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Diagnosetool für Menschen mit Morbus Crohn und Colitis ulcerosa

Chronisch-entzündliche Darmerkrankung - per App den Alltag nachhaltig verbessern

Termine wahrnehmen? Den Alltag planen? Für Menschen mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) ist die Teilhabe am Leben durch plötzlich auftretende Symptome stark eingeschränkt. Das Start-up coreway hat es sich zum Ziel gesetzt, die Lebensqualität von CED-Betroffenen datenbasiert zu verbessern und zur Personalisierten Medizin beizutragen.

„Unheilbar krank“ – diese Diagnose klingt für viele Betroffene von CED zunächst niederschmetternd. Doch was bedeutet das konkret? Viele wünschen sich verlässliche Informationen – zu Ursachen, Hintergründen und hilfreichen Strategien im Umgang mit der Erkrankung. Denn klar ist: Der Alltag gestaltet sich für sie oft herausfordernd. Genau hier setzt coreway an: Das baden-württembergische Medtech-Start-up möchte Menschen mit CED ein besseres Leben ermöglichen.

650.000 Erkrankte in Deutschland: Wie sich eine CED bemerkbar macht

Bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa kommt es zu Entzündungen im Darm. Während Morbus Crohn jeden Abschnitt des Verdauungstrakts betreffen und alle Wandschichten durchdringen kann, ist Colitis ulcerosa meist auf die Schleimhäute des Dickdarms beschränkt.

Auch die Symptome unterscheiden sich leicht: Morbus-Crohn-Erkrankte leiden häufig unter chronischem Durchfall und rechtsseitigen Unterbauchschmerzen, während bei Colitis ulcerosa blutiger schleimiger Durchfall und linksseitige Bauchschmerzen typisch sind. Hauptursache ist eine genetische Prädisposition, bei der körpereigene Abwehrreaktionen gegen normale Darmbakterien ausgelöst werden. Aber auch Ernährung und Umwelteinflüsse können eine Rolle spielen.

Meist tritt eine CED vor dem 30. Lebensjahr auf. „Es ist wichtig, die Symptome zu dokumentieren und hartnäckig zu bleiben, damit die Ärzteschaft mit verlässlichen Diagnosemethoden eine CED ausschließen – oder eben feststellen kann“, sagt Hanna Schuler, eine der Gründerinnen von coreway. Mit 26 Jahren erhielt sie selbst die Diagnose, lag häufig mit Schüben und Bauchschmerzen im Bett. „In Deutschland leben etwa 650.000 Menschen mit einer CED. Ich wusste also: Du bist nicht allein. Umso dringlicher war für mich die Frage: Wie können wir mit dieser Unsicherheit im Alltag umgehen?“

CED managen und lindern – mit digitalem Tool

3 lächelnde junge Menschen: links steht eine junge Frau mit mittellangem, blonden Haar und beige-farbenen Pulli, in der Mitte ein junger Mann mit Bart und braunem Pulli, rechts eine junge Frau mit braunem, längerem, gelocktem Haar und heller Bluse mit beige-farbener Strickjacke)
Das Gründungsteam von coreway: Selina Hörig (li.), Philipp Emonds (Mitte) und Hanna Schuler (re.) entwickeln digitale Lösungen für Menschen mit CED. © coreway UG

Die Idee zu einer digitalen Lösung entstand im Sommer 2023 während ihres Masterstudiengangs Gesundheitsförderung und Prävention an der Hochschule der Medien (HdM) in Stuttgart. Gemeinsam mit ihrer Kommilitonin Selina Hörig entwickelte Schuler zunächst eine fiktive Geschäftsidee. „Selina war sofort vom Thema CED überzeugt. Wir dachten: Anstatt sich zurückzuziehen oder nur Medikamente einzunehmen, sollten Betroffene ganzheitlich unterstützt werden – durch gezieltes Management, Ernährung, Bewegung und Entspannung.“ So wurde die Idee zur App geboren.

Die beiden Masterstudentinnen brachten medizinisches Fachwissen, persönliche Erfahrungen und datenbasiertes Arbeiten zusammen – mit dem Ziel, Krankheitsschübe frühzeitig zu erkennen und ihnen präventiv entgegenzuwirken. Mehr noch: Die Häufigkeit und Intensität der Schübe sollen langfristig reduziert werden. „Jeder Mensch ist anders. Deshalb erfassen wir individuelle Werte. So erhalten Betroffene ein besseres Krankheitsverständnis und personalisierte Handlungsempfehlungen, um die Erkrankung besser zu kontrollieren und bestenfalls Schübe zu verhindern“, erklärt das Gründerinnenteam.

Mit der Gesundheitsstrategin Hörig und der Kommunikationsexpertin Schuler waren optimale Voraussetzungen für das Vorhaben geschaffen. Dank des EXIST-Gründungsstipendiums konnte das junge Team gemeinsam mit Philipp Emonds Anfang 2024 mit der Beta-Version der App starten. Seitdem läuft eine begleitende Studie mit freiwilligen CED-Betroffenen. Die täglich eingegebenen gesundheitsbezogenen Daten werden DSGVO-konform anonymisiert und dienen dem Erkenntnisgewinn.

