Instituts für Transfusionsmedizin und Immungenetik (IKT).

Schema zum Ablauf der klinischen Studie.
Ablaufschema der Klinischen Studie: (1) Rekrutierung von Spendenden (SARS-CoV-2-Virus negativ / virusspezifische Antikörper positiv), (2) Plasmapherese: Entnahme des Blutplasmas, (3) Rekonvaleszentenplasma: Analyse des Plasmas; (4) Entscheidung über Aufnahme in die Patientenstudie, (5) COVID-19-Patientinnen und -Patienten: Plasmatransfusion und Nachsorge (SARS-CoV-2-Virus positiv / virusspezifische Prüfung der Antikörper). © DRK BW-Hessen / IKT Universität Ulm

Wichtig ist geeignetes Spenderplasma

Entscheidende Bedeutung kommt der Auswahl geeigneten Spenderplasmas zu, das hochtitrig und ein immunologisch breites Spektrum von Antikörpern entwickelt haben soll. Prinzipiell sollen eingeschlossene Patientinnen und Patienten mit blutgruppenidentischem RKP versorgt werden. Auch die Blutgruppenverteilung in der Spenderpopulation soll in etwa der der Patientenpopulation entsprechen.

Die COVIC-19-Studie nutzt im 3. Pandemiejahr einen enormen Wissenszuwachs, der wichtig für ein besseres Verständnis der RKP-Therapie ist. So sind wichtige Grundlagen in Studien zur Entwicklung von Antikörpern nach der Impfung eingeflossen: Bestimmte Patientengruppen sprechen schlecht auf eine Impfung an und bedürfen therapeutischer Hilfe ungeachtet hoher Impfquoten. Studien haben gezeigt - da zeichnet sich nach Schrezenmeiers Beobachtung in der Wissenschaft ein Konsens ab –, dass die höchsten Antikörpertiter bei Menschen erreicht werden, welche doppelt immunisiert sind, d. h. sowohl eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus durchgemacht haben, als auch geimpft sind – egal in welcher Reihenfolge. Gerade diese Spenderpopulation der „Superimmunisierten“ mit sehr hohen Antikörperkonzentrationen wollen die Forschenden gewinnen.

Jetzt sind Virusvarianten Teil der Studie

Beutel mit einer gelblichen Flüssigkeit.
Blutplasma – seine typische gelbliche Farbe rührt daher, weil ihm die roten Blutkörperchen fehlen. © DRK BW-Hessen / IKT Universität Ulm

Varianten des Virus – aktuell die sich rasant ausbreitende namens Omikron – fordern die Forschung heraus. Die erste RKP-Studiengeneration im Frühjahr / Sommer 2020 kannte diese noch nicht. Es fehlte schlichtweg die Information, mit welchen Varianten des Virus die Erkrankten infiziert waren. Also war auch keine Aussage darüber möglich, ob die Wirksamkeit von RKP von der Virusvariante bei Spendendem oder Empfangendem abhängt. Zur neuen Studiengeneration gehört inzwischen eine Variantendiagnostik. Das IKT hat eine Reihe solcher Tests entwickelt, u. a. Ganzgenom-Sequenzierungen von SARS-CoV-2, und führt viele Untersuchungen durch, in Zusammenarbeit mit dem Institut für Molekulare Virologie des Universitätsklinikums Ulm auch Untersuchungen zur variantenspezifischen Neutralisation.

Das im Juni 2021 eingereichte Design der Klinischen Studie sieht nicht nur Begleituntersuchungen zur Charakterisierung der Antikörper und des Virus vor, sondern auch genaue Ausführungen zur Spendendenrekrutierung. Dank neuer Kontakte durch das koordinierende EU-Projekt SUPPORT-E (SUPPORTing high quality evaluation of Covid-19 convalescent Plasma throughout Europe)6) wird die Studie auch in zwei weiteren Ländern (Großbritannien und Frankreich) durchgeführt werden.