Deep Insights for a better Outsight

Grafik mit einer dargestellten App auf einem Handy, die „Hey Hanna“ anzeigt und darunter Wochentage und Informationen wie „Aktuelle Schubprognose: Hohes Schubrisiko“ und eine Funktion „Dein Check-In“. Links sieht man einen Ausschnitt „Schlafqualität“ mit Kurvenverlauf, darunter eine Frage „Wie hoch war deine HRV?“. Rechts sieht man oben einen Ausschnitt mit einer Frage „Welche CED-symptome erlebst Du gerade“ mit Auswahlfeldern, darunter „Stuhlprotokoll“.
Job, Freizeit, Sport – CED in den Alltag integriert: Mit der coreway-App erfassen Betroffene ihre Gesundheitsdaten unkompliziert per Smartphone. © coreway UG

Um die Symptomaktivität für die kommenden Tage vorherzusagen und den Umgang mit der Erkrankung zu erleichtern, kombiniert das Prognosetool verschiedene Parameter. Mit der App CorewayInsights werden Gesundheitsdaten wie Symptome, Stresslevel oder HRV (Herzratenvariabilität) erfasst – ergänzt durch Angaben zu Verdauung, Stuhl, Körpertemperatur oder Schlafqualität.

Die HRV – also die zeitlichen Abstände zwischen Herzschlägen – gilt als wichtiger Indikator für körperliche und psychische Belastung. Eine niedrige HRV kann auf Stress, Krankheit oder mentale Erschöpfung hindeuten, während eine hohe HRV für Regeneration, gute Fitness und Belastbarkeit steht.

„Die HRV ist individuell verschieden“, sagt Schuler. „Deshalb ist es wichtig, sich an den eigenen Durchschnittswerten zu orientieren.“ Einige beeinflussende Faktoren – wie Alter oder genetische Veranlagung – sind nicht steuerbar. Doch viele Aspekte lassen sich positiv beeinflussen, wie Schlafqualität, Ernährung, Bewegung oder Entspannung. Genau diese Bereiche hebt coreway gezielt hervor.

Digitale Prävention als Schlüssel zur Lebensqualität

Alle gesammelten Daten fließen in individuelle Empfehlungen ein. Die App CorewayInsights ist bereits als Medizinprodukt der Klasse I zugelassen und bildet die Basis für Forschung und Weiterentwicklung.

Weitere Grafik mit einer dargestellten App auf einem Handy, die „Hey Hanna“ anzeigt und darunter Wochentage und Informationen wie „Aktuelle Schubprognose: Hohes Schubrisiko“ und eine Funktion „Dein Check-In“, außerdem „Protokoll Ernährung“ und „Protokoll Stuhlgang“. Links sieht man einen Ausschnitt „Deine Daten“ mit Kurvenverlauf zu den Symptomen. Rechts sieht man oben einen Ausschnitt mit einem Wolken/Gewitter-Symbol und einer Frage „Wie gestresst fühlst Du Dich gerade beruflich“ mit einem Zeitfenster und einem lachenden Symbol.
Die App CorewayInsights erfasst subjektive Angaben und objektive Vitaldaten – eine Grundlage für personalisierte Empfehlungen und die Vorhersage von Krankheitsschüben. © coreway UG

Der nächste Schritt ist CorewayPredict, ein Medizinprodukt der Klasse IIa. Mit Hilfe von Gesundheits- und Sensordaten sowie maschinellem Lernen werden individuelle Muster erkannt und ein Frühwarnsystem für Krankheitsschübe entwickelt. Die Zertifizierung erfolgt im Rahmen einer PMCF-Studie1) mit 200 Betroffenen, wie Schuler erklärt: „Unsere Lösungen basieren auf der S3-Leitlinie für Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sowie auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen.“ Kooperationspartner sind u. a. die Universität South Denmark und die Hochschule der Medien Stuttgart.

Coreway wurde in das 4C Accelerator-Programm für Medtech-Start-ups aufgenommen und erhält staatliche Fördermittel, die in Forschung und Produktentwicklung fließen. „Aktuell wünschen wir uns insbesondere eine stärkere klinische Anbindung – zum Beispiel durch Kooperationen mit Krankenhäusern oder ärztlichen Netzwerken, um unsere Studien zu erweitern und realitätsnahe Anwendungsdaten zu gewinnen“, erklärt Schuler. Darüber hinaus ist coreway auf der Suche nach strategischen Partnern aus Medizintechnik und Digital Health: „Wir wünschen uns Partner, die unsere Vision langfristig begleiten und uns bei der Zertifizierung, Skalierung und internationalen Positionierung unterstützen.“

Der erfolgreiche Abschluss einer Machbarkeitsstudie (Proof of Concept) hat das Potenzial der Methode bereits bestätigt: Die Kombination aus subjektiven Angaben und objektiven Vitalparametern bewährte sich als Grundlage zur erfolgreichen Vorhersage von Krankheitsschüben.

Mittlerweile besteht das coreway-Team aus zehn Personen mit Expertisen in Wirtschaft, IT, Data Science, Deep Learning und Wearable-Sensing. Die Plattform soll künftig auch um Themen wie Ernährungstracking, psychische Gesundheit und weitere Biomarker erweitert werden – und stärker mit Kliniken und Forschungseinrichtungen kooperieren.

Literatur:
1) Post-Market Clinical Follow-up (PMCF): Ein proaktiver Prozess zur kontinuierlichen Sammlung und Bewertung klinischer Daten über Sicherheit und Leistung eines Medizinprodukts während seines gesamten Lebenszyklus (gemäß MDR Anhang XIV, Teil B).

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/chronisch-entzuendliche-darmerkrankung-app-den-alltag-nachhaltig-verbessern