Anders als mono- und biklonale Antikörper, deren antivirale Wirkung vollständig verloren gehen kann, wenn Virusvarianten Resistenzen entwickeln, sind polyklonale Antikörper wie in RKP durch eine Kreuzneutralisation vor vollständigem Wirkungsverlust gefeit. Allenfalls eine graduelle Abschwächung sei bekannt, so Schrezenmeier, denn die Immunreaktion durch RKP beruhe auf einem Spektrum von Antikörpern mit leicht unterschiedlichen Epitopen. Eine Wirksamkeit des Plasmas von geimpften Rekonvaleszenten auch gegen die neue Omikron-Variante konnte von der Arbeitsgruppe aktuell gezeigt werden.7)

Großer Vorteil von RKP ist seine Flexibilität

Immunflucht kann auch bei RKP auftreten, wenn eine neue Variante so verschieden ist, dass RKP nicht mehr wirkt, weil es von mit einer anderen Variante infizierten Spendenden stammt. Gegenüber monoklonalen Antikörpern hat RKP nach Schrezenmeiers Überzeugung einen großen Vorteil: „Wir können sehr viel schneller reagieren und neue Rekonvaleszente, die mit der neuen Virusvariante infiziert waren, als Spendende motivieren. So kann man das RKP-System rasch anpassen, weil man immer wieder auf jeweils aktuelle Rekonvaleszente in der Bevölkerung zurückgreift, indem man die Immunität gegenüber den derzeit in der Bevölkerung zirkulierenden Varianten abgreift.“

Begleitende Variantendiagnostik soll untersuchen, inwieweit sich RKP-Therapien durch Berücksichtigung der Virusvarianten optimieren lassen. Dieses rasch adaptive RKP-System kann zum Modell für andere pandemische Situationen mit solchen viralen Erregern werden, wo die antikörperbasierte Abwehr relevant ist. COVIC-19 verfolgt also zwei Ziele: Einerseits zur Optimierung der COVID-19-Therapie beizutragen. Anderseits unter Ausnutzung aller bisherigen Lehren ein Modell für RKP-Therapien bei künftigen Pandemien zu entwickeln.

Literatur:

1) Therapeutische Medikamente gegen die Coronavirusinfektion Covid-19, 10.03.22, Verband forschender Arzneimittel: https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/woran-wir-forschen/therapeutische-medikamente-gegen-die-coronavirusinfektion-covid-19

2) BMBF: Spahn/Karliczek: Weiterer Schub zur Entwicklung und Herstellung von versorgungsnahen Arzneimitteln gegen COVID-19, 06.09.2021 Pressemitteilung: 179/2021, Förderung von Arzneimittelkandidaten gegen COVID-19 aus der Fördermaßnahme „Klinische Entwicklung von versorgungsnahen COVID-19-Arzneimitteln und deren Herstellungskapazitäten“ von BMG und BMBF. https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/pressemitteilungen/de/2021/09/060921-Arzneimittel.html (einschl. Pressekonferenz als Videostream).

3) Körper, S. … Schrezenmeier, H.: Results of the CAPSID randomized trial for high-dose convalescent plasma in patients with severe COVID-19, J Clin Invest. 2021, 15. Oct. 2021, https://doi.org/10.1172/JCI152264; Vgl. auch: https://www.clinicaltrialsregister.eu/ctr-search/trial/2020-001310-38/DE

4) Leopoldina (Hrsg.): 9. Ad-hoc-Stellungnahme – 10. November 2021, Antivirale Wirkstoffe gegen SARS-CoV-2: Aktueller Stand und Ansätze zur verbesserten Vorbereitung auf zukünftige Pandemien, S. 15: optimales Zeitfenster für die antivirale Therapie sind die Tage 4 bis 6 nach Symptombeginn. https://www.leopoldina.org/fileadmin/redaktion/Publikationen/Nationale_Empfehlungen/2021_Stellungnahme_Antivirale_Substanzen.pdf

5) ALAMA - Covid-19 Medical Risk Assessment, The Association of Local Authority Medical Advisors (ALAMA): https://alama.org.uk/covid-19-medical-risk-assessment/ (10.03.2022)

6) EU-Projekt SUPPORT-E - SUPPORTing high quality evaluation of Covid-19 convalescent Plasma throughout Europe: https://www.support-e.eu/

7) Seidel A. et al.: SARS-CoV-2 vaccination of convalescents boosts neutralization capacity against SARS-CoV-2 Delta and Omicron that can be predicted by anti-S antibody concentrations in serological assays. medRxiv 2022 Jan. https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2022.01.17.22269201v1

